Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI. oder des Mannes fühlten die Frauen sich entbunden. Liebeshän-del aller Art waren beständig auf dem Tapet. Ballettänzerinnen (mimae) nahmen an Mannigfaltigkeit und Virtuosität ihrer Indu- strien mit den heutigen es vollkommen auf; ihre Primadonnen, die Cytheris und wie sie weiter heissen, beschmutzen selbst die Blätter der Geschichte. Indess ihrem gleichsam concessionirten Gewerbe that sehr wesentlichen Abbruch die freie Kunst der Damen der aristokratischen Kreise. Liaisons in den ersten Häu- sern waren so häufig geworden, dass nur ein ganz ausnehmen- des Aergerniss sie zum Gegenstand besonderen Klatsches machen konnte; ein gerichtliches Einschreiten nun gar schien beinahe lächerlich. Ein Scandal ohne gleichen, wie ihn Publius Clodius 693 bei dem Weiberfest im Hause des Oberpontifex aufführte, ob- wohl tausendmal ärger als die Vorfälle, die noch funfzig Jahre zu- vor zu einer Reihe von Todesurtheilen geführt hatten (II, 400), ging fast ohne Untersuchung und ganz ohne Strafe hin. Die Bade- saison -- im April, wo die Staatsgeschäfte ruhten und die vorneh- Welt in Baiae und Puteoli zusammenströmte -- zog ihren Haupt- reiz mit aus den erlaubten und unerlaubten Verhältnissen, die ne- ben Musik und Gesang und eleganten Frühstücken im Nachen oder am Ufer die Gondelfahrten belebten. Hier herrschten die Damen unumschränkt; indess keineswegs beschränkten sie sich auf diese ihnen von Rechtswegen zustehende Domaine, sondern machten auch Politik, erschienen in Parteizusammenkünften und bethei- ligten sich mit ihrem Geld und ihren Intriguen an dem wüsten Colerietreiben der Zeit. Wer diese Staatsmänninnen auf der Bühne Scipios und Catos agiren und daneben den jungen Elegant sah, wie er mit glattem Kinn, feiner Stimme und trippelndem Gang, mit Kopf- und Busentüchern, Manschettenhemden und Frauensan- dalen das lockere Dirnchen copirte -- dem mochte wohl grauen vor der unnatürlichen Welt, in der die Geschlechter die Rollen schienen wechseln zu wollen. Wie man in den Kreisen dieser Aristokratie über Ehescheidung dachte, lässt das Verfahren ihres besten und sittlichsten Mannes Marcus Cato erkennen, der auf Bitten eines heirathslustigen Freundes von seiner Frau sich zu scheiden keinen Anstand nahm und ebensowenig daran nach dem Tode desselben dieselbe Frau zum zweiten Mal zu heirathen. Ehe- und Kinderlosigkeit griffen vornämlich in den höheren Stän- den immer weiter um sich. Wenn unter diesen die Ehe längst als eine Last galt, die man höchstens im öffentlichen Interesse über sich nahm (I, 641. II, 384), so begegnen wir jetzt schon auch bei Cato und Catos Gesinnungsgenossen der Maxime, aus der FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI. oder des Mannes fühlten die Frauen sich entbunden. Liebeshän-del aller Art waren beständig auf dem Tapet. Ballettänzerinnen (mimae) nahmen an Mannigfaltigkeit und Virtuosität ihrer Indu- strien mit den heutigen es vollkommen auf; ihre Primadonnen, die Cytheris und wie sie weiter heiſsen, beschmutzen selbst die Blätter der Geschichte. Indeſs ihrem gleichsam concessionirten Gewerbe that sehr wesentlichen Abbruch die freie Kunst der Damen der aristokratischen Kreise. Liaisons in den ersten Häu- sern waren so häufig geworden, daſs nur ein ganz ausnehmen- des Aergerniſs sie zum Gegenstand besonderen Klatsches machen konnte; ein gerichtliches Einschreiten nun gar schien beinahe lächerlich. Ein Scandal ohne gleichen, wie ihn Publius Clodius 693 bei dem Weiberfest im Hause des Oberpontifex aufführte, ob- wohl tausendmal ärger als die Vorfälle, die noch funfzig Jahre zu- vor zu einer Reihe von Todesurtheilen geführt hatten (II, 400), ging fast ohne Untersuchung und ganz ohne Strafe hin. Die Bade- saison — im April, wo die Staatsgeschäfte ruhten und die vorneh- Welt in Baiae und Puteoli zusammenströmte — zog ihren Haupt- reiz mit aus den erlaubten und unerlaubten Verhältnissen, die ne- ben Musik und Gesang und eleganten Frühstücken im Nachen oder am Ufer die Gondelfahrten