Schilderung und Erdichtung der Begebenheiten gehört eigentlich zur Fantasie -- kann ohne Selbstmacht, ja sogar ohne Selbstmacht der Urtheilskraft nicht bestehn. Wenn man nicht von einer besondern Art des Traumes spricht, darin die Einbildungskraft blos überspringend ist, so kann man vom Traume nicht sagen, daß gar keine höhere Seelenkräfte darin wallten, und mithin keine Selbstmacht der Urtheilskraft darin vorhanden sey. Es fehlt in einem Traume, darin die Fantasie herrscht, nur an einer solchen Selbstmacht der Seele, welche von ihr nicht ausgeübt wird, wenn sie nicht der Vorsatz -- in dem eigentlichen Sinne des Wortes -- veranlaßt; und daß ich es hier vorläufig bemerke, wenn ein Traum lange fortgesetzt wird, so daß keine Rückfälle aus demselben in den tiefen Schlaf geschehen, dann findet sich auch der Vorsatz ein, und dann sind sogar Erfindungen möglich. Das war also meine erste Erinnerung, und nun zur zweyten: Die Frage war: warum sind im Traume die höhern Seelenkräfte unterdrückt? oder mit andren Worten: warum werden die Kräfte unterdrückt, welche eine Willkühr der Seele erfordern, und dem Zusammenhange der Dinge nach Grund und Folge nachspüren? Jch finde in der angeführten Anmerkung keine andre Antwort als: "Weil es die Harmonie zwischen Seele und Körper so mit sich bringt;" und das hätte ich gesagt? ich hätte mich statt einer Erklärung auf diese Harmonie berufen? Maimon, SalomonH. M. fährt fort: "Trift es sich aber zufälligerweise, daß diese
Schilderung und Erdichtung der Begebenheiten gehoͤrt eigentlich zur Fantasie — kann ohne Selbstmacht, ja sogar ohne Selbstmacht der Urtheilskraft nicht bestehn. Wenn man nicht von einer besondern Art des Traumes spricht, darin die Einbildungskraft blos uͤberspringend ist, so kann man vom Traume nicht sagen, daß gar keine hoͤhere Seelenkraͤfte darin wallten, und mithin keine Selbstmacht der Urtheilskraft darin vorhanden sey. Es fehlt in einem Traume, darin die Fantasie herrscht, nur an einer solchen Selbstmacht der Seele, welche von ihr nicht ausgeuͤbt wird, wenn sie nicht der Vorsatz — in dem eigentlichen Sinne des Wortes — veranlaßt; und daß ich es hier vorlaͤufig bemerke, wenn ein Traum lange fortgesetzt wird, so daß keine Ruͤckfaͤlle aus demselben in den tiefen Schlaf geschehen, dann findet sich auch der Vorsatz ein, und dann sind sogar Erfindungen moͤglich. Das war also meine erste Erinnerung, und nun zur zweyten: Die Frage war: warum sind im Traume die hoͤhern Seelenkraͤfte unterdruͤckt? oder mit andren Worten: warum werden die Kraͤfte unterdruͤckt, welche eine Willkuͤhr der Seele erfordern, und dem Zusammenhange der Dinge nach Grund und Folge nachspuͤren? Jch finde in der angefuͤhrten Anmerkung keine andre Antwort als: »Weil es die Harmonie zwischen Seele und Koͤrper so mit sich bringt;« und das haͤtte ich gesagt? ich haͤtte mich statt einer Erklaͤrung auf diese Harmonie berufen? Maimon, SalomonH. M. faͤhrt fort: »Trift es sich aber zufaͤlligerweise, daß diese
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0119"n="117"/><lb/>
