Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI. gesehensten Gemeinden Latiums, bestand fast nur noch aus eini-gen vornehmen Familien, die in der Hauptstadt lebten, aber ihr tusculanisches Heimathrecht festhielten, und stand an Zahl der stimmfähigen Bürger weit zurück selbst hinter den kleinen Ge- meinden im inneren Italien. Der Stamm der waffenfähigen Mann- schaft war in diesem Landstrich, auf dem einst Roms Wehrhaf- tigkeit wesentlich beruht hatte, so vollständig ausgegangen, dass man die im Vergleich mit den gegenwärtigen Verhältnissen fabel- haft klingenden Berichte der Chronik von den Aequer- und Vols- kerkriegen mit Staunen und vielleicht mit Grauen las. Nicht überall war es so arg, namentlich nicht in den übrigen Theilen Mittelitaliens und in Campanien; aber dennoch ,standen', wie Varro klagt, durchgängig ,Italiens einst menschenreiche Städte verödet'. -- Es ist ein grauenvolles Bild, dies Bild Italiens unter dem Regiment der Oligarchie. Zwischen der Welt der Bettler und der Welt der Reichen ist der verhängnissvolle Gegensatz durch nichts vermittelt noch gemildert. Je deutlicher und pein- licher er auf beiden Seiten empfunden ward, je schwindelnd hö- her der Reichthum stieg', je tiefer der Abgrund der Armuth gähnte, desto häufiger ward in dieser wechselvollen Welt der Spe- culation und des Glücksspiels der Einzelne aus der Tiefe in die Höhe und wieder aus der Höhe in die Tiefe geschleudert. Je wei- ter äusserlich die beiden Welten auseinander klafften, desto voll- ständiger begegneten sie sich in der gleichen Vernichtung des Fa- milienlebens, das doch aller Nationalität Keim und Kern ist, in der gleichen Faulheit und Ueppigkeit, der gleichen bodenlosen Oeko- nomie, der gleichen unmännlichen Abhängigkeit, der gleichen nur im Tarif unterschiedenen Corruption, der gleichen Verbre- cherentsittlichung, dem gleichen Gelüsten mit dem Eigenthum den Krieg zu beginnen. Reichthum und Elend im innigen Bunde treiben die Italiker aus Italien aus und füllen die Halbinsel halb mit Sclavengewimmel, halb mit schauerlicher Stille. Es ist ein grauen- volles Bild, aber kein eigenthümliches: überall, wo das Capita- listenregiment im Sclavenstaat sich vollständig entwickelt, hat es Gottes schöne Welt in gleicher Weise verwüstet. Wie die Ströme in verschiedenen Farben spiegeln, die Kloake aber überall sich gleich sieht, so gleicht auch das Italien unter der römischen Oli- garchie wesentlich dem Hellas des Polybios und bestimmter noch dem Karthago der hannibalischen Zeit, wo ganz in ähnlicher Weise das allmächtig regierende Capital den Mittelstand zu Grunde gerichtet, den Handel und die Gutswirthschaft zur höchsten Blü- the gesteigert, und schliesslich eine gleissend übertünchte sittliche FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI. gesehensten Gemeinden Latiums, bestand fast nur noch aus eini-gen vornehmen Familien, die in der Hauptstadt lebten, aber ihr tusculanisches Heimathrecht festhielten, und stand an Zahl der stimmfähigen Bürger weit zurück selbst hinter den kleinen Ge- meinden im inneren Italien. Der Stamm der waffenfähigen Mann- schaft war in diesem Landstrich, auf dem einst Roms Wehrhaf- tigkeit wesentlich beruht hatte, so vollständig ausgegangen, daſs man die im Vergleich mit den gegenwärtigen Verhältnissen fabel- haft klingenden Berichte der Chronik von den Aequer- und Vols- kerkriegen mit Staunen und vielleicht