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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII.
Skizze so wenig wie das lucretische Lehrgedicht; zu den allge-
meineren Ursachen kam hier noch hinzu das durchaus indivi-
duelle Gepräge derselben, welches unzertrennlich war von dem
höheren Alter, der Bauernhaftigkeit und selbst von der eigen-
thümlichen Gelehrsamkeit ihres Verfassers. Aber die Anmuth und
Laune vor allem der menippischen Satiren, welche an Zahl wie
an Bedeutung Varros ernsteren Arbeiten weit überlegen scheinen
gewesen zu sein, fesselte die Zeitgenossen sowohl wie diejenigen
Späteren, die für Originalität und Volksthümlichkeit Sinn hatten;
und auch wir noch, denen es nicht mehr vergönnt ist sie zu lesen,
mögen aus den erhaltenen Bruchstücken einigermassen es nach-
empfinden, dass der Schreiber ,es verstand zu lachen und mit
Mass zu scherzen'. Und schon als der letzte Hauch des scheiden-
den guten Geistes der alten Bürgerzeit, als der jüngste grüne
Spross, den die volksthümliche lateinische Poesie getrieben hat,
verdienten es Varros Satiren, dass der Dichter in seinem poeti-
schen Testament diese seine menippischen Kinder jedem empfahl,
Dem da Roma liegt und Latiums Blüthe am Herzen
und sie behaupten einen ehrenvollen Platz auch in der Geschichte
des italischen Volkes. *


Umschleierte des Himmels goldne Wölbungen
Mit kühlem Regenflore rascher Wolken Zug,
Hinab das Wasser schüttend auf die Sterblichen,
Und schossen, los sich reissend von dem eisigen Pol,
Die Wind' heran, des grossen Bären tolle Brut,
Fortführend mit sich Ziegel, Zweig' und Wetterwust.
Doch wir, gestürzt, schiffbrüchig, gleich der Störche Schwarm,
Die an zweizackigen Blitzes Gluth die Flügel sich
Versengt, wir fielen traurig jäh zur Erd' hinab.

In der ,Menschenstadt' heisst es:
Nicht wird frei dir die Brust durch Gold und Fülle der Schätze;
Nicht dem Sterblichen nimmt von der Seele der persische Goldberg
Sorg' und Furcht, noch thut es der Schatzsaal Crassus des Reichen.

Aber auch leichtere Weise gelang dem Dichter. In ,der Krug hat sein Mass'
stand folgender zierliche Lobspruch auf den Wein:
Es bleibt der Wein für Jedermann der beste Trank.
Er ist das Mittel, das den Kranken macht gesund;
Er ist der süsse Keimeplatz der Fröhlichkeit,
Er ist der Kitt, der Freundeskreis zusammenhält.

und in dem ,Weltbohrer' schliesst der heimkehrende Wandersmann also
seinen Zuruf an die Schiffer:
Lasst schiessen die Zügel dem leiseren Hauch,
Bis dass uns erfrischenden Windes Geleit
Rückführt in die liebliche Heimath!
* Die Skizzen Varros haben eine so ungemeine historische und selbst

FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII.
Skizze so wenig wie das lucretische Lehrgedicht; zu den allge-
meineren Ursachen kam hier noch hinzu das durchaus indivi-
duelle Gepräge derselben, welches unzertrennlich war von dem
höheren Alter, der Bauernhaftigkeit und selbst von der eigen-
thümlichen Gelehrsamkeit ihres Verfassers. Aber die Anmuth und
Laune vor allem der menippischen Satiren, welche an Zahl wie
an Bedeutung Varros ernsteren Arbeiten weit überlegen scheinen
gewesen zu sein, fesselte die Zeitgenossen sowohl wie diejenigen
Späteren, die für Originalität und Volksthümlichkeit Sinn hatten;
und auch wir noch, denen es nicht mehr vergönnt ist sie zu lesen,
mögen aus den erhaltenen Bruchstücken einigermaſsen es nach-
empfinden, daſs der Schreiber ‚es verstand zu lachen und mit
Maſs zu scherzen‘. Und schon als der letzte Hauch des scheiden-
den guten Geistes der alten Bürgerzeit, als der jüngste grüne
Sproſs, den die volksthümliche lateinische Poesie getrieben hat,
verdienten es Varros Satiren, daſs der Dichter in seinem poeti-
schen Testament diese seine menippischen Kinder jedem empfahl,
Dem da Roma liegt und Latiums Blüthe am Herzen
und sie behaupten einen ehrenvollen Platz auch in der Geschichte
des italischen Volkes. *


Umschleierte des Himmels goldne Wölbungen
Mit kühlem Regenflore rascher Wolken Zug,
Hinab das Wasser schüttend auf die Sterblichen,
Und schossen, los sich reiſsend von dem eisigen Pol,
Die Wind' heran, des groſsen Bären tolle Brut,
Fortführend mit sich Ziegel, Zweig' und Wetterwust.
Doch wir, gestürzt, schiffbrüchig, gleich der Störche Schwarm,
Die an zweizackigen Blitzes Gluth die Flügel sich
Versengt, wir fielen traurig jäh zur Erd' hinab.

