Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI. qualitative Unterschied zwischen Italien und den Provinzen weg-fiel, musste auch in der Oberverwaltung die Ausgleichung zwi- schen Italien und den Provinzen angebahnt werden. Die Anfänge dazu lagen bereits in der älteren Verfassung. Indem jede Ge- meinde römischer, latinischer und überhaupt freier Verfassung, wo immer sie belegen war, der Jurisdiction des Statthalters ent- zogen ward und nach ihrem eigenen Recht sich selber verwaltete, gab es schon in der republikanischen Zeit namentlich im cisalpini- schen Gallien, aber auch in dem transalpinischen und in den spa- nischen Provinzen eine beträchtliche Anzahl Communen, die von dem Statthalter in der Rechtspflege ganz und wesentlich auch in der Verwaltung unabhängig waren und nur insoweit ihm gehorch- ten, als dies auch den italischen Städten oblag, falls in Italien ein Bürgerheer stand. Ja seitdem im cisalpinischen Gallien sämmt- liche Gemeinden das römische oder latinische Recht besassen, be- stand hier überall italische Gemeindefreiheit und bürgerliche Juris- diction und war die Lage der Provinz dem römischen Feldherrn gegenüber eben dieselbe wie die der italischen Landschaften, mit der einzigen Ausnahme, dass dort immer, hier nur ausnahmsweise ein römisches Obercommando seinen Sitz halte. Caesar knüpfte hier an. Auch er hielt den Grundsatz fest, dass, wo italische Ge- meindefreiheit bestand, die Jurisdiction wesentlich bürgerlicher Art war, wo sie nicht bestand, nach Kriegsrecht administrirt ward: Italien also, das cisalpinische und das narbonensische Gallien, Sicilien und die einzelnen in den übrigen Provinzen mit italischem Recht ausgestatteten oder doch freien Gemeinden standen unter den römischen oder den eigenen bürgerlichen Gerichten*, da- gegen die übrigen Provinzialgemeinden wie bisher unter der Juris- diction ihrer Statthalter. Dieser sehr wesentliche Unterschied in der Jurisdiction blieb also; aber es stand jetzt mit demselben in gar keinem Zusammen hange mehr, ob eine Landschaft Pro- vinz war oder nicht. Der militärische Oberbefehl und was damit zusammenhing, die Verwaltung aller nicht den Gemeinden über- wiesenen Regierungsgeschäfte, erstreckte jetzt sich wieder wie in der Königszeit über das gesammte Reich und stand ausschliesslich * Dass im ganzen cisalpinischen Gallien jeder die Competenz der Mu-
nicipalbehörden übersteigende Prozess auch noch nach Caesars Ordnungen vor die hauptstädtischen Gerichte gebracht werden musste, ist gewiss. Dass für Gades, Karthago, Korinth die gleiche Einrichtung bestand, ist wenig wahrscheinlich; wie man aber hier sonst geholfen hat, ist nicht bekannt. Die latinischen Gemeinden hatten wahrscheinlich unbeschränkte Competenz. FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI. qualitative Unterschied zwischen Italien und den Provinzen weg-fiel, muſste auch in der Oberverwaltung die Ausgleichung zwi- schen Italien und den Provinzen angebahnt werden. Die Anfänge dazu lagen bereits in der älteren Verfassung. Indem jede Ge- meinde römischer, latinischer und überhaupt freier Verfassung, wo immer sie belegen war, der Jurisdiction des Statthalters ent- zogen ward und nach ihrem eigenen Recht sich selber verwaltete, gab es schon in der republikanischen Zeit namentlich im cisalpini- schen Gallien, aber auch in dem transalpinischen und in den spa- nischen Provinzen eine beträchtliche Anzahl Communen, die von dem Statthalter in der Rechtspflege ganz und wesentlich auch in der Verwaltung unabhängig waren und nur insoweit ihm gehorch- ten, als dies auch den italischen Städten oblag, falls in Italien ein Bürgerheer stand. Ja seitdem im cisalpinischen Gallien sämmt- liche Gemeinden das römische oder latinische Recht besaſsen, be- stand hier überall italische Gemeindefreiheit