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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 1. Berlin, 1793.

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gangen worden, und mir ist kein Philosoph bekannt, der die Erfahrungsphilosophie in der That auf einen einzigen Grundsatz gegründet hätte; ja selbst der Philosoph Salomon Maimon macht hierin keine Ausnahme. Bey aller Mühe, welche er sich giebt, alle psychologische Erscheinungen blos aus der Jdeenassociation herzuleiten, so nimmt er dennoch ganz stillschweigend auch andere Grundsätze an, und was noch schlimmer ist, er beruft sich sogar, wie man in der Folge sehn wird, auf die Harmonie der Seele mit dem Körper;*) da man doch, wenn man erklären will, sich hierauf gar nicht berufen sollte;

*) Dieses ist dem sonstigen Scharfsinne des V. zuwider, indem er gegen mich dasjenige anführt, was in der That für mich beweißt, wie sehr ich nehmlich die Regel der Sparsamkeit der Prinzipien überall zu beobachten mich bemühe. Die wolfisch-leibnitzische Philosophie nimmt (um gewisse psychologische Erscheinungen, die sich nach dem bekannten Gesetz der Association klarer Vorstellungen nicht erklären lassen, dennoch erklären zu können) das Daseyn der dunklen Vorstellungen an. Jch hingegen leugne das Daseyn der dunklen Vorstellungen, indem Vorstellungen, wenn sie von bloßen körperlichen Eindrücken unterschieden werden sollen, nichts anders als Modifikazionen des Bewustseyns, folglich Vorstellungen ohne Bewustseyn undenkbar sind. Da man also darauf nicht durch unmittelbare Wahrnehmung, sondern bloß durch einen Schluß gerathen ist, so suche ich diese Erscheinungen, die sonst darauf führen, aus dem bekannten Erfahrungssatze von der Verbindung der Seele und des Körpers (einer jeden Vorstellung mit einer ihr korrespondirenden körperlichen Veränderung) so zu erklären, daß man ihrer entbehren kann. (Siehe 9ten Bandes 3tes Stück Seite 5-6.) S. M.


gangen worden, und mir ist kein Philosoph bekannt, der die Erfahrungsphilosophie in der That auf einen einzigen Grundsatz gegruͤndet haͤtte; ja selbst der Philosoph Salomon Maimon macht hierin keine Ausnahme. Bey aller Muͤhe, welche er sich giebt, alle psychologische Erscheinungen blos aus der Jdeenassociation herzuleiten, so nimmt er dennoch ganz stillschweigend auch andere Grundsaͤtze an, und was noch schlimmer ist, er beruft sich sogar, wie man in der Folge sehn wird, auf die Harmonie der Seele mit dem Koͤrper;*) da man doch, wenn man erklaͤren will, sich hierauf gar nicht berufen sollte;

*) Dieses ist dem sonstigen Scharfsinne des V. zuwider, indem er gegen mich dasjenige anfuͤhrt, was in der That fuͤr mich beweißt, wie sehr ich nehmlich die Regel der Sparsamkeit der Prinzipien uͤberall zu beobachten mich bemuͤhe. Die wolfisch-leibnitzische Philosophie nimmt (um gewisse psychologische Erscheinungen, die sich nach dem bekannten Gesetz der Association klarer Vorstellungen nicht erklaͤren lassen, dennoch erklaͤren zu koͤnnen) das Daseyn der dunklen Vorstellungen an. Jch hingegen leugne das Daseyn der dunklen Vorstellungen, indem Vorstellungen, wenn sie von bloßen koͤrperlichen Eindruͤcken unterschieden werden sollen, nichts anders als Modifikazionen des Bewustseyns, folglich Vorstellungen ohne Bewustseyn undenkbar sind. Da man also darauf nicht durch unmittelbare Wahrnehmung, sondern bloß durch einen Schluß gerathen ist, so suche ich diese Erscheinungen, die sonst darauf fuͤhren, aus dem bekannten Erfahrungssatze von der Verbindung der Seele und des Koͤrpers (einer jeden Vorstellung mit einer ihr korrespondirenden koͤrperlichen Veraͤnderung) so zu erklaͤren, daß man ihrer entbehren kann. (Siehe 9ten Bandes 3tes Stuͤck Seite 5-6.) S. M.
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[100/0102] gangen worden, und mir ist kein Philosoph bekannt, der die Erfahrungsphilosophie in der That auf einen einzigen Grundsatz gegruͤndet haͤtte; ja selbst der Philosoph Salomon Maimon macht hierin keine Ausnahme. Bey aller Muͤhe, welche er sich giebt, alle psychologische Erscheinungen blos aus der Jdeenassociation herzuleiten, so nimmt er dennoch ganz stillschweigend auch andere Grundsaͤtze an, und was noch schlimmer ist, er beruft sich sogar, wie man in der Folge sehn wird, auf die Harmonie der Seele mit dem Koͤrper;*) da man doch, wenn man erklaͤren will, sich hierauf gar nicht berufen sollte; *) Dieses ist dem sonstigen Scharfsinne des V. zuwider, indem er gegen mich dasjenige anfuͤhrt, was in der That fuͤr mich beweißt, wie sehr ich nehmlich die Regel der Sparsamkeit der Prinzipien uͤberall zu beobachten mich bemuͤhe. Die wolfisch-leibnitzische Philosophie nimmt (um gewisse psychologische Erscheinungen, die sich nach dem bekannten Gesetz der Association klarer Vorstellungen nicht erklaͤren lassen, dennoch erklaͤren zu koͤnnen) das Daseyn der dunklen Vorstellungen an. Jch hingegen leugne das Daseyn der dunklen Vorstellungen, indem Vorstellungen, wenn sie von bloßen koͤrperlichen Eindruͤcken unterschieden werden sollen, nichts anders als Modifikazionen des Bewustseyns, folglich Vorstellungen ohne Bewustseyn undenkbar sind. Da man also darauf nicht durch unmittelbare Wahrnehmung, sondern bloß durch einen Schluß gerathen ist, so suche ich diese Erscheinungen, die sonst darauf fuͤhren, aus dem bekannten Erfahrungssatze von der Verbindung der Seele und des Koͤrpers (einer jeden Vorstellung mit einer ihr korrespondirenden koͤrperlichen Veraͤnderung) so zu erklaͤren, daß man ihrer entbehren kann. (Siehe 9ten Bandes 3tes Stuͤck Seite 5-6.) S. M.

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 1. Berlin, 1793, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01001_1793/102>, abgerufen am 27.04.2024.