Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 3. Berlin, 1793.
Nach der Hypothese der Alten von der Weltseele ist die Seele als Jndividuum keine Substanz. Die allgemeine Weltseele äußert sich in jeder individuellen Organisation auf eine individuelle Art. Hört diese Organisation völlig auf, (wie im Tode) oder fehlt es ihr an der zur Aeusserung der Seelenwirkung erforderlichen Spannung (wie im Schlafe, Ohnmacht u.d.g.) so hört auch das Daseyn der Seele als Jndividuum auf. Zur Erklärung psychologischer Erscheinungen ist es hinlänglich, wenn man besondere psychologische Erscheinungen den allgemeinen Gesetzen subsumirt. Diese Gesetze aber betreffen blos die Wirkungsart der Seele während sie wirkt, und lassen die Dauer dieser Wirkung ganz unbestimmt. Jch habe schon (Streifereien im Gebiete der Philosophie über die Progressen der Philosophie) das Ungegründete, ja das Widersinnige in der Lehre der dunklen Vorstellungen, die die Neuern als Lückenbüßer der Seelensubstantialität gebrauchen, genugsam gezeigt. Man kann allerdings die Methoden der Fluxion, der Jnterpolation u.d.g. in der Philosophie mit Nutzen gebrauchen, wie ich (ibid.) gezeigt habe. Nur muß man nicht vergessen, daß es bloße Methoden, d.h. nützliche Fiktionen sind. Das unendlich Kleine ist so wenig in der
Nach der Hypothese der Alten von der Weltseele ist die Seele als Jndividuum keine Substanz. Die allgemeine Weltseele aͤußert sich in jeder individuellen Organisation auf eine individuelle Art. Hoͤrt diese Organisation voͤllig auf, (wie im Tode) oder fehlt es ihr an der zur Aeusserung der Seelenwirkung erforderlichen Spannung (wie im Schlafe, Ohnmacht u.d.g.) so hoͤrt auch das Daseyn der Seele als Jndividuum auf. Zur Erklaͤrung psychologischer Erscheinungen ist es hinlaͤnglich, wenn man besondere psychologische Erscheinungen den allgemeinen Gesetzen subsumirt. Diese Gesetze aber betreffen blos die Wirkungsart der Seele waͤhrend sie wirkt, und lassen die Dauer dieser Wirkung ganz unbestimmt. Jch habe schon (Streifereien im Gebiete der Philosophie uͤber die Progressen der Philosophie) das Ungegruͤndete, ja das Widersinnige in der Lehre der dunklen Vorstellungen, die die Neuern als Luͤckenbuͤßer der Seelensubstantialitaͤt gebrauchen, genugsam gezeigt. Man kann allerdings die Methoden der Fluxion, der Jnterpolation u.d.g. in der Philosophie mit Nutzen gebrauchen, wie ich (ibid.) gezeigt habe. Nur muß man nicht vergessen, daß es bloße Methoden, d.h. nuͤtzliche Fiktionen sind. Das unendlich Kleine ist so wenig in der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0037" n="37"/><lb/> nichts anders als eine Hypothese der neuern ist, ganz unberuͤhrt lassen.</p> <p>Nach der Hypothese der Alten von der <hi rendition="#b">Weltseele</hi> ist die Seele als Jndividuum keine Substanz. Die allgemeine <hi rendition="#b">Weltseele</hi> aͤußert sich in jeder individuellen Organisation auf eine individuelle Art. Hoͤrt diese Organisation voͤllig auf, (wie im Tode) oder fehlt es ihr an der zur Aeusserung der Seelenwirkung erforderlichen Spannung (wie im Schlafe, Ohnmacht u.d.g.) so hoͤrt auch das Daseyn der Seele als Jndividuum auf.</p> <p>Zur Erklaͤrung psychologischer Erscheinungen ist es hinlaͤnglich, wenn man besondere psychologische Erscheinungen den allgemeinen Gesetzen subsumirt. Diese Gesetze aber betreffen blos die Wirkungsart der Seele <hi rendition="#b">waͤhrend sie wirkt,</hi> und lassen die Dauer dieser Wirkung ganz unbestimmt.</p> <p>Jch habe schon (Streifereien im Gebiete der Philosophie uͤber die Progressen der Philosophie) das Ungegruͤndete, ja das Widersinnige in der Lehre der <hi rendition="#b">dunklen Vorstellungen,</hi> die die Neuern als <hi rendition="#b">Luͤckenbuͤßer</hi> der <hi rendition="#b">Seelensubstantialitaͤt</hi> gebrauchen, genugsam gezeigt.</p> <p>Man kann allerdings die Methoden der <hi rendition="#b">Fluxion,</hi> der <hi rendition="#b">Jnterpolation</hi> u.d.g. in der Philosophie mit Nutzen gebrauchen, wie ich <hi rendition="#aq">(ibid.)</hi> gezeigt habe. Nur muß man nicht vergessen, daß es bloße <hi rendition="#b">Methoden,</hi> d.h. nuͤtzliche <hi rendition="#b">Fiktionen</hi> sind. Das unendlich Kleine ist so wenig in der<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [37/0037]
nichts anders als eine Hypothese der neuern ist, ganz unberuͤhrt lassen.
Nach der Hypothese der Alten von der Weltseele ist die Seele als Jndividuum keine Substanz. Die allgemeine Weltseele aͤußert sich in jeder individuellen Organisation auf eine individuelle Art. Hoͤrt diese Organisation voͤllig auf, (wie im Tode) oder fehlt es ihr an der zur Aeusserung der Seelenwirkung erforderlichen Spannung (wie im Schlafe, Ohnmacht u.d.g.) so hoͤrt auch das Daseyn der Seele als Jndividuum auf.
Zur Erklaͤrung psychologischer Erscheinungen ist es hinlaͤnglich, wenn man besondere psychologische Erscheinungen den allgemeinen Gesetzen subsumirt. Diese Gesetze aber betreffen blos die Wirkungsart der Seele waͤhrend sie wirkt, und lassen die Dauer dieser Wirkung ganz unbestimmt.
Jch habe schon (Streifereien im Gebiete der Philosophie uͤber die Progressen der Philosophie) das Ungegruͤndete, ja das Widersinnige in der Lehre der dunklen Vorstellungen, die die Neuern als Luͤckenbuͤßer der Seelensubstantialitaͤt gebrauchen, genugsam gezeigt.
Man kann allerdings die Methoden der Fluxion, der Jnterpolation u.d.g. in der Philosophie mit Nutzen gebrauchen, wie ich (ibid.) gezeigt habe. Nur muß man nicht vergessen, daß es bloße Methoden, d.h. nuͤtzliche Fiktionen sind. Das unendlich Kleine ist so wenig in der
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 3. Berlin, 1793, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01003_1793/37>, abgerufen am 16.02.2025. |