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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 2. Berlin, 1783.

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stände um mich, und die Klarheit ihrer Wirkung verschwanden bis zur unsichtbarsten Entfernung. Die dunkelsten Scheine bloß, die sie zurückliessen, gaben meiner taumelnden Seele den Stof, woraus sie sich eine ganz neue Verkettung der Begebenheiten, eine ganz neue, häßliche, sie quälende Welt zusammensetzte. Mein Puls hob sich, stieg bis zu 120 Schläge in einer Minute. Mein Gesicht ward roth; mein Auge glühend, und schrecklich heiter, eine Hitze durchwebte meinen ganzen Körper, und in meinem Gehirn befand sich eine Erleuchtung von vielen tausend Lampen. Jch rasete.

Jch sagte Jhnen, daß ich mir nichts von dem, was in meiner ersten Epoche mit mir vorging, zu erinnern weiß: die ganze zweite hingegen, die acht ganze Tage und Nächte dauerte, ist von dem ersten Augenblick meiner Raserei bis zur Stunde meiner Genesung noch ganz lebhaft in meinem Gedächtnisse. Jch könnte Jhnen phantastisches Bild, nach phantastischem Bilde, Thorheit nach Thorheit an den Fingern herzählen, wenn es der Mühe lohnte, und ich ein Vergnügen darüber bei Jhnen vermuthen könnte. Aber doch will ich Jhnen die Hauptthemata meiner Phantasien erzählen; es war Methode in meiner Tollheit, und ich kann mir ihre Entstehung und ihren Zusammenhang sehr gut psychologisch erklären. Vielleicht können Sie der Arzt einigen Nutzen daraus schöpfen. Es ist nichts


staͤnde um mich, und die Klarheit ihrer Wirkung verschwanden bis zur unsichtbarsten Entfernung. Die dunkelsten Scheine bloß, die sie zuruͤckliessen, gaben meiner taumelnden Seele den Stof, woraus sie sich eine ganz neue Verkettung der Begebenheiten, eine ganz neue, haͤßliche, sie quaͤlende Welt zusammensetzte. Mein Puls hob sich, stieg bis zu 120 Schlaͤge in einer Minute. Mein Gesicht ward roth; mein Auge gluͤhend, und schrecklich heiter, eine Hitze durchwebte meinen ganzen Koͤrper, und in meinem Gehirn befand sich eine Erleuchtung von vielen tausend Lampen. Jch rasete.

Jch sagte Jhnen, daß ich mir nichts von dem, was in meiner ersten Epoche mit mir vorging, zu erinnern weiß: die ganze zweite hingegen, die acht ganze Tage und Naͤchte dauerte, ist von dem ersten Augenblick meiner Raserei bis zur Stunde meiner Genesung noch ganz lebhaft in meinem Gedaͤchtnisse. Jch koͤnnte Jhnen phantastisches Bild, nach phantastischem Bilde, Thorheit nach Thorheit an den Fingern herzaͤhlen, wenn es der Muͤhe lohnte, und ich ein Vergnuͤgen daruͤber bei Jhnen vermuthen koͤnnte. Aber doch will ich Jhnen die Hauptthemata meiner Phantasien erzaͤhlen; es war Methode in meiner Tollheit, und ich kann mir ihre Entstehung und ihren Zusammenhang sehr gut psychologisch erklaͤren. Vielleicht koͤnnen Sie der Arzt einigen Nutzen daraus schoͤpfen. Es ist nichts

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[54/0058] staͤnde um mich, und die Klarheit ihrer Wirkung verschwanden bis zur unsichtbarsten Entfernung. Die dunkelsten Scheine bloß, die sie zuruͤckliessen, gaben meiner taumelnden Seele den Stof, woraus sie sich eine ganz neue Verkettung der Begebenheiten, eine ganz neue, haͤßliche, sie quaͤlende Welt zusammensetzte. Mein Puls hob sich, stieg bis zu 120 Schlaͤge in einer Minute. Mein Gesicht ward roth; mein Auge gluͤhend, und schrecklich heiter, eine Hitze durchwebte meinen ganzen Koͤrper, und in meinem Gehirn befand sich eine Erleuchtung von vielen tausend Lampen. Jch rasete. Jch sagte Jhnen, daß ich mir nichts von dem, was in meiner ersten Epoche mit mir vorging, zu erinnern weiß: die ganze zweite hingegen, die acht ganze Tage und Naͤchte dauerte, ist von dem ersten Augenblick meiner Raserei bis zur Stunde meiner Genesung noch ganz lebhaft in meinem Gedaͤchtnisse. Jch koͤnnte Jhnen phantastisches Bild, nach phantastischem Bilde, Thorheit nach Thorheit an den Fingern herzaͤhlen, wenn es der Muͤhe lohnte, und ich ein Vergnuͤgen daruͤber bei Jhnen vermuthen koͤnnte. Aber doch will ich Jhnen die Hauptthemata meiner Phantasien erzaͤhlen; es war Methode in meiner Tollheit, und ich kann mir ihre Entstehung und ihren Zusammenhang sehr gut psychologisch erklaͤren. Vielleicht koͤnnen Sie der Arzt einigen Nutzen daraus schoͤpfen. Es ist nichts

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 2. Berlin, 1783, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0102_1783/58>, abgerufen am 24.11.2024.