und bürgerliche Juris- diction und war die Lage der Provinz dem römischen Feldherrn gegenüber eben dieselbe wie die der italischen Landschaften, mit der einzigen Ausnahme, daſs dort immer, hier nur ausnahmsweise ein römisches Obercommando seinen Sitz halte. Caesar knüpfte hier an. Auch er hielt den Grundsatz fest, daſs, wo italische Ge- meindefreiheit bestand, die Jurisdiction wesentlich bürgerlicher Art war, wo sie nicht bestand, nach Kriegsrecht administrirt ward: Italien also, das cisalpinische und das narbonensische Gallien, Sicilien und die einzelnen in den übrigen Provinzen mit italischem Recht ausgestatteten oder doch freien Gemeinden standen unter den römischen oder den eigenen bürgerlichen Gerichten*, da- gegen die übrigen Provinzialgemeinden wie bisher unter der Juris- diction ihrer Statthalter. Dieser sehr wesentliche Unterschied in der Jurisdiction blieb also; aber es stand jetzt mit demselben in gar keinem Zusammen hange mehr, ob eine Landschaft Pro- vinz war oder nicht. Der militärische Oberbefehl und was damit zusammenhing, die Verwaltung aller nicht den Gemeinden über- wiesenen Regierungsgeschäfte, erstreckte jetzt sich wieder wie in der Königszeit über das gesammte Reich und stand ausschlieſslich * Daſs im ganzen cisalpinischen Gallien jeder die Competenz der Mu-
nicipalbehörden übersteigende Prozeſs auch noch nach Caesars Ordnungen vor die hauptstädtischen Gerichte gebracht werden muſste, ist gewiſs. Daſs für Gades, Karthago, Korinth die gleiche Einrichtung bestand, ist wenig wahrscheinlich; wie man aber hier sonst geholfen hat, ist nicht bekannt. Die latinischen Gemeinden hatten wahrscheinlich unbeschränkte Competenz. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0524" n="514"/><fw type="header" place="top">FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.</fw><lb/> qualitative Unterschied zwischen Italien und den Provinzen weg-<lb/> fiel, muſste auch in der Oberverwaltung die Ausgleichung zwi-<lb/> schen Italien und den Provinzen angebahnt werden. Die Anfänge<lb/> dazu lagen bereits in der älteren Verfassung. Indem jede Ge-<lb/> meinde römischer, latinischer und überhaupt freier Verfassung,<lb/> wo immer sie belegen war, der Jurisdiction des Statthalters ent-<lb/> zogen ward und nach ihrem eigenen Recht sich selber verwaltete,<lb/> gab es schon in der republikanischen Zeit namentlich im cisalpini-<lb/> schen Gallien, aber auch in dem transalpinischen und in den spa-<lb/> nischen Provinzen eine beträchtliche Anzahl Communen, die von<lb/> dem Statthalter in der Rechtspflege ganz und wesentlich auch in<lb/> der Verwaltung unabhängig waren und nur insoweit ihm gehorch-<lb/> ten, als dies auch den italischen Städten oblag, falls in Italien ein<lb/> Bürgerheer stand. Ja seitdem im cisalpinischen Gallien sämmt-<lb/> liche Gemeinden das römische oder latinische Recht besaſsen, be-<lb/> stand hier überall italische Gemeindefreiheit und bürgerliche Juris-<lb/> diction und war die Lage der Provinz dem römischen Feldherrn<lb/> gegenüber eben dieselbe wie die der italischen Landschaften, mit<lb/> der einzigen Ausnahme, daſs dort immer, hier nur ausnahmsweise<lb/> ein römisches Obercommando seinen Sitz halte. Caesar knüpfte<lb/> hier an. Auch er hielt den Grundsatz fest, daſs, wo italische Ge-<lb/> meindefreiheit bestand, die Jurisdiction wesentlich bürgerlicher<lb/> Art war, wo sie nicht bestand, nach Kriegsrecht administrirt ward:<lb/> Italien also, das cisalpinische und das narbonensische Gallien,<lb/> Sicilien und die einzelnen in den übrigen Provinzen mit italischem<lb/> Recht ausgestatteten oder doch freien Gemeinden standen unter<lb/> den römischen oder den eigenen bürgerlichen Gerichten<note place="foot" n="*">Daſs im ganzen cisalpinischen Gallien jeder die Competenz der Mu-<lb/> nicipalbehörden übersteigende Prozeſs auch noch nach Caesars Ordnungen<lb/> vor die hauptstädtischen Gerichte gebracht werden muſste, ist gewiſs. Daſs<lb/> für Gades, Karthago, Korinth die gleiche Einrichtung bestand, ist wenig<lb/> wahrscheinlich; wie man aber hier sonst geholfen hat, ist nicht bekannt.