mit Grauen las. Nicht überall war es so arg, namentlich nicht in den übrigen Theilen Mittelitaliens und in Campanien; aber dennoch ‚standen‘, wie Varro klagt, durchgängig ‚Italiens einst menschenreiche Städte verödet‘. — Es ist ein grauenvolles Bild, dies Bild Italiens unter dem Regiment der Oligarchie. Zwischen der Welt der Bettler und der Welt der Reichen ist der verhängniſsvolle Gegensatz durch nichts vermittelt noch gemildert. Je deutlicher und pein- licher er auf beiden Seiten empfunden ward, je schwindelnd hö- her der Reichthum stieg', je tiefer der Abgrund der Armuth gähnte, desto häufiger ward in dieser wechselvollen Welt der Spe- culation und des Glücksspiels der Einzelne aus der Tiefe in die Höhe und wieder aus der Höhe in die Tiefe geschleudert. Je wei- ter äuſserlich die beiden Welten auseinander klafften, desto voll- ständiger begegneten sie sich in der gleichen Vernichtung des Fa- milienlebens, das doch aller Nationalität Keim und Kern ist, in der gleichen Faulheit und Ueppigkeit, der gleichen bodenlosen Oeko- nomie, der gleichen unmännlichen Abhängigkeit, der gleichen nur im Tarif unterschiedenen Corruption, der gleichen Verbre- cherentsittlichung, dem gleichen Gelüsten mit dem Eigenthum den Krieg zu beginnen. Reichthum und Elend im innigen Bunde treiben die Italiker aus Italien aus und füllen die Halbinsel halb mit Sclavengewimmel, halb mit schauerlicher Stille. Es ist ein grauen- volles Bild, aber kein eigenthümliches: überall, wo das Capita- listenregiment im Sclavenstaat sich vollständig entwickelt, hat es Gottes schöne Welt in gleicher Weise verwüstet. Wie die Ströme in verschiedenen Farben spiegeln, die Kloake aber überall sich gleich sieht, so gleicht auch das Italien unter der römischen Oli- garchie wesentlich dem Hellas des Polybios und bestimmter noch dem Karthago der hannibalischen Zeit, wo ganz in ähnlicher Weise das allmächtig regierende Capital den Mittelstand zu Grunde gerichtet, den Handel und die Gutswirthschaft zur höchsten Blü- the gesteigert, und schlieſslich eine gleiſsend übertünchte sittliche <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0500" n="490"/><fw place="top" type="header">FÜNFTES BUCH. 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Nicht<lb/> überall war es so arg, namentlich nicht in den übrigen Theilen<lb/> Mittelitaliens und in Campanien; aber dennoch ‚standen‘, wie<lb/> Varro klagt, durchgängig ‚Italiens einst menschenreiche Städte<lb/> verödet‘. — Es ist ein grauenvolles Bild, dies Bild Italiens unter<lb/> dem Regiment der Oligarchie. Zwischen der Welt der Bettler<lb/> und der Welt der Reichen ist der verhängniſsvolle Gegensatz<lb/> durch nichts vermittelt noch gemildert. Je deutlicher und pein-<lb/> licher er auf beiden Seiten empfunden ward, je schwindelnd hö-<lb/> her der Reichthum stieg', je tiefer der Abgrund der Armuth<lb/> gähnte, desto häufiger ward in dieser wechselvollen Welt der Spe-<lb/> culation und des Glücksspiels der Einzelne aus der Tiefe in die<lb/> Höhe und wieder aus der Höhe in die Tiefe geschleudert. Je wei-<lb/> ter äuſserlich die beiden Welten auseinander klafften, desto voll-<lb/> ständiger begegneten sie sich in der gleichen Vernichtung des Fa-<lb/> milienlebens, das doch aller Nationalität Keim und Kern ist, in der<lb/> gleichen Faulheit und Ueppigkeit, der gleichen bodenlosen Oeko-<lb/> nomie, der gleichen unmännlichen Abhängigkeit, der