Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.REPUBLIK UND MONARCHIE. Ziffern, um das relative Mass der Armuth und des Reichthumsfür diese Epoche scharf zu bezeichnen; doch darf hier wohl wie- der an die Aeusserung erinnert werden, die etwa funfzig Jahre früher ein römischer Staatsmann that (II, 126): dass die Zahl der Familien von festgegründetem Reichthum innerhalb der rö- mischen Bürgerschaft nicht auf 2000 sich belaufe. Die Bürger- schaft war seitdem eine andere geworden; aber dass das Missver- hältniss zwischen Arm und Reich sich wenigstens gleichgeblieben war, dafür sprechen deutliche Symptome. Die progressive Ver- armung der Menge offenbart sich nur zu grell in dem Zudrang zu den Getreidespenden und zur Anwerbung unter das Heer; die ana- loge Steigerung des Reichthums bezeugt ausdrücklich ein Schrift- steller dieser Generation, indem er von den Verhältnissen der ma- rianischen Zeit sprechend ein Vermögen von 2 Mill. Sest. (143000 Thlr.) ,nach damaligen Verhältnissen Reichthum' nennt; und eben dahin führen die Angaben, die wir über das Vermögen ein- zelner Individuen finden. Der schwerreiche Lucius Domitius Ahenobarbus verhiess zwanzigtausend Soldaten jedem 4 Jugera Land aus eigenem Besitz; das Vermögen des Pompeius belief sich auf 70 Mill. Sest. (5 Mill. Thlr.), das des Schauspielers Aesopus auf 20 (1,430000 Thlr.); Marcus Crassus, der Reichste der Rei- chen besass am Anfang seiner Laufbahn 7 (500000 Thlr.), am Ausgang derselben nach Verspendung ungeheurer Summen an das Volk 170 Mill. Sest. (12 Mill. Thlr.). Die Folgen solcher Armuth und solchen Reichthums waren nach beiden Seiten eine äusserlich verschiedene, aber wesentlich gleichartige ökonomische und sitt- liche Zerrüttung. Wenn der gemeine Mann einzig durch die Unter- stützung aus Staatsmitteln vor dem Verhungern gerettet ward, so war es nur eine Folge dieses Bettlerelends, die freilich wechsel- wirkend auch wieder als Ursache auftrat, dass er der Bettlerfaul- heit und dem bettlerhaften Wohlleben sich ergab. Statt zu arbei- ten gaffte der römische Plebejer lieber im Theater; die Schenken und Bordelle hatten solchen Zuspruch, dass die Demagogen ihre Rechnung dabei fanden vorwiegend die Besitzer derartiger Eta- blissements in ihr Interesse zu ziehen. Die Fechterspiele, die Offenbarung wie die Nahrung der ärgsten Demoralisation in der alten Welt, waren zu solcher Blüthe gelangt, dass mit dem Verkauf der Programme derselben ein einträgliches Geschäft ge- macht ward, und nahmen in dieser Zeit die entsetzliche Neue- rung auf, dass über Leben und Tod des Besiegten nicht das Duellgesetz oder die Willkür des Siegers, sondern die Laune des zuschauenden Publikums entschied und nach dessen Wink 31 *
REPUBLIK UND MONARCHIE. Ziffern, um das relative Maſs der Armuth und des Reichthumsfür diese Epoche scharf zu bezeichnen; doch darf hier wohl wie- der an die Aeuſserung erinnert werden, die etwa funfzig Jahre früher ein römischer Staatsmann that (II, 126): daſs die Zahl der Familien von festgegründetem Reichthum innerhalb der rö- mischen Bürgerschaft nicht auf 2000 sich belaufe. Die Bürger- schaft war seitdem eine andere geworden; aber daſs das Miſsver- hältniſs zwischen Arm und Reich sich wenigstens gleichgeblieben war, dafür sprechen deutliche Symptome. Die progressive Ver- armung der Menge offenbart sich nur zu grell in dem Zudrang zu den Getreidespenden und zur Anwerbung unter das Heer; die ana- loge Steigerung des Reichthums bezeugt ausdrücklich ein Schrift- steller dieser Generation, indem er von den Verhältnissen der ma- rianischen Zeit sprechend ein Vermögen von 2 Mill. Sest. (143000 Thlr.) ‚nach damaligen Verhältnissen Reichthum‘ nennt; und eben dahin führen die Angaben, die wir über das Vermögen ein- zelner Individuen finden. Der schwerreiche Lucius Domitius Ahenobarbus verhieſs zwanzigtausend Soldaten jedem 4 Jugera Land aus eigenem Besitz; das Vermögen des Pompeius belief sich auf 70 Mill. Sest. (5 Mill. Thlr.), das des Schauspielers Aesopus auf 20 (1,430000 Thlr.); Marcus Crassus, der Reichste der Rei- chen besaſs