Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 2. Berlin, 1783.
Die erste und vornehmste mich am meisten quälende Phantasie bestand darin: daß ich mich nicht bereden konnte, daß ich mich in meiner eignen Wohnung befinde. Jch wurde von einer Strasse zur andren geführt, und meine Einbildung war fruchtbar genug, mir jeden Augenblick einen anderen öffentlichen Platz vorzumahlen, auf welchem mich meine Wächter in meinem Bette festhielten. Jch flehte fast beständig mich nur in die Heiligegeiststrasse nach meinem Logie zu bringen; und da dieses zu bewerkstelligen meinen Wächtern unmöglich war, so suchten sie mich zu besänftigen, indem sie meine Einbildung bestärkten. Es hieß dann immer: in einigen Stunden soll es geschehn; morgenfrüh; es ist jetzo Nacht, u.s.w.; und so lag ich, das Ende dieser einigen Stunden, dieses Morgenfrühs, mit Schmach erwartend, und wenn es da war, ward das Versprechen doch nicht erfüllt. Sie können sich vorstellen, in der üblen Laune darinnen ich war, wird meine trunkene Phantasie eben nicht die angenehmsten Plätze zu meinem Auffenthalt geschaffen haben. Bald lagerte sie mich mit meinem Bette zwischen zwei engen Mauren, wo ich von keiner Seite einen Arm bewegen konnte, bald auf eine Grabstäte, bald in einen Stall, und bald auf einen öffentlichen Platz vor dem Lazareth. Alle Beweißgründe meiner Freunde und Wächter,
Die erste und vornehmste mich am meisten quaͤlende Phantasie bestand darin: daß ich mich nicht bereden konnte, daß ich mich in meiner eignen Wohnung befinde. Jch wurde von einer Strasse zur andren gefuͤhrt, und meine Einbildung war fruchtbar genug, mir jeden Augenblick einen anderen oͤffentlichen Platz vorzumahlen, auf welchem mich meine Waͤchter in meinem Bette festhielten. Jch flehte fast bestaͤndig mich nur in die Heiligegeiststrasse nach meinem Logie zu bringen; und da dieses zu bewerkstelligen meinen Waͤchtern unmoͤglich war, so suchten sie mich zu besaͤnftigen, indem sie meine Einbildung bestaͤrkten. Es hieß dann immer: in einigen Stunden soll es geschehn; morgenfruͤh; es ist jetzo Nacht, u.s.w.; und so lag ich, das Ende dieser einigen Stunden, dieses Morgenfruͤhs, mit Schmach erwartend, und wenn es da war, ward das Versprechen doch nicht erfuͤllt. Sie koͤnnen sich vorstellen, in der uͤblen Laune darinnen ich war, wird meine trunkene Phantasie eben nicht die angenehmsten Plaͤtze zu meinem Auffenthalt geschaffen haben. Bald lagerte sie mich mit meinem Bette zwischen zwei engen Mauren, wo ich von keiner Seite einen Arm bewegen konnte, bald auf eine Grabstaͤte, bald in einen Stall, und bald auf einen oͤffentlichen Platz vor dem Lazareth. Alle Beweißgruͤnde meiner Freunde und Waͤchter, <TEI> <text> <body> <div> <div> <p><pb facs="#f0059" n="55"/><lb/> seltnes, daß die Beobachtung der Narren uns weiser macht. </p> <p>Die erste und vornehmste mich am meisten quaͤlende Phantasie bestand darin: daß ich mich nicht bereden konnte, daß ich mich in meiner eignen Wohnung befinde. Jch wurde von einer Strasse zur andren gefuͤhrt, und meine Einbildung war fruchtbar genug, mir jeden Augenblick einen anderen oͤffentlichen Platz vorzumahlen, auf welchem mich meine Waͤchter in meinem Bette festhielten. Jch flehte fast bestaͤndig mich nur in die Heiligegeiststrasse nach meinem Logie zu bringen; und da dieses zu bewerkstelligen meinen Waͤchtern unmoͤglich war, so suchten sie mich zu besaͤnftigen, indem sie meine Einbildung bestaͤrkten. Es hieß dann immer: in einigen Stunden soll es geschehn; morgenfruͤh; es ist jetzo Nacht, u.s.w.; und so lag ich, das Ende dieser einigen Stunden, dieses Morgenfruͤhs, mit Schmach erwartend, und wenn es da war, ward das Versprechen doch nicht erfuͤllt. Sie koͤnnen sich vorstellen, in der uͤblen Laune darinnen ich war, wird meine trunkene Phantasie eben nicht die angenehmsten Plaͤtze zu meinem Auffenthalt geschaffen haben. Bald lagerte sie mich mit meinem Bette zwischen zwei engen Mauren, wo ich von keiner Seite einen Arm bewegen konnte, bald auf eine Grabstaͤte, bald in einen Stall, und bald auf einen oͤffentlichen Platz vor dem Lazareth. Alle Beweißgruͤnde meiner Freunde und Waͤchter,<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [55/0059]
seltnes, daß die Beobachtung der Narren uns weiser macht.
Die erste und vornehmste mich am meisten quaͤlende Phantasie bestand darin: daß ich mich nicht bereden konnte, daß ich mich in meiner eignen Wohnung befinde. Jch wurde von einer Strasse zur andren gefuͤhrt, und meine Einbildung war fruchtbar genug, mir jeden Augenblick einen anderen oͤffentlichen Platz vorzumahlen, auf welchem mich meine Waͤchter in meinem Bette festhielten. Jch flehte fast bestaͤndig mich nur in die Heiligegeiststrasse nach meinem Logie zu bringen; und da dieses zu bewerkstelligen meinen Waͤchtern unmoͤglich war, so suchten sie mich zu besaͤnftigen, indem sie meine Einbildung bestaͤrkten. Es hieß dann immer: in einigen Stunden soll es geschehn; morgenfruͤh; es ist jetzo Nacht, u.s.w.; und so lag ich, das Ende dieser einigen Stunden, dieses Morgenfruͤhs, mit Schmach erwartend, und wenn es da war, ward das Versprechen doch nicht erfuͤllt. Sie koͤnnen sich vorstellen, in der uͤblen Laune darinnen ich war, wird meine trunkene Phantasie eben nicht die angenehmsten Plaͤtze zu meinem Auffenthalt geschaffen haben. Bald lagerte sie mich mit meinem Bette zwischen zwei engen Mauren, wo ich von keiner Seite einen Arm bewegen konnte, bald auf eine Grabstaͤte, bald in einen Stall, und bald auf einen oͤffentlichen Platz vor dem Lazareth. Alle Beweißgruͤnde meiner Freunde und Waͤchter,
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