Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 3. Berlin, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite


nicht stocken. Wie leicht ist hier nicht Collision möglich?

Je mehr Personen auf die Worte des Redenden aufmerksam sind, destomehr fremde Vorstellungen können sich einmischen, und ihn in Verwirrung bringen, und dieses um desto leichter, wenn sich die Furcht mit einmischt, ihnen durch den Fehler in der Sprache zu misfallen.

Beim langsamen Lesen oder Singen würkt die Seele weniger durch dunkele Jdeenreihen und sich selbst überlassene Fertigkeiten, als durch rege Aufmerksamkeit, mit Willen und Bewußtseyn, und kann daher weit weniger von einer fremden, unzweckmäßigen Vorstellung beschlichen und in Verwirrung gebracht werden. Das laute Lesen hat noch überdem den Vortheil, daß die Seele vermittelst des Gehörs, sinnlich beschäftiget und an das Gegenwärtige in der zweckmäßigen Jdeenreihe gleichsam befestiget wird; dadurch sie weit weniger ausschweifen und auf etwas fremdes zu verfallen, aufgelegt wird.

So kann auch auf die entgegengesetzte Weise, durch die äußerste Schnelligkeit, mit welcher der Stotternde die Reihe der Worte durchfährt, die innige Verknüpfung der würksamen Begriffe verstärkt, das Eintreten fremder unzweckmäßiger Jdeen verhindert, und die Sprachwerkzeuge in den Stand gesetzt werden, über die schwierige Silbe ohne Anstoß hinzurollen. Eben so, wie in der physischen


nicht stocken. Wie leicht ist hier nicht Collision moͤglich?

Je mehr Personen auf die Worte des Redenden aufmerksam sind, destomehr fremde Vorstellungen koͤnnen sich einmischen, und ihn in Verwirrung bringen, und dieses um desto leichter, wenn sich die Furcht mit einmischt, ihnen durch den Fehler in der Sprache zu misfallen.

Beim langsamen Lesen oder Singen wuͤrkt die Seele weniger durch dunkele Jdeenreihen und sich selbst uͤberlassene Fertigkeiten, als durch rege Aufmerksamkeit, mit Willen und Bewußtseyn, und kann daher weit weniger von einer fremden, unzweckmaͤßigen Vorstellung beschlichen und in Verwirrung gebracht werden. Das laute Lesen hat noch uͤberdem den Vortheil, daß die Seele vermittelst des Gehoͤrs, sinnlich beschaͤftiget und an das Gegenwaͤrtige in der zweckmaͤßigen Jdeenreihe gleichsam befestiget wird; dadurch sie weit weniger ausschweifen und auf etwas fremdes zu verfallen, aufgelegt wird.

So kann auch auf die entgegengesetzte Weise, durch die aͤußerste Schnelligkeit, mit welcher der Stotternde die Reihe der Worte durchfaͤhrt, die innige Verknuͤpfung der wuͤrksamen Begriffe verstaͤrkt, das Eintreten fremder unzweckmaͤßiger Jdeen verhindert, und die Sprachwerkzeuge in den Stand gesetzt werden, uͤber die schwierige Silbe ohne Anstoß hinzurollen. Eben so, wie in der physischen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div>
          <p><pb facs="#f0064" n="60"/><lb/>
nicht stocken. Wie leicht                         ist hier nicht Collision mo&#x0364;glich? </p>
          <p>Je mehr Personen auf die Worte des Redenden aufmerksam sind,                         destomehr fremde Vorstellungen ko&#x0364;nnen sich einmischen, und ihn in Verwirrung                         bringen, und dieses um desto leichter, wenn sich die Furcht mit einmischt,                         ihnen durch den Fehler in der Sprache zu misfallen. </p>
          <p>Beim langsamen Lesen oder Singen wu&#x0364;rkt die Seele weniger durch                         dunkele Jdeenreihen und sich selbst u&#x0364;berlassene Fertigkeiten, als durch rege                         Aufmerksamkeit, mit Willen und Bewußtseyn, und kann daher weit weniger von                         einer fremden, unzweckma&#x0364;ßigen Vorstellung beschlichen und in Verwirrung                         gebracht werden. Das laute Lesen hat noch u&#x0364;berdem den Vortheil, daß die                         Seele vermittelst des Geho&#x0364;rs, sinnlich bescha&#x0364;ftiget und an das Gegenwa&#x0364;rtige                         in der zweckma&#x0364;ßigen Jdeenreihe gleichsam befestiget wird; dadurch sie weit                         weniger ausschweifen und auf etwas fremdes zu verfallen, aufgelegt wird. </p>
          <p>So kann auch auf die entgegengesetzte Weise, durch die a&#x0364;ußerste                         Schnelligkeit, mit welcher der Stotternde die Reihe der Worte durchfa&#x0364;hrt,                         die innige Verknu&#x0364;pfung der wu&#x0364;rksamen Begriffe versta&#x0364;rkt, das Eintreten                         fremder unzweckma&#x0364;ßiger Jdeen verhindert, und die Sprachwerkzeuge in den                         Stand gesetzt werden, u&#x0364;ber die schwierige Silbe ohne Anstoß hinzurollen.                         Eben so, wie in der physischen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[60/0064] nicht stocken. Wie leicht ist hier nicht Collision moͤglich? Je mehr Personen auf die Worte des Redenden aufmerksam sind, destomehr fremde Vorstellungen koͤnnen sich einmischen, und ihn in Verwirrung bringen, und dieses um desto leichter, wenn sich die Furcht mit einmischt, ihnen durch den Fehler in der Sprache zu misfallen. Beim langsamen Lesen oder Singen wuͤrkt die Seele weniger durch dunkele Jdeenreihen und sich selbst uͤberlassene Fertigkeiten, als durch rege Aufmerksamkeit, mit Willen und Bewußtseyn, und kann daher weit weniger von einer fremden, unzweckmaͤßigen Vorstellung beschlichen und in Verwirrung gebracht werden. Das laute Lesen hat noch uͤberdem den Vortheil, daß die Seele vermittelst des Gehoͤrs, sinnlich beschaͤftiget und an das Gegenwaͤrtige in der zweckmaͤßigen Jdeenreihe gleichsam befestiget wird; dadurch sie weit weniger ausschweifen und auf etwas fremdes zu verfallen, aufgelegt wird. So kann auch auf die entgegengesetzte Weise, durch die aͤußerste Schnelligkeit, mit welcher der Stotternde die Reihe der Worte durchfaͤhrt, die innige Verknuͤpfung der wuͤrksamen Begriffe verstaͤrkt, das Eintreten fremder unzweckmaͤßiger Jdeen verhindert, und die Sprachwerkzeuge in den Stand gesetzt werden, uͤber die schwierige Silbe ohne Anstoß hinzurollen. Eben so, wie in der physischen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0103_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0103_1783/64
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 3. Berlin, 1783, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0103_1783/64>, abgerufen am 02.05.2024.