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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 1. Berlin, 1793.

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dere verwandelt, nehmlich: warum ist nicht auch im Wachen die Einbildungskraft herrschend und die höheren Seelenkräfte unterdrückt, da selbst die Wirksamkeit der Vernunft die Einbildungskraft in Wirksamkeit setzt, und die angezeigten Operationen der höhern Seelenkräfte hindert? Woher kommt es also, daß Untersuchungen durchgeführt, Wissenschaften erlernt, ja sogar erfunden werden können?

Jch antworte: der Vorsatz vermag alles dieses; die Anspornung, das einmal Vorgenommene auszuführen, und die Schwierigkeiten zu besiegen, welche sich der Ausführung entgegenstellen, belebt die Macht welche wir haben, Jdeen zu schwächen, zu stärken und zu leiten; der Vorsatz ist es also, welcher im Wachen der Vernunft aufhilft, die Einbildungskraft zu Gunsten der letztern unterdrückt, und die Zweifel, welche ihren Fortgang hindern, zurückweist.

Jch kann mich nicht enthalten, hier wiederum im Vorbeygehn eine Anmerkung zu machen: man wundert sich über die Entstehung der Selbsttäuschung, und scheint zu vergessen, daß sie von der Kraft herrührt, welche wir haben, Zweifel zurück zu weisen. Wenn wir also etwas erwägen, dabei wir sehr interressirt sind, so sind wir in Gefahr die Gründe abzuweisen, von denen wir merken, daß sie nicht zum Vortheil unsrer Selbstbefriedigung ausfallen werden, und die Gründe zu erheben, welche sich mit ihr vertragen. Wer sich zu täuschen sucht, wiederhohlt die Gründe, welche für seine Lieblingsmeinung sind unzähligemahl, und hört nicht gerne die Gegen-


dere verwandelt, nehmlich: warum ist nicht auch im Wachen die Einbildungskraft herrschend und die hoͤheren Seelenkraͤfte unterdruͤckt, da selbst die Wirksamkeit der Vernunft die Einbildungskraft in Wirksamkeit setzt, und die angezeigten Operationen der hoͤhern Seelenkraͤfte hindert? Woher kommt es also, daß Untersuchungen durchgefuͤhrt, Wissenschaften erlernt, ja sogar erfunden werden koͤnnen?

Jch antworte: der Vorsatz vermag alles dieses; die Anspornung, das einmal Vorgenommene auszufuͤhren, und die Schwierigkeiten zu besiegen, welche sich der Ausfuͤhrung entgegenstellen, belebt die Macht welche wir haben, Jdeen zu schwaͤchen, zu staͤrken und zu leiten; der Vorsatz ist es also, welcher im Wachen der Vernunft aufhilft, die Einbildungskraft zu Gunsten der letztern unterdruͤckt, und die Zweifel, welche ihren Fortgang hindern, zuruͤckweist.

Jch kann mich nicht enthalten, hier wiederum im Vorbeygehn eine Anmerkung zu machen: man wundert sich uͤber die Entstehung der Selbsttaͤuschung, und scheint zu vergessen, daß sie von der Kraft herruͤhrt, welche wir haben, Zweifel zuruͤck zu weisen. Wenn wir also etwas erwaͤgen, dabei wir sehr interressirt sind, so sind wir in Gefahr die Gruͤnde abzuweisen, von denen wir merken, daß sie nicht zum Vortheil unsrer Selbstbefriedigung ausfallen werden, und die Gruͤnde zu erheben, welche sich mit ihr vertragen. Wer sich zu taͤuschen sucht, wiederhohlt die Gruͤnde, welche fuͤr seine Lieblingsmeinung sind unzaͤhligemahl, und hoͤrt nicht gerne die Gegen-

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[122/0124] dere verwandelt, nehmlich: warum ist nicht auch im Wachen die Einbildungskraft herrschend und die hoͤheren Seelenkraͤfte unterdruͤckt, da selbst die Wirksamkeit der Vernunft die Einbildungskraft in Wirksamkeit setzt, und die angezeigten Operationen der hoͤhern Seelenkraͤfte hindert? Woher kommt es also, daß Untersuchungen durchgefuͤhrt, Wissenschaften erlernt, ja sogar erfunden werden koͤnnen? Jch antworte: der Vorsatz vermag alles dieses; die Anspornung, das einmal Vorgenommene auszufuͤhren, und die Schwierigkeiten zu besiegen, welche sich der Ausfuͤhrung entgegenstellen, belebt die Macht welche wir haben, Jdeen zu schwaͤchen, zu staͤrken und zu leiten; der Vorsatz ist es also, welcher im Wachen der Vernunft aufhilft, die Einbildungskraft zu Gunsten der letztern unterdruͤckt, und die Zweifel, welche ihren Fortgang hindern, zuruͤckweist. Jch kann mich nicht enthalten, hier wiederum im Vorbeygehn eine Anmerkung zu machen: man wundert sich uͤber die Entstehung der Selbsttaͤuschung, und scheint zu vergessen, daß sie von der Kraft herruͤhrt, welche wir haben, Zweifel zuruͤck zu weisen. Wenn wir also etwas erwaͤgen, dabei wir sehr interressirt sind, so sind wir in Gefahr die Gruͤnde abzuweisen, von denen wir merken, daß sie nicht zum Vortheil unsrer Selbstbefriedigung ausfallen werden, und die Gruͤnde zu erheben, welche sich mit ihr vertragen. Wer sich zu taͤuschen sucht, wiederhohlt die Gruͤnde, welche fuͤr seine Lieblingsmeinung sind unzaͤhligemahl, und hoͤrt nicht gerne die Gegen-

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Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
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  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 1. Berlin, 1793, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01001_1793/124>, abgerufen am 27.04.2024.