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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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REPUBLIK UND MONARCHIE.
ein Jahrhundert zuvor Polybios den Verfall von Hellas ableitete (II,
40): dass es Bürgerpflicht sei die grossen Vermögen zusammen-
zuhalten und darum nicht zu viel Kinder zu zeugen. -- In
Folge dieser socialen Zustände schwand der latinische Stamm in
Italien in erschreckender Weise zusammen und legte sich theils
eine parasitische Bevölkerung, theils die reine Oede über die schö-
nen Landschaften. Ein ansehnlicher Theil der Bevölkerung Italiens
strömte in das Ausland. Schon die Summe von Capacitäten und
Arbeitskräften, welche die Lieferung von italischen Beamten und
italischen Besatzungen für das gesammte Mittelmeergebiet in An-
spruch nahm, überstieg die Kräfte der Halbinsel, zumal da die
also in die Fremde gesandten Elemente zum grossen Theil der
Nation für immer verloren gingen. Je mehr die römische Ge-
meinde zu einem viele Nationen umfassenden Reiche erwuchs,
desto mehr entwöhnte sich die regierende Aristokratie Italien als
ihre ausschliessliche Heimath zu betrachten; von der zum Dienst
ausgehobenen oder angeworbenen Mannschaft aber ging ein an-
sehnlicher Theil in den vielen Kriegen, namentlich in dem blu-
tigen Bürgerkriege zu Grunde und ein anderer ward durch die
lange, zuweilen auf ein Menschenalter sich erstreckende Dienst-
zeit der Heimath völlig entfremdet. Dazu kam die Speculation,
die einen Theil der Gutsbesitzer- und fast die ganze Kaufmann-
schaft auf Zeitlebens oder doch auf lange Zeit ausser Landes fest-
hielt und namentlich die letztere in dem demoralisirenden Han-
delsreiseleben überhaupt der bürgerlichen Existenz im Mutter-
lande und der vielfach bedingten innerhalb der Familie entwöhnte.
Als Ersatz dafür erhielt Italien theils das Sclaven- und Freigelas-
senenproletariat, theils die aus Kleinasien, Syrien und Aegypten
einströmenden Handwerker und Händler, die vornämlich in der
Hauptstadt und mehr noch in den Hafenstädten Ostia, Puteoli,
Brundisium wucherten (II, 389). Aber in dem grössten und wich-
tigsten Theil Italiens trat nicht einmal ein solcher Ersatz der reinen
Elemente durch unreine ein, sondern schwand die Bevölkerung
sichtlich. Vor allem galt dies von den Weidelandschaften, wie
denn das gelobte Land der Viehzucht, Apulien von Gleichzeitigen
der menschenleerste Theil Italiens genannt wird, und von der
Umgegend Roms, wo die Campagna unter der steten Wechselwir-
kung des zurückgehenden Ackerbaues und der zunehmenden
bösen Luft jährlich mehr verödete. Labicum, Gabii, Bovillae,
einst freundliche Landstädtchen, waren so verfallen, dass es
schwer hielt Vertreter derselben für die Ceremonie des Latiner-
festes aufzutreiben. Tusculum, obwohl immer noch eine der an-

REPUBLIK UND MONARCHIE.
ein Jahrhundert zuvor Polybios den Verfall von Hellas ableitete (II,
40): daſs es Bürgerpflicht sei die groſsen Vermögen zusammen-
zuhalten und darum nicht zu viel Kinder zu zeugen. — In
Folge dieser socialen Zustände schwand der latinische Stamm in
Italien in erschreckender Weise zusammen und legte sich theils
eine parasitische Bevölkerung, theils die reine Oede über die schö-
nen Landschaften. Ein ansehnlicher Theil der Bevölkerung Italiens
strömte in das Ausland. Schon die Summe von Capacitäten und
Arbeitskräften, welche die Lieferung von italischen Beamten und
italischen Besatzungen für das gesammte Mittelmeergebiet in An-
spruch nahm, überstieg die Kräfte der Halbinsel, zumal da die
also in die Fremde gesandten Elemente zum groſsen Theil der
Nation für immer verloren gingen. Je mehr die römische Ge-
meinde zu einem viele Nationen umfassenden Reiche erwuchs,
desto mehr entwöhnte sich die regierende Aristokratie Italien als
ihre ausschlieſsliche Heimath zu betrachten; von der zum Dienst
ausgehobenen oder angeworbenen Mannschaft aber ging ein an-
sehnlicher Theil in den vielen Kriegen, namentlich in dem blu-
tigen Bürgerkriege zu Grunde und ein anderer ward durch die
lange, zuweilen auf ein Menschenalter sich erstreckende Dienst-
zeit der Heimath völlig entfremdet. Dazu kam die Speculation,
die einen Theil der Gutsbesitzer- und fast die ganze Kaufmann-
schaft auf Zeitlebens oder doch auf lange Zeit auſser Landes fest-
hielt und namentlich die letztere in dem demoralisirenden Han-
delsreiseleben überhaupt der bürgerlichen Existenz im Mutter-
lande und der vielfach bedingten innerhalb der Familie entwöhnte.
