Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 1. Berlin, 1784.IV. Selbstgeständnisse des Herrn Doktor ![]() ![]() I. Von seinen Kinderjahren. Von meinem Leben als Kind kann ich eben so wenig, als viele andre Menschen, viel auffallendes und großes erzählen. Jch war sehr beliebt, das weiß ich, meine Mutter wendete alles an, mir darin noch mehr beförderlich zu sein. Jch war noch dazu überaus glücklich durch die Pocken gekommen, die meiner Schwester desto mehr Schaden gethan hatten. Lesen, etwas schreiben und rechnen konnte ich schon zu Hause; mein Vater und Bruder sorgten dafür, und meine Mutter half, wo sie nur von der Haushaltung abkommen konnte, dazu, daß ich sehr bald recht gut lesen konnte. Viele Sprüche, Verse aus Liedern lernte ich eben so, durch ihre tägliche Vorsorge und Anleitung. Da sie mich sehr liebte, als den letzten noch übrig gebliebenen Sohn, außer meinem noch viel ältern Bruder; so suchte sie mir Eindrücke beizubringen, die mich für Schaden und Nachtheil gewisser bewahren möchten. Sie gewöhnte mich zu einer geraden Aufrichtigkeit, erst bei ihr um alles zu fragen; zum öftern IV. Selbstgestaͤndnisse des Herrn Doktor ![]() ![]() I. Von seinen Kinderjahren. Von meinem Leben als Kind kann ich eben so wenig, als viele andre Menschen, viel auffallendes und großes erzaͤhlen. Jch war sehr beliebt, das weiß ich, meine Mutter wendete alles an, mir darin noch mehr befoͤrderlich zu sein. Jch war noch dazu uͤberaus gluͤcklich durch die Pocken gekommen, die meiner Schwester desto mehr Schaden gethan hatten. Lesen, etwas schreiben und rechnen konnte ich schon zu Hause; mein Vater und Bruder sorgten dafuͤr, und meine Mutter half, wo sie nur von der Haushaltung abkommen konnte, dazu, daß ich sehr bald recht gut lesen konnte. Viele Spruͤche, Verse aus Liedern lernte ich eben so, durch ihre taͤgliche Vorsorge und Anleitung. Da sie mich sehr liebte, als den letzten noch uͤbrig gebliebenen Sohn, außer meinem noch viel aͤltern Bruder; so suchte sie mir Eindruͤcke beizubringen, die mich fuͤr Schaden und Nachtheil gewisser bewahren moͤchten. Sie gewoͤhnte mich zu einer geraden Aufrichtigkeit, erst bei ihr um alles zu fragen; zum oͤftern <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0098" n="96"/><lb/><lb/> </div> <div n="2"> <head><hi rendition="#aq">IV</hi>.</head><lb/> <head>Selbstgestaͤndnisse des Herrn Doktor <persName ref="#ref0152"><note type="editorial">Semler, Johann Salomo</note>Semler,</persName> von seinen Charakter und Erziehung. </head><lb/> <note type="editorial"> <bibl> <persName ref="#ref152"><note type="editorial"/>Semler, Johann Salomo</persName> </bibl> </note> <floatingText> <body> <div n="1"> <head><hi rendition="#aq">I</hi>. Von seinen Kinderjahren. </head><lb/> <p>Von meinem Leben als Kind kann ich eben so wenig, als viele andre Menschen, viel auffallendes und großes erzaͤhlen. </p> <p>Jch war sehr beliebt, das weiß ich, meine Mutter wendete alles an, mir darin noch mehr befoͤrderlich zu sein. Jch war noch dazu uͤberaus gluͤcklich durch die Pocken gekommen, die meiner Schwester desto mehr Schaden gethan hatten. </p> <p>Lesen, etwas schreiben und rechnen konnte ich schon zu Hause; mein Vater und Bruder sorgten dafuͤr, und meine Mutter half, wo sie nur von der Haushaltung abkommen konnte, dazu, daß ich sehr bald recht gut lesen konnte. </p> <p>Viele Spruͤche, Verse aus Liedern lernte ich eben so, durch ihre taͤgliche Vorsorge und Anleitung. Da sie mich sehr liebte, als den letzten noch uͤbrig gebliebenen Sohn, außer meinem noch viel aͤltern Bruder; so suchte sie mir Eindruͤcke beizubringen, die mich fuͤr Schaden und Nachtheil gewisser bewahren moͤchten. </p> <p>Sie gewoͤhnte mich zu einer geraden Aufrichtigkeit, erst bei ihr um alles zu fragen; zum oͤftern<lb/></p> </div> </body> </floatingText> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [96/0098]
IV.
Selbstgestaͤndnisse des Herrn Doktor Semler, von seinen Charakter und Erziehung.
I. Von seinen Kinderjahren.
Von meinem Leben als Kind kann ich eben so wenig, als viele andre Menschen, viel auffallendes und großes erzaͤhlen.
Jch war sehr beliebt, das weiß ich, meine Mutter wendete alles an, mir darin noch mehr befoͤrderlich zu sein. Jch war noch dazu uͤberaus gluͤcklich durch die Pocken gekommen, die meiner Schwester desto mehr Schaden gethan hatten.
Lesen, etwas schreiben und rechnen konnte ich schon zu Hause; mein Vater und Bruder sorgten dafuͤr, und meine Mutter half, wo sie nur von der Haushaltung abkommen konnte, dazu, daß ich sehr bald recht gut lesen konnte.
Viele Spruͤche, Verse aus Liedern lernte ich eben so, durch ihre taͤgliche Vorsorge und Anleitung. Da sie mich sehr liebte, als den letzten noch uͤbrig gebliebenen Sohn, außer meinem noch viel aͤltern Bruder; so suchte sie mir Eindruͤcke beizubringen, die mich fuͤr Schaden und Nachtheil gewisser bewahren moͤchten.
Sie gewoͤhnte mich zu einer geraden Aufrichtigkeit, erst bei ihr um alles zu fragen; zum oͤftern
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 1. Berlin, 1784, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0201_1784/98>, abgerufen am 16.02.2025. |