In der ‚Menschenstadt‘ heiſst es:
Nicht wird frei dir die Brust durch Gold und Fülle der Schätze;
Nicht dem Sterblichen nimmt von der Seele der persische Goldberg
Sorg' und Furcht, noch thut es der Schatzsaal Crassus des Reichen.

Aber auch leichtere Weise gelang dem Dichter. In ‚der Krug hat sein Maſs‘
stand folgender zierliche Lobspruch auf den Wein:
Es bleibt der Wein für Jedermann der beste Trank.
Er ist das Mittel, das den Kranken macht gesund;
Er ist der süſse Keimeplatz der Fröhlichkeit,
Er ist der Kitt, der Freundeskreis zusammenhält.

und in dem ‚Weltbohrer‘ schlieſst der heimkehrende Wandersmann also
seinen Zuruf an die Schiffer:
Laſst schieſsen die Zügel dem leiseren Hauch,
Bis daſs uns erfrischenden Windes Geleit
Rückführt in die liebliche Heimath!
* Die Skizzen Varros haben eine so ungemeine historische und selbst
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[562/0572] FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII. Skizze so wenig wie das lucretische Lehrgedicht; zu den allge- meineren Ursachen kam hier noch hinzu das durchaus indivi- duelle Gepräge derselben, welches unzertrennlich war von dem höheren Alter, der Bauernhaftigkeit und selbst von der eigen- thümlichen Gelehrsamkeit ihres Verfassers. Aber die Anmuth und Laune vor allem der menippischen Satiren, welche an Zahl wie an Bedeutung Varros ernsteren Arbeiten weit überlegen scheinen gewesen zu sein, fesselte die Zeitgenossen sowohl wie diejenigen Späteren, die für Originalität und Volksthümlichkeit Sinn hatten; und auch wir noch, denen es nicht mehr vergönnt ist sie zu lesen, mögen aus den erhaltenen Bruchstücken einigermaſsen es nach- empfinden, daſs der Schreiber ‚es verstand zu lachen und mit Maſs zu scherzen‘. Und schon als der letzte Hauch des scheiden- den guten Geistes der alten Bürgerzeit, als der jüngste grüne Sproſs, den die volksthümliche lateinische Poesie getrieben hat, verdienten es Varros Satiren, daſs der Dichter in seinem poeti- schen Testament diese seine menippischen Kinder jedem empfahl, Dem da Roma liegt und Latiums Blüthe am Herzen und sie behaupten einen ehrenvollen Platz auch in der Geschichte des italischen Volkes. * ** * Die Skizzen Varros haben eine so ungemeine historische und selbst ** Umschleierte des Himmels goldne Wölbungen Mit kühlem Regenflore rascher Wolken Zug, Hinab das Wasser schüttend auf die Sterblichen, Und schossen, los sich reiſsend von dem eisigen Pol, Die Wind' heran, des groſsen Bären tolle Brut, Fortführend mit sich Ziegel, Zweig' und Wetterwust. Doch wir, gestürzt, schiffbrüchig, gleich der Störche Schwarm, Die an zweizackigen Blitzes Gluth die Flügel sich Versengt, wir fielen traurig jäh zur Erd' hinab. In der ‚Menschenstadt‘ heiſst es: Nicht wird frei dir die Brust durch Gold und Fülle der Schätze; Nicht dem Sterblichen nimmt von der Seele der persische Goldberg Sorg' und Furcht, noch thut es der Schatzsaal Crassus des Reichen. Aber auch leichtere Weise gelang dem Dichter. In ‚der Krug hat sein Maſs‘ stand folgender zierliche Lobspruch auf den Wein: Es bleibt der Wein für Jedermann der beste Trank. Er ist das Mittel, das den Kranken macht gesund; Er ist der süſse Keimeplatz der Fröhlichkeit, Er ist der Kitt, der Freundeskreis zusammenhält. und in dem ‚Weltbohrer‘ schlieſst der heimkehrende Wandersmann also seinen Zuruf an die Schiffer: Laſst schieſsen die Zügel dem leiseren Hauch, Bis daſs uns erfrischenden Windes Geleit Rückführt in die liebliche Heimath!

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 562. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/572>, abgerufen am 25.11.2024.