gleichen<lb/> nur im Tarif unterschiedenen Corruption, der gleichen Verbre-<lb/> cherentsittlichung, dem gleichen Gelüsten mit dem Eigenthum<lb/> den Krieg zu beginnen. Reichthum und Elend im innigen Bunde<lb/> treiben die Italiker aus Italien aus und füllen die Halbinsel halb mit<lb/> Sclavengewimmel, halb mit schauerlicher Stille. Es ist ein grauen-<lb/> volles Bild, aber kein eigenthümliches: überall, wo das Capita-<lb/> listenregiment im Sclavenstaat sich vollständig entwickelt, hat es<lb/> Gottes schöne Welt in gleicher Weise verwüstet. 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FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
gesehensten Gemeinden Latiums, bestand fast nur noch aus eini-
gen vornehmen Familien, die in der Hauptstadt lebten, aber ihr
tusculanisches Heimathrecht festhielten, und stand an Zahl der
stimmfähigen Bürger weit zurück selbst hinter den kleinen Ge-
meinden im inneren Italien. Der Stamm der waffenfähigen Mann-
schaft war in diesem Landstrich, auf dem einst Roms Wehrhaf-
tigkeit wesentlich beruht hatte, so vollständig ausgegangen, daſs
man die im Vergleich mit den gegenwärtigen Verhältnissen fabel-
haft klingenden Berichte der Chronik von den Aequer- und Vols-
kerkriegen mit Staunen und vielleicht mit Grauen las. Nicht
überall war es so arg, namentlich nicht in den übrigen Theilen
Mittelitaliens und in Campanien; aber dennoch ‚standen‘, wie
Varro klagt, durchgängig ‚Italiens einst menschenreiche Städte
verödet‘. — Es ist ein grauenvolles Bild, dies Bild Italiens unter
dem Regiment der Oligarchie. Zwischen der Welt der Bettler
und der Welt der Reichen ist der verhängniſsvolle Gegensatz
durch nichts vermittelt noch gemildert. Je deutlicher und pein-
licher er auf beiden Seiten empfunden ward, je schwindelnd hö-
her der Reichthum stieg', je tiefer der Abgrund der Armuth
gähnte, desto häufiger ward in dieser wechselvollen Welt der Spe-
culation und des Glücksspiels der Einzelne aus der Tiefe in die
Höhe und wieder aus der Höhe in die Tiefe geschleudert. Je wei-
ter äuſserlich die beiden Welten auseinander klafften, desto voll-
ständiger begegneten sie sich in der gleichen Vernichtung des Fa-
milienlebens, das doch aller Nationalität Keim und Kern ist, in der
gleichen Faulheit und Ueppigkeit, der gleichen bodenlosen Oeko-
nomie, der gleichen unmännlichen Abhängigkeit, der gleichen
nur im Tarif unterschiedenen Corruption, der gleichen Verbre-
cherentsittlichung, dem gleichen Gelüsten mit dem Eigenthum
den Krieg zu beginnen. Reichthum und Elend im innigen Bunde
treiben die Italiker aus Italien aus und füllen die Halbinsel halb mit
Sclavengewimmel, halb mit schauerlicher Stille. Es ist ein grauen-
volles Bild, aber kein eigenthümliches: überall, wo das Capita-
listenregiment im Sclavenstaat sich vollständig entwickelt, hat es
Gottes schöne Welt in gleicher Weise verwüstet. Wie die Ströme
in verschiedenen Farben spiegeln, die Kloake aber überall sich
gleich sieht, so gleicht auch das Italien unter der römischen Oli-
garchie wesentlich dem Hellas des Polybios und bestimmter
noch dem Karthago der hannibalischen Zeit, wo ganz in ähnlicher
Weise das allmächtig regierende Capital den Mittelstand zu Grunde
gerichtet, den Handel und die Gutswirthschaft zur höchsten Blü-
the gesteigert, und schlieſslich eine gleiſsend übertünchte sittliche
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