Als Ersatz dafür erhielt Italien theils das Sclaven- und Freigelas-
senenproletariat, theils die aus Kleinasien, Syrien und Aegypten
einströmenden Handwerker und Händler, die vornämlich in der
Hauptstadt und mehr noch in den Hafenstädten Ostia, Puteoli,
Brundisium wucherten (II, 389). Aber in dem gröſsten und wich-
tigsten Theil Italiens trat nicht einmal ein solcher Ersatz der reinen
Elemente durch unreine ein, sondern schwand die Bevölkerung
sichtlich. Vor allem galt dies von den Weidelandschaften, wie
denn das gelobte Land der Viehzucht, Apulien von Gleichzeitigen
der menschenleerste Theil Italiens genannt wird, und von der
Umgegend Roms, wo die Campagna unter der steten Wechselwir-
kung des zurückgehenden Ackerbaues und der zunehmenden
bösen Luft jährlich mehr verödete. Labicum, Gabii, Bovillae,
einst freundliche Landstädtchen, waren so verfallen, daſs es
schwer hielt Vertreter derselben für die Ceremonie des Latiner-
festes aufzutreiben. Tusculum, obwohl immer noch eine der an-

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[489/0499] REPUBLIK UND MONARCHIE. ein Jahrhundert zuvor Polybios den Verfall von Hellas ableitete (II, 40): daſs es Bürgerpflicht sei die groſsen Vermögen zusammen- zuhalten und darum nicht zu viel Kinder zu zeugen. — In Folge dieser socialen Zustände schwand der latinische Stamm in Italien in erschreckender Weise zusammen und legte sich theils eine parasitische Bevölkerung, theils die reine Oede über die schö- nen Landschaften. Ein ansehnlicher Theil der Bevölkerung Italiens strömte in das Ausland. Schon die Summe von Capacitäten und Arbeitskräften, welche die Lieferung von italischen Beamten und italischen Besatzungen für das gesammte Mittelmeergebiet in An- spruch nahm, überstieg die Kräfte der Halbinsel, zumal da die also in die Fremde gesandten Elemente zum groſsen Theil der Nation für immer verloren gingen. Je mehr die römische Ge- meinde zu einem viele Nationen umfassenden Reiche erwuchs, desto mehr entwöhnte sich die regierende Aristokratie Italien als ihre ausschlieſsliche Heimath zu betrachten; von der zum Dienst ausgehobenen oder angeworbenen Mannschaft aber ging ein an- sehnlicher Theil in den vielen Kriegen, namentlich in dem blu- tigen Bürgerkriege zu Grunde und ein anderer ward durch die lange, zuweilen auf ein Menschenalter sich erstreckende Dienst- zeit der Heimath völlig entfremdet. Dazu kam die Speculation, die einen Theil der Gutsbesitzer- und fast die ganze Kaufmann- schaft auf Zeitlebens oder doch auf lange Zeit auſser Landes fest- hielt und namentlich die letztere in dem demoralisirenden Han- delsreiseleben überhaupt der bürgerlichen Existenz im Mutter- lande und der vielfach bedingten innerhalb der Familie entwöhnte. Als Ersatz dafür erhielt Italien theils das Sclaven- und Freigelas- senenproletariat, theils die aus Kleinasien, Syrien und Aegypten einströmenden Handwerker und Händler, die vornämlich in der Hauptstadt und mehr noch in den Hafenstädten Ostia, Puteoli, Brundisium wucherten (II, 389). Aber in dem gröſsten und wich- tigsten Theil Italiens trat nicht einmal ein solcher Ersatz der reinen Elemente durch unreine ein, sondern schwand die Bevölkerung sichtlich. Vor allem galt dies von den Weidelandschaften, wie denn das gelobte Land der Viehzucht, Apulien von Gleichzeitigen der menschenleerste Theil Italiens genannt wird, und von der Umgegend Roms, wo die Campagna unter der steten Wechselwir- kung des zurückgehenden Ackerbaues und der zunehmenden bösen Luft jährlich mehr verödete. Labicum, Gabii, Bovillae, einst freundliche Landstädtchen, waren so verfallen, daſs es schwer hielt Vertreter derselben für die Ceremonie des Latiner- festes aufzutreiben. Tusculum, obwohl immer noch eine der an-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 489. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/499>, abgerufen am 18.05.2024.