Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 2. Berlin, 1784.Und was kann während der Zeit der vortreflichste Lehrer thun, als das Geschäft eines bloßen Schulmeisters verrichten, welches auch leicht einem jeden andern übertragen werden könnte, wenn man nicht der unerfahrnen Menge ein Blendwerk vormachen will. Denn jener Theil des Unterrichts erfordert keine große Seelenfähigkeiten; unsere Aufseherinnen der Tauben und Stummen haben dieselbe bei einigen jungen Mädchen in Ausübung gebracht, nachdem wir ihnen bloß einige Tage lang zu dieser mechanischen Arbeit eine geringe Anweisung gegeben hatten. Hier kömmt es nicht sowohl auf Geschicklichkeit als Geduld an. Wenn aber zu jener undankbaren Arbeit (zu deren glücklichen Beendigung Perriere zwölf bis funfzehn Monate Zeit fordert) der Lehrer und der Schüler täglich mehr als zwei Stunden, nehmlich eine Vormittags, und eine Nachmittags, verwenden, so werden beide so ermüdet seyn, daß sie die Beschwerlichkeit dieser Methode selbst wohl fühlen werden. Aber wie soll der Schüler seine übrige Zeit zubringen, dessen Verstand auf keine Weise beschäftigt wird? Er wird Langeweile haben, wenn er nicht Spielereien treibt, denn ohne Hülfe seines Lehrers kann er nichts Vernünftiges unternehmen. Wir aber geben seinem Verstande vom ersten Anfang an schon Nahrung, und fahren nachher ohne Unterbrechung damit fort. Und was kann waͤhrend der Zeit der vortreflichste Lehrer thun, als das Geschaͤft eines bloßen Schulmeisters verrichten, welches auch leicht einem jeden andern uͤbertragen werden koͤnnte, wenn man nicht der unerfahrnen Menge ein Blendwerk vormachen will. Denn jener Theil des Unterrichts erfordert keine große Seelenfaͤhigkeiten; unsere Aufseherinnen der Tauben und Stummen haben dieselbe bei einigen jungen Maͤdchen in Ausuͤbung gebracht, nachdem wir ihnen bloß einige Tage lang zu dieser mechanischen Arbeit eine geringe Anweisung gegeben hatten. Hier koͤmmt es nicht sowohl auf Geschicklichkeit als Geduld an. Wenn aber zu jener undankbaren Arbeit (zu deren gluͤcklichen Beendigung Perriere zwoͤlf bis funfzehn Monate Zeit fordert) der Lehrer und der Schuͤler taͤglich mehr als zwei Stunden, nehmlich eine Vormittags, und eine Nachmittags, verwenden, so werden beide so ermuͤdet seyn, daß sie die Beschwerlichkeit dieser Methode selbst wohl fuͤhlen werden. Aber wie soll der Schuͤler seine uͤbrige Zeit zubringen, dessen Verstand auf keine Weise beschaͤftigt wird? Er wird Langeweile haben, wenn er nicht Spielereien treibt, denn ohne Huͤlfe seines Lehrers kann er nichts Vernuͤnftiges unternehmen. Wir aber geben seinem Verstande vom ersten Anfang an schon Nahrung, und fahren nachher ohne Unterbrechung damit fort. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0081" n="81"/><lb/> <p>Und was kann waͤhrend der Zeit der vortreflichste Lehrer thun, als das Geschaͤft eines bloßen Schulmeisters verrichten, welches auch leicht einem jeden andern uͤbertragen werden koͤnnte, wenn man nicht der unerfahrnen Menge ein Blendwerk vormachen will. Denn jener Theil des Unterrichts erfordert keine große Seelenfaͤhigkeiten; unsere Aufseherinnen der Tauben und Stummen haben dieselbe bei einigen jungen Maͤdchen in Ausuͤbung gebracht, nachdem wir ihnen bloß einige Tage lang zu dieser mechanischen Arbeit eine geringe Anweisung gegeben hatten. Hier koͤmmt es nicht sowohl auf Geschicklichkeit als Geduld an.</p> <p>Wenn aber zu jener undankbaren Arbeit (zu deren gluͤcklichen Beendigung Perriere zwoͤlf bis funfzehn Monate Zeit fordert) der Lehrer und der Schuͤler taͤglich mehr als zwei Stunden, nehmlich eine Vormittags, und eine Nachmittags, verwenden, so werden beide so ermuͤdet seyn, daß sie die Beschwerlichkeit dieser Methode selbst wohl fuͤhlen werden. Aber wie soll der Schuͤler seine uͤbrige Zeit zubringen, dessen Verstand auf keine Weise beschaͤftigt wird? Er wird Langeweile haben, wenn er nicht Spielereien treibt, denn ohne Huͤlfe seines Lehrers kann er nichts Vernuͤnftiges unternehmen.</p> <p>Wir aber geben seinem Verstande vom ersten Anfang an schon Nahrung, und fahren nachher ohne Unterbrechung damit fort.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [81/0081]
Und was kann waͤhrend der Zeit der vortreflichste Lehrer thun, als das Geschaͤft eines bloßen Schulmeisters verrichten, welches auch leicht einem jeden andern uͤbertragen werden koͤnnte, wenn man nicht der unerfahrnen Menge ein Blendwerk vormachen will. Denn jener Theil des Unterrichts erfordert keine große Seelenfaͤhigkeiten; unsere Aufseherinnen der Tauben und Stummen haben dieselbe bei einigen jungen Maͤdchen in Ausuͤbung gebracht, nachdem wir ihnen bloß einige Tage lang zu dieser mechanischen Arbeit eine geringe Anweisung gegeben hatten. Hier koͤmmt es nicht sowohl auf Geschicklichkeit als Geduld an.
Wenn aber zu jener undankbaren Arbeit (zu deren gluͤcklichen Beendigung Perriere zwoͤlf bis funfzehn Monate Zeit fordert) der Lehrer und der Schuͤler taͤglich mehr als zwei Stunden, nehmlich eine Vormittags, und eine Nachmittags, verwenden, so werden beide so ermuͤdet seyn, daß sie die Beschwerlichkeit dieser Methode selbst wohl fuͤhlen werden. Aber wie soll der Schuͤler seine uͤbrige Zeit zubringen, dessen Verstand auf keine Weise beschaͤftigt wird? Er wird Langeweile haben, wenn er nicht Spielereien treibt, denn ohne Huͤlfe seines Lehrers kann er nichts Vernuͤnftiges unternehmen.
Wir aber geben seinem Verstande vom ersten Anfang an schon Nahrung, und fahren nachher ohne Unterbrechung damit fort.
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 2. Berlin, 1784, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0202_1784/81>, abgerufen am 26.07.2024. |