Weil es einigen Materialien, die ich zu dieser Ru- brik
gesammlet habe, noch an Vollständigkeit fehlt, so will ich sie bis auf
ein künftiges Stück versparen, und nur jetzt im Ganzen einiges
niederschreiben, was ich aus eigner Erfahrung
hierüber sagen kann, und wovon ich schon in meinen Aussichten zu einer Ex- perimentalseelenlehre Verschiedenes
geäußert habe.
Der Schulmann und der Erzieher haben vor vielen andern Gelegenheit, Beobachtungen
über den Menschen anzustellen, weil bei Kindern die Verstellungskunst
größtentheils noch nicht so weit, wie bei Erwachsenen gehet. Der Erzieher
hat den Vorzug, daß er seine Subjekte beständig beobachten kann. Aber
der Schulmann hat wiederum den Vortheil der Mannichfaltigkeit der Subjekte.
Als ich vor vier Jahren meine Lehrstelle am grauen Kloster antrat, machte ich mir
schon einen Plan, wie ich Beobachtungen bei meinen Schü- lern
anstellen wollte. Man sammlet tägliche Be- merkungen über das
Wetter, dacht' ich, und den Menschen sollte man dessen nicht werth achten?
Jch entschloß mich also, ein eignes Journal über verschiedne der
merkwürdigsten Köpfe zu halten, welches ich auch, freilich mit
vielen Unterbrechungen, die durch meine Lage verursacht wurden, fortgesetzt
habe.
Mein
Zur Seelenzeichenkunde.
Weil es einigen Materialien, die ich zu dieser Ru- brik
gesammlet habe, noch an Vollstaͤndigkeit fehlt, so will ich sie bis auf
ein kuͤnftiges Stuͤck versparen, und nur jetzt im Ganzen einiges
niederschreiben, was ich aus eigner Erfahrung
hieruͤber sagen kann, und wovon ich schon in meinen Aussichten zu einer Ex- perimentalseelenlehre Verschiedenes
geaͤußert habe.
Der Schulmann und der Erzieher haben vor vielen andern Gelegenheit, Beobachtungen
uͤber den Menschen anzustellen, weil bei Kindern die Verstellungskunst
groͤßtentheils noch nicht so weit, wie bei Erwachsenen gehet. Der Erzieher
hat den Vorzug, daß er seine Subjekte bestaͤndig beobachten kann. Aber
der Schulmann hat wiederum den Vortheil der Mannichfaltigkeit der Subjekte.
Als ich vor vier Jahren meine Lehrstelle am grauen Kloster antrat, machte ich mir
schon einen Plan, wie ich Beobachtungen bei meinen Schuͤ- lern
anstellen wollte. Man sammlet taͤgliche Be- merkungen uͤber das
Wetter, dacht' ich, und den Menschen sollte man dessen nicht werth achten?
Jch entschloß mich also, ein eignes Journal uͤber verschiedne der
merkwuͤrdigsten Koͤpfe zu halten, welches ich auch, freilich mit
vielen Unterbrechungen, die durch meine Lage verursacht wurden, fortgesetzt
habe.
Mein
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[107/0111]
Zur
Seelenzeichenkunde.
Weil es einigen Materialien, die ich zu dieser Ru-
brik gesammlet habe, noch an Vollstaͤndigkeit fehlt,
so will ich sie bis auf ein kuͤnftiges Stuͤck versparen,
und nur jetzt im Ganzen einiges niederschreiben, was
ich aus eigner Erfahrung hieruͤber sagen kann, und
wovon ich schon in meinen Aussichten zu einer Ex-
perimentalseelenlehre Verschiedenes geaͤußert habe.
Der Schulmann und der Erzieher haben vor
vielen andern Gelegenheit, Beobachtungen uͤber
den Menschen anzustellen, weil bei Kindern die
Verstellungskunst groͤßtentheils noch nicht so weit,
wie bei Erwachsenen gehet. Der Erzieher hat den
Vorzug, daß er seine Subjekte bestaͤndig beobachten
kann. Aber der Schulmann hat wiederum den
Vortheil der Mannichfaltigkeit der Subjekte.
Als ich vor vier Jahren meine Lehrstelle am
grauen Kloster antrat, machte ich mir schon einen
Plan, wie ich Beobachtungen bei meinen Schuͤ-
lern anstellen wollte. Man sammlet taͤgliche Be-
merkungen uͤber das Wetter, dacht' ich, und den
Menschen sollte man dessen nicht werth achten? Jch
entschloß mich also, ein eignes Journal uͤber verschiedne
der merkwuͤrdigsten Koͤpfe zu halten, welches ich auch,
freilich mit vielen Unterbrechungen, die durch meine
Lage verursacht wurden, fortgesetzt habe.
Mein
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Moritz, Karl Philipp: Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 1. Berlin, 1783, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01_1783/111>, abgerufen am 16.02.2025.
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