Schilderung und Erdichtung der Begebenheiten gehoͤrt eigentlich zur Fantasie — kann ohne Selbstmacht, ja sogar ohne Selbstmacht der Urtheilskraft nicht bestehn. Wenn man nicht von einer besondern Art des Traumes spricht, darin die Einbildungskraft blos uͤberspringend ist, so kann man vom Traume nicht sagen, daß gar keine hoͤhere Seelenkraͤfte darin wallten, und mithin keine Selbstmacht der Urtheilskraft darin vorhanden sey. Es fehlt in einem Traume, darin die <hirendition="#b">Fantasie</hi> herrscht, nur an einer solchen Selbstmacht der Seele, welche von ihr nicht ausgeuͤbt wird, wenn sie nicht der <hirendition="#b">Vorsatz —</hi> in dem eigentlichen Sinne des Wortes — veranlaßt; und daß ich es hier vorlaͤufig bemerke, wenn ein Traum lange fortgesetzt wird, so daß keine Ruͤckfaͤlle aus demselben in den tiefen Schlaf geschehen, dann findet sich auch der Vorsatz ein, und dann sind sogar Erfindungen moͤglich. Das war also meine erste Erinnerung, und nun zur zweyten: Die Frage war: warum sind im Traume die hoͤhern Seelenkraͤfte unterdruͤckt? oder mit andren Worten: warum werden die Kraͤfte unterdruͤckt, welche eine Willkuͤhr der Seele erfordern, und dem Zusammenhange der Dinge nach Grund und Folge nachspuͤren? Jch finde in der angefuͤhrten Anmerkung keine andre Antwort als: »Weil es die Harmonie zwischen Seele und Koͤrper so mit sich bringt;« und das haͤtte ich gesagt? ich haͤtte mich statt einer Erklaͤrung auf diese Harmonie berufen? <persNameref="#ref0003"><notetype="editorial">Maimon, Salomon</note>H. M.</persName> faͤhrt fort: »Trift es sich aber zufaͤlligerweise, daß diese<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[117/0119]
Schilderung und Erdichtung der Begebenheiten gehoͤrt eigentlich zur Fantasie — kann ohne Selbstmacht, ja sogar ohne Selbstmacht der Urtheilskraft nicht bestehn. Wenn man nicht von einer besondern Art des Traumes spricht, darin die Einbildungskraft blos uͤberspringend ist, so kann man vom Traume nicht sagen, daß gar keine hoͤhere Seelenkraͤfte darin wallten, und mithin keine Selbstmacht der Urtheilskraft darin vorhanden sey. Es fehlt in einem Traume, darin die Fantasie herrscht, nur an einer solchen Selbstmacht der Seele, welche von ihr nicht ausgeuͤbt wird, wenn sie nicht der Vorsatz — in dem eigentlichen Sinne des Wortes — veranlaßt; und daß ich es hier vorlaͤufig bemerke, wenn ein Traum lange fortgesetzt wird, so daß keine Ruͤckfaͤlle aus demselben in den tiefen Schlaf geschehen, dann findet sich auch der Vorsatz ein, und dann sind sogar Erfindungen moͤglich. Das war also meine erste Erinnerung, und nun zur zweyten: Die Frage war: warum sind im Traume die hoͤhern Seelenkraͤfte unterdruͤckt? oder mit andren Worten: warum werden die Kraͤfte unterdruͤckt, welche eine Willkuͤhr der Seele erfordern, und dem Zusammenhange der Dinge nach Grund und Folge nachspuͤren? Jch finde in der angefuͤhrten Anmerkung keine andre Antwort als: »Weil es die Harmonie zwischen Seele und Koͤrper so mit sich bringt;« und das haͤtte ich gesagt? ich haͤtte mich statt einer Erklaͤrung auf diese Harmonie berufen? H. M. faͤhrt fort: »Trift es sich aber zufaͤlligerweise, daß diese
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, University of Glasgow, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien
(2015-06-09T11:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat
(2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2015-06-09T11:00:00Z)
Weitere Informationen:
Anmerkungen zur Transkription:
Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.
Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 1. Berlin, 1793, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01001_1793/119>, abgerufen am 27.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.