Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 2. Berlin, 1784.Was man Buchstabiren nennt, geschiehet nicht durch einen Laut der Stimme, sondern durch die nach den aufeinander folgenden Buchstaben abwechselnde Lage der Finger. Jch schreibe z.E. an eine Tafel das Wort Fenster und lasse den Taubstummen seine Augen darauf richten: dieser bedienet sich sogleich der Handzeichen, womit er jeden einzelnen Buchstaben andeutet, und wiederholet dieses drei, vier oder fünf mal, so daß er seine Augen auf das Wort heftet und alle sechs Buchstaben nacheinander darin bezeichnet: alsdann kehret er seine Augen von dem Worte ab, und bezeichnet eben dieselben Buchstaben in eben derselben Ordnung durch die Daktilologie. Darauf muß er sich wieder nach der Tafel wenden, und das Wort Fenster, welches der Lehrer während der Zeit ausgelöscht hat, wieder anschreiben. Jst also der Taubstumme nur ein aufmerksamer Zuschauer, so wird er die einzelnen Buchstaben dieses Worts in ihrer Ordnung sich sehr leicht ins Gedächtnis prägen können, und sie nicht so leicht wieder vergessen, weil dieses Wort sowohl im Sprechen durch die methodischen Zeichen, als auch in unsern öffentlichen und Privatlektionen häufig vorkömmt. Beiläufig ist hier noch zu bemerken, daß zu diesem Geschäfte, in Gegenwart und unter Anwei- Was man Buchstabiren nennt, geschiehet nicht durch einen Laut der Stimme, sondern durch die nach den aufeinander folgenden Buchstaben abwechselnde Lage der Finger. Jch schreibe z.E. an eine Tafel das Wort Fenster und lasse den Taubstummen seine Augen darauf richten: dieser bedienet sich sogleich der Handzeichen, womit er jeden einzelnen Buchstaben andeutet, und wiederholet dieses drei, vier oder fuͤnf mal, so daß er seine Augen auf das Wort heftet und alle sechs Buchstaben nacheinander darin bezeichnet: alsdann kehret er seine Augen von dem Worte ab, und bezeichnet eben dieselben Buchstaben in eben derselben Ordnung durch die Daktilologie. Darauf muß er sich wieder nach der Tafel wenden, und das Wort Fenster, welches der Lehrer waͤhrend der Zeit ausgeloͤscht hat, wieder anschreiben. Jst also der Taubstumme nur ein aufmerksamer Zuschauer, so wird er die einzelnen Buchstaben dieses Worts in ihrer Ordnung sich sehr leicht ins Gedaͤchtnis praͤgen koͤnnen, und sie nicht so leicht wieder vergessen, weil dieses Wort sowohl im Sprechen durch die methodischen Zeichen, als auch in unsern oͤffentlichen und Privatlektionen haͤufig vorkoͤmmt. Beilaͤufig ist hier noch zu bemerken, daß zu diesem Geschaͤfte, in Gegenwart und unter Anwei- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0076" n="76"/><lb/> <p>Was man Buchstabiren nennt, geschiehet nicht durch einen Laut der Stimme, sondern durch die nach den aufeinander folgenden Buchstaben abwechselnde Lage der Finger.</p> <p>Jch schreibe z.E. an eine Tafel das Wort <hi rendition="#b">Fenster</hi> und lasse den Taubstummen seine Augen darauf richten: dieser bedienet sich sogleich der Handzeichen, womit er jeden einzelnen Buchstaben andeutet, und wiederholet dieses drei, vier oder fuͤnf mal, so daß er seine Augen auf das Wort heftet und alle sechs Buchstaben nacheinander darin bezeichnet: alsdann kehret er seine Augen von dem Worte ab, und bezeichnet eben dieselben Buchstaben in eben derselben Ordnung durch die Daktilologie.</p> <p>Darauf muß er sich wieder nach der Tafel wenden, und das Wort <hi rendition="#b">Fenster,</hi> welches der Lehrer waͤhrend der Zeit ausgeloͤscht hat, wieder anschreiben.</p> <p>Jst also der Taubstumme nur ein aufmerksamer Zuschauer, so wird er die einzelnen Buchstaben dieses Worts in ihrer Ordnung sich sehr leicht ins Gedaͤchtnis praͤgen koͤnnen, und sie nicht so leicht wieder vergessen, weil dieses Wort sowohl im Sprechen durch die methodischen Zeichen, als auch in unsern oͤffentlichen und Privatlektionen haͤufig vorkoͤmmt.</p> <p>Beilaͤufig ist hier noch zu bemerken, daß zu diesem Geschaͤfte, in Gegenwart und unter Anwei-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [76/0076]
Was man Buchstabiren nennt, geschiehet nicht durch einen Laut der Stimme, sondern durch die nach den aufeinander folgenden Buchstaben abwechselnde Lage der Finger.
Jch schreibe z.E. an eine Tafel das Wort Fenster und lasse den Taubstummen seine Augen darauf richten: dieser bedienet sich sogleich der Handzeichen, womit er jeden einzelnen Buchstaben andeutet, und wiederholet dieses drei, vier oder fuͤnf mal, so daß er seine Augen auf das Wort heftet und alle sechs Buchstaben nacheinander darin bezeichnet: alsdann kehret er seine Augen von dem Worte ab, und bezeichnet eben dieselben Buchstaben in eben derselben Ordnung durch die Daktilologie.
Darauf muß er sich wieder nach der Tafel wenden, und das Wort Fenster, welches der Lehrer waͤhrend der Zeit ausgeloͤscht hat, wieder anschreiben.
Jst also der Taubstumme nur ein aufmerksamer Zuschauer, so wird er die einzelnen Buchstaben dieses Worts in ihrer Ordnung sich sehr leicht ins Gedaͤchtnis praͤgen koͤnnen, und sie nicht so leicht wieder vergessen, weil dieses Wort sowohl im Sprechen durch die methodischen Zeichen, als auch in unsern oͤffentlichen und Privatlektionen haͤufig vorkoͤmmt.
Beilaͤufig ist hier noch zu bemerken, daß zu diesem Geschaͤfte, in Gegenwart und unter Anwei-
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 2. Berlin, 1784, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0202_1784/76>, abgerufen am 16.02.2025. |