<lb/> Die latinischen Gemeinden hatten wahrscheinlich unbeschränkte Competenz.</note>, da-<lb/> gegen die übrigen Provinzialgemeinden wie bisher unter der Juris-<lb/> diction ihrer Statthalter. Dieser sehr wesentliche Unterschied in<lb/> der Jurisdiction blieb also; aber es stand jetzt mit demselben<lb/> in gar keinem Zusammen hange mehr, ob eine Landschaft Pro-<lb/> vinz war oder nicht. Der militärische Oberbefehl und was damit<lb/> zusammenhing, die Verwaltung aller nicht den Gemeinden über-<lb/> wiesenen Regierungsgeschäfte, erstreckte jetzt sich wieder wie in<lb/> der Königszeit über das gesammte Reich und stand ausschlieſslich<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [514/0524]
FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
qualitative Unterschied zwischen Italien und den Provinzen weg-
fiel, muſste auch in der Oberverwaltung die Ausgleichung zwi-
schen Italien und den Provinzen angebahnt werden. Die Anfänge
dazu lagen bereits in der älteren Verfassung. Indem jede Ge-
meinde römischer, latinischer und überhaupt freier Verfassung,
wo immer sie belegen war, der Jurisdiction des Statthalters ent-
zogen ward und nach ihrem eigenen Recht sich selber verwaltete,
gab es schon in der republikanischen Zeit namentlich im cisalpini-
schen Gallien, aber auch in dem transalpinischen und in den spa-
nischen Provinzen eine beträchtliche Anzahl Communen, die von
dem Statthalter in der Rechtspflege ganz und wesentlich auch in
der Verwaltung unabhängig waren und nur insoweit ihm gehorch-
ten, als dies auch den italischen Städten oblag, falls in Italien ein
Bürgerheer stand. Ja seitdem im cisalpinischen Gallien sämmt-
liche Gemeinden das römische oder latinische Recht besaſsen, be-
stand hier überall italische Gemeindefreiheit und bürgerliche Juris-
diction und war die Lage der Provinz dem römischen Feldherrn
gegenüber eben dieselbe wie die der italischen Landschaften, mit
der einzigen Ausnahme, daſs dort immer, hier nur ausnahmsweise
ein römisches Obercommando seinen Sitz halte. Caesar knüpfte
hier an. Auch er hielt den Grundsatz fest, daſs, wo italische Ge-
meindefreiheit bestand, die Jurisdiction wesentlich bürgerlicher
Art war, wo sie nicht bestand, nach Kriegsrecht administrirt ward:
Italien also, das cisalpinische und das narbonensische Gallien,
Sicilien und die einzelnen in den übrigen Provinzen mit italischem
Recht ausgestatteten oder doch freien Gemeinden standen unter
den römischen oder den eigenen bürgerlichen Gerichten *, da-
gegen die übrigen Provinzialgemeinden wie bisher unter der Juris-
diction ihrer Statthalter. Dieser sehr wesentliche Unterschied in
der Jurisdiction blieb also; aber es stand jetzt mit demselben
in gar keinem Zusammen hange mehr, ob eine Landschaft Pro-
vinz war oder nicht. Der militärische Oberbefehl und was damit
zusammenhing, die Verwaltung aller nicht den Gemeinden über-
wiesenen Regierungsgeschäfte, erstreckte jetzt sich wieder wie in
der Königszeit über das gesammte Reich und stand ausschlieſslich
* Daſs im ganzen cisalpinischen Gallien jeder die Competenz der Mu-
nicipalbehörden übersteigende Prozeſs auch noch nach Caesars Ordnungen
vor die hauptstädtischen Gerichte gebracht werden muſste, ist gewiſs. Daſs
für Gades, Karthago, Korinth die gleiche Einrichtung bestand, ist wenig
wahrscheinlich; wie man aber hier sonst geholfen hat, ist nicht bekannt.
Die latinischen Gemeinden hatten wahrscheinlich unbeschränkte Competenz.
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