belebten. Hier herrschten die Damen unumschränkt; indeſs keineswegs beschränkten sie sich auf diese ihnen von Rechtswegen zustehende Domaine, sondern machten auch Politik, erschienen in Parteizusammenkünften und bethei- ligten sich mit ihrem Geld und ihren Intriguen an dem wüsten Colerietreiben der Zeit. Wer diese Staatsmänninnen auf der Bühne Scipios und Catos agiren und daneben den jungen Elegant sah, wie er mit glattem Kinn, feiner Stimme und trippelndem Gang, mit Kopf- und Busentüchern, Manschettenhemden und Frauensan- dalen das lockere Dirnchen copirte — dem mochte wohl grauen vor der unnatürlichen Welt, in der die Geschlechter die Rollen schienen wechseln zu wollen. Wie man in den Kreisen dieser Aristokratie über Ehescheidung dachte, läſst das Verfahren ihres besten und sittlichsten Mannes Marcus Cato erkennen, der auf Bitten eines heirathslustigen Freundes von seiner Frau sich zu scheiden keinen Anstand nahm und ebensowenig daran nach dem Tode desselben dieselbe Frau zum zweiten Mal zu heirathen. Ehe- und Kinderlosigkeit griffen vornämlich in den höheren Stän- den immer weiter um sich. Wenn unter diesen die Ehe längst als eine Last galt, die man höchstens im öffentlichen Interesse über sich nahm (I, 641. 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FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
oder des Mannes fühlten die Frauen sich entbunden. Liebeshän-
del aller Art waren beständig auf dem Tapet. Ballettänzerinnen
(mimae) nahmen an Mannigfaltigkeit und Virtuosität ihrer Indu-
strien mit den heutigen es vollkommen auf; ihre Primadonnen,
die Cytheris und wie sie weiter heiſsen, beschmutzen selbst die
Blätter der Geschichte. Indeſs ihrem gleichsam concessionirten
Gewerbe that sehr wesentlichen Abbruch die freie Kunst der
Damen der aristokratischen Kreise. Liaisons in den ersten Häu-
sern waren so häufig geworden, daſs nur ein ganz ausnehmen-
des Aergerniſs sie zum Gegenstand besonderen Klatsches machen
konnte; ein gerichtliches Einschreiten nun gar schien beinahe
lächerlich. Ein Scandal ohne gleichen, wie ihn Publius Clodius
693 bei dem Weiberfest im Hause des Oberpontifex aufführte, ob-
wohl tausendmal ärger als die Vorfälle, die noch funfzig Jahre zu-
vor zu einer Reihe von Todesurtheilen geführt hatten (II, 400),
ging fast ohne Untersuchung und ganz ohne Strafe hin. Die Bade-
saison — im April, wo die Staatsgeschäfte ruhten und die vorneh-
Welt in Baiae und Puteoli zusammenströmte — zog ihren Haupt-
reiz mit aus den erlaubten und unerlaubten Verhältnissen, die ne-
ben Musik und Gesang und eleganten Frühstücken im Nachen oder
am Ufer die Gondelfahrten belebten. Hier herrschten die Damen
unumschränkt; indeſs keineswegs beschränkten sie sich auf diese
ihnen von Rechtswegen zustehende Domaine, sondern machten
auch Politik, erschienen in Parteizusammenkünften und bethei-
ligten sich mit ihrem Geld und ihren Intriguen an dem wüsten
Colerietreiben der Zeit. Wer diese Staatsmänninnen auf der Bühne
Scipios und Catos agiren und daneben den jungen Elegant sah, wie
er mit glattem Kinn, feiner Stimme und trippelndem Gang, mit
Kopf- und Busentüchern, Manschettenhemden und Frauensan-
dalen das lockere Dirnchen copirte — dem mochte wohl grauen
vor der unnatürlichen Welt, in der die Geschlechter die Rollen
schienen wechseln zu wollen. Wie man in den Kreisen dieser
Aristokratie über Ehescheidung dachte, läſst das Verfahren ihres
besten und sittlichsten Mannes Marcus Cato erkennen, der auf
Bitten eines heirathslustigen Freundes von seiner Frau sich zu
scheiden keinen Anstand nahm und ebensowenig daran nach dem
Tode desselben dieselbe Frau zum zweiten Mal zu heirathen.
Ehe- und Kinderlosigkeit griffen vornämlich in den höheren Stän-
den immer weiter um sich. Wenn unter diesen die Ehe längst
als eine Last galt, die man höchstens im öffentlichen Interesse
über sich nahm (I, 641. II, 384), so begegnen wir jetzt schon
auch bei Cato und Catos Gesinnungsgenossen der Maxime, aus der
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