am Anfang seiner Laufbahn 7 (500000 Thlr.), am Ausgang derselben nach Verspendung ungeheurer Summen an das Volk 170 Mill. Sest. (12 Mill. Thlr.). Die Folgen solcher Armuth und solchen Reichthums waren nach beiden Seiten eine äuſserlich verschiedene, aber wesentlich gleichartige ökonomische und sitt- liche Zerrüttung. Wenn der gemeine Mann einzig durch die Unter- stützung aus Staatsmitteln vor dem Verhungern gerettet ward, so war es nur eine Folge dieses Bettlerelends, die freilich wechsel- wirkend auch wieder als Ursache auftrat, daſs er der Bettlerfaul- heit und dem bettlerhaften Wohlleben sich ergab. Statt zu arbei- ten gaffte der römische Plebejer lieber im Theater; die Schenken und Bordelle hatten solchen Zuspruch, daſs die Demagogen ihre Rechnung dabei fanden vorwiegend die Besitzer derartiger Eta- blissements in ihr Interesse zu ziehen. Die Fechterspiele, die Offenbarung wie die Nahrung der ärgsten Demoralisation in der alten Welt, waren zu solcher Blüthe gelangt, daſs mit dem Verkauf der Programme derselben ein einträgliches Geschäft ge- macht ward, und nahmen in dieser Zeit die entsetzliche Neue- rung auf, daſs über Leben und Tod des Besiegten nicht das Duellgesetz oder die Willkür des Siegers, sondern die Laune des zuschauenden Publikums entschied und nach dessen Wink 31 *
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REPUBLIK UND MONARCHIE.
Ziffern, um das relative Maſs der Armuth und des Reichthums
für diese Epoche scharf zu bezeichnen; doch darf hier wohl wie-
der an die Aeuſserung erinnert werden, die etwa funfzig Jahre
früher ein römischer Staatsmann that (II, 126): daſs die Zahl
der Familien von festgegründetem Reichthum innerhalb der rö-
mischen Bürgerschaft nicht auf 2000 sich belaufe. Die Bürger-
schaft war seitdem eine andere geworden; aber daſs das Miſsver-
hältniſs zwischen Arm und Reich sich wenigstens gleichgeblieben
war, dafür sprechen deutliche Symptome. Die progressive Ver-
armung der Menge offenbart sich nur zu grell in dem Zudrang zu
den Getreidespenden und zur Anwerbung unter das Heer; die ana-
loge Steigerung des Reichthums bezeugt ausdrücklich ein Schrift-
steller dieser Generation, indem er von den Verhältnissen der ma-
rianischen Zeit sprechend ein Vermögen von 2 Mill. Sest. (143000
Thlr.) ‚nach damaligen Verhältnissen Reichthum‘ nennt; und
eben dahin führen die Angaben, die wir über das Vermögen ein-
zelner Individuen finden. Der schwerreiche Lucius Domitius
Ahenobarbus verhieſs zwanzigtausend Soldaten jedem 4 Jugera
Land aus eigenem Besitz; das Vermögen des Pompeius belief sich
auf 70 Mill. Sest. (5 Mill. Thlr.), das des Schauspielers Aesopus
auf 20 (1,430000 Thlr.); Marcus Crassus, der Reichste der Rei-
chen besaſs am Anfang seiner Laufbahn 7 (500000 Thlr.), am
Ausgang derselben nach Verspendung ungeheurer Summen an das
Volk 170 Mill. Sest. (12 Mill. Thlr.). Die Folgen solcher Armuth
und solchen Reichthums waren nach beiden Seiten eine äuſserlich
verschiedene, aber wesentlich gleichartige ökonomische und sitt-
liche Zerrüttung. Wenn der gemeine Mann einzig durch die Unter-
stützung aus Staatsmitteln vor dem Verhungern gerettet ward, so
war es nur eine Folge dieses Bettlerelends, die freilich wechsel-
wirkend auch wieder als Ursache auftrat, daſs er der Bettlerfaul-
heit und dem bettlerhaften Wohlleben sich ergab. Statt zu arbei-
ten gaffte der römische Plebejer lieber im Theater; die Schenken
und Bordelle hatten solchen Zuspruch, daſs die Demagogen ihre
Rechnung dabei fanden vorwiegend die Besitzer derartiger Eta-
blissements in ihr Interesse zu ziehen. Die Fechterspiele, die
Offenbarung wie die Nahrung der ärgsten Demoralisation in
der alten Welt, waren zu solcher Blüthe gelangt, daſs mit dem
Verkauf der Programme derselben ein einträgliches Geschäft ge-
macht ward, und nahmen in dieser Zeit die entsetzliche Neue-
rung auf, daſs über Leben und Tod des Besiegten nicht das
Duellgesetz oder die Willkür des Siegers, sondern die Laune
des zuschauenden Publikums entschied und nach dessen Wink
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