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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
sich verzweigenden Geldgeschäften ein ungeheures Vermögen
gewann, dabei aber durchaus der einfache Geschäftsmann blieb,
sich nicht verleiten liess um ein Amt zu werben oder auch nur
Staatsgeldgeschäfte zu machen, und dem geizigen Knausern eben
so fern wie dem wüsten und lästigen Luxus dieser Zeit -- seine
Tafel zum Beispiel ward mit 100 Sesterzen (7 Thlr.) täglich be-
stritten -- sich an einer bequemen die Anmuth des Land- und des
Stadtlebens, die Freuden des Verkehrs mit der besten Gesellschaft
Roms und Griechenlands und jeden Genuss der Litteratur und
der Kunst sich aneignenden Existenz genügen liess. Zahlreicher
und tüchtiger waren die italischen Gutsbesitzer alten Schlages.
Die gleichzeitige Litteratur bewahrt das Bild eines solchen Land-
edelmanns (paterfamilias rusticanus): sein Vermögen, angeschla-
gen auf 6 Mill. Sesterzen (429000 Thlr.), ist wesentlich angelegt
in seinen dreizehn Landgütern; die Wirthschaft betreibt er selbst
rationell und mit Leidenschaft; nach der Hauptstadt kommt er sel-
ten oder nie, und wenn er dort erscheint, so sticht er mit seinen
ungehobelten Manieren von dem seinen Senator nicht minder ab
wie die zahllosen Schaaren seiner rauhen Ackerknechte von dem
zierlichen hauptstädtischen Bedientenschwarm. Mehr als die kos-
mopolitisch gebildeten Adelskreise und der überall und nirgends
heimische Kaufmannsstand bewahrten diese Gutsbesitzer und die
wesentlich durch dieselben gehaltenen ,Ackerstädte' (municipia
rusticana
) sowohl die Zucht und Sitte der Väter als auch deren
reine und edle Sprache. Der Gutsbesitzerstand gilt als der Kern
der Nation; der Speculant, der sein Vermögen gemacht hat und
unter die Notabeln des Landes einzutreten wünscht, kauft sich
an und sucht wenn nicht selbst Squire zu werden, doch wenig-
stens seinen Sohn dazu zu erziehen. Den Spuren dieser Guts-
besitzerschaft begegnen wir, wo in der Politik eine volksthüm-
liche Regung sich zeigt und wo die Litteratur einen grünen
Spross treibt: aus ihr sog die patriotische Opposition gegen die
neue Monarchie ihre beste Kraft und ihr gehören Varro. Lucre-
tius, Catullus an; und vielleicht nirgends tritt die relative Frische
dieser Gutsbesitzerexistenz charakteristischer hervor als in der
anmuthigen arpinatischen Einleitung zu dem zweiten Buche der
Schrift Ciceros von den Gesetzen, einer grünen Oase in der
fürchterlichen Oede dieses ebenso leeren wie voluminösen Scri-
benten. -- Aber die gebildete Kaufmannschaft und der tüchtige
Gutsbesitzerstand wird weit überwuchert von den beiden ton-
angebenden Classen der Gesellschaft: dem Bettelvolk und der
eigentlichen vornehmen Welt. Wir haben keine statistischen

FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
sich verzweigenden Geldgeschäften ein ungeheures Vermögen
gewann, dabei aber durchaus der einfache Geschäftsmann blieb,
sich nicht verleiten lieſs um ein Amt zu werben oder auch nur
Staatsgeldgeschäfte zu machen, und dem geizigen Knausern eben
so fern wie dem wüsten und lästigen Luxus dieser Zeit — seine
Tafel zum Beispiel ward mit 100 Sesterzen (7 Thlr.) täglich be-
stritten — sich an einer bequemen die Anmuth des Land- und des
Stadtlebens, die Freuden des Verkehrs mit der besten Gesellschaft
Roms und Griechenlands und jeden Genuſs der Litteratur und
der Kunst sich aneignenden Existenz genügen lieſs. Zahlreicher
und tüchtiger waren die italischen Gutsbesitzer alten Schlages.
Die gleichzeitige Litteratur bewahrt das Bild eines solchen Land-
edelmanns (paterfamilias rusticanus): sein Vermögen, angeschla-
gen auf 6 Mill. Sesterzen (429000 Thlr.), ist wesentlich angelegt
in seinen dreizehn Landgütern; die Wirthschaft betreibt er selbst
rationell und mit Leidenschaft; nach der Hauptstadt kommt er sel-
ten oder nie, und wenn er dort erscheint, so sticht er mit seinen
ungehobelten Manieren von dem seinen Senator nicht minder ab
wie die zahllosen Schaaren seiner rauhen Ackerknechte von dem
zierlichen hauptstädtischen Bedientenschwarm. Mehr als die kos-
mopolitisch gebildeten Adelskreise und der überall und nirgends
heimische Kaufmannsstand bewahrten diese Gutsbesitzer und die
wesentlich durch dieselben gehaltenen ‚Ackerstädte‘ (municipia
rusticana
) sowohl die Zucht und Sitte der Väter als auch deren
reine und edle Sprache. Der Gutsbesitzerstand gilt als der Kern
der Nation; der Speculant, der sein Vermögen gemacht hat und
unter die Notabeln des Landes einzutreten wünscht, kauft sich
an und sucht wenn nicht selbst Squire zu werden, doch wenig-
stens seinen Sohn dazu zu erziehen. Den Spuren dieser Guts-
besitzerschaft begegnen wir, wo in der Politik eine volksthüm-
liche Regung sich zeigt und wo die Litteratur einen grünen
Sproſs treibt: aus ihr sog die patriotische Opposition gegen die
neue Monarchie ihre beste Kraft und ihr gehören Varro. Lucre-
tius, Catullus an; und vielleicht nirgends tritt die relative Frische
dieser Gutsbesitzerexistenz charakteristischer hervor als in der
anmuthigen arpinatischen Einleitung zu dem zweiten Buche der
Schrift Ciceros von den Gesetzen, einer grünen Oase in der
fürchterlichen Oede dieses ebenso leeren wie voluminösen Scri-
benten. — Aber die gebildete Kaufmannschaft und der tüchtige
Gutsbesitzerstand wird weit überwuchert von den beiden ton-
angebenden Classen der Gesellschaft: dem Bettelvolk und der
eigentlichen vornehmen Welt. Wir haben keine statistischen

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[482/0492] FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI. sich verzweigenden Geldgeschäften ein ungeheures Vermögen gewann, dabei aber durchaus der einfache Geschäftsmann blieb, sich nicht verleiten lieſs um ein Amt zu werben oder auch nur Staatsgeldgeschäfte zu machen, und dem geizigen Knausern eben so fern wie dem wüsten und lästigen Luxus dieser Zeit — seine Tafel zum Beispiel ward mit 100 Sesterzen (7 Thlr.) täglich be- stritten — sich an einer bequemen die Anmuth des Land- und des Stadtlebens, die Freuden des Verkehrs mit der besten Gesellschaft Roms und Griechenlands und jeden Genuſs der Litteratur und der Kunst sich aneignenden Existenz genügen lieſs. Zahlreicher und tüchtiger waren die italischen Gutsbesitzer alten Schlages. Die gleichzeitige Litteratur bewahrt das Bild eines solchen Land- edelmanns (paterfamilias rusticanus): sein Vermögen, angeschla- gen auf 6 Mill. Sesterzen (429000 Thlr.), ist wesentlich angelegt in seinen dreizehn Landgütern; die Wirthschaft betreibt er selbst rationell und mit Leidenschaft; nach der Hauptstadt kommt er sel- ten oder nie, und wenn er dort erscheint, so sticht er mit seinen ungehobelten Manieren von dem seinen Senator nicht minder ab wie die zahllosen Schaaren seiner rauhen Ackerknechte von dem zierlichen hauptstädtischen Bedientenschwarm. Mehr als die kos- mopolitisch gebildeten Adelskreise und der überall und nirgends heimische Kaufmannsstand bewahrten diese Gutsbesitzer und die wesentlich durch dieselben gehaltenen ‚Ackerstädte‘ (municipia rusticana) sowohl die Zucht und Sitte der Väter als auch deren reine und edle Sprache. Der Gutsbesitzerstand gilt als der Kern der Nation; der Speculant, der sein Vermögen gemacht hat und unter die Notabeln des Landes einzutreten wünscht, kauft sich an und sucht wenn nicht selbst Squire zu werden, doch wenig- stens seinen Sohn dazu zu erziehen. Den Spuren dieser Guts- besitzerschaft begegnen wir, wo in der Politik eine volksthüm- liche Regung sich zeigt und wo die Litteratur einen grünen Sproſs treibt: aus ihr sog die patriotische Opposition gegen die neue Monarchie ihre beste Kraft und ihr gehören Varro. Lucre- tius, Catullus an; und vielleicht nirgends tritt die relative Frische dieser Gutsbesitzerexistenz charakteristischer hervor als in der anmuthigen arpinatischen Einleitung zu dem zweiten Buche der Schrift Ciceros von den Gesetzen, einer grünen Oase in der fürchterlichen Oede dieses ebenso leeren wie voluminösen Scri- benten. — Aber die gebildete Kaufmannschaft und der tüchtige Gutsbesitzerstand wird weit überwuchert von den beiden ton- angebenden Classen der Gesellschaft: dem Bettelvolk und der eigentlichen vornehmen Welt. Wir haben keine statistischen

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 482. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/492>, abgerufen am 22.05.2024.