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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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REPUBLIK UND MONARCHIE.
gegen ihn sann. Wie jeder echte Staatsmann diente er dem Volke
nicht um Lohn, auch nicht um den Lohn seiner Liebe, sondern
gab die Gunst der Zeitgenossen hin für den Segen der Zukunft
und vor allem für die Erlaubniss seine Nation retten und ver-
jüngen zu dürfen.

Versuchen wir im Einzelnen Rechenschaft zu geben von der
Ueberführung der alten Zustände in die neue Bahn, so ist zu-
nächst daran zu erinnern, dass Caesar nicht kam um anzufangen,
sondern um zu vollenden. Der Plan zu einer neuen zeitgemässen
Politie, längst von Gaius Gracchus entworfen, war von seinen
Anhängern und Nachfolgern wohl mit mehr oder minder Geist
und Glück, aber ohne Schwanken festgehalten worden. Caesar,
von Haus aus und gleichsam schon nach Erbrecht das Haupt der
Popularpartei, hatte seit dreissig Jahren deren Schild hoch em-
porgehalten, ohne je die Farbe zu verleugnen oder auch nur zu
decken; er blieb Demokrat auch als Monarch. Wie er die Erbschaft
seiner Partei, abgesehen natürlich von den clodischen und ca-
tilinarischen Verkehrtheiten, unbeschränkt antrat, der Aristokratie
und den echten Aristokraten den bittersten selbst persönlichen
Hass zollte und die wesentlichen Gedanken der römischen Demo-
kratie: die Milderung der Lage der Schuldner, die überseeische
Colonisation, die allmähliche Nivellirung der unter den Klassen
der Staatsangehörigen bestehenden Rechtsverschiedenheiten, die
Emancipirung der executiven Gewalt vom Senat unverändert fest-
hielt, so war auch seine Monarchie so wenig mit der Demokratie
im Widerspruch, dass vielmehr diese erst durch sie zur Vollen-
dung und Erfüllung gelangte. Denn diese Monarchie war nicht
die orientalische Despotie von Gottes Gnaden, sondern die Mo-
narchie, wie Gaius Gracchus sie gründen wollte, wie Perikles und
Cromwell sie gründeten: die Vertretung der Nation durch ihren
höchsten und unumschränkten Vertrauensmann. Es waren inso-
fern die Gedanken, die dem Werke Caesars zu Grunde lagen,
nicht eigentlich neue; aber ihm gehört ihre Verwirklichung, die
zuletzt überall die Hauptsache bleibt, und ihm die Grossheit der
Ausführung, die selbst den genialen Entwerfer, wenn er sie hätte
schauen können, überrascht haben möchte.

Die Stellung des neuen Staatsoberhaupts erscheint formell
in seltsamer Gestalt. Caesar übernahm die Dictatur zuerst vor-
übergehend 705, dann nach der pharsalischen Schlacht vom
Herbst 706 an als jährlich erneuertes Amt, hierauf nach der
Schlacht von Thapsus 708 auf zehn Jahre und endlich 710 auf
Lebenszeit; ferner die Censur unter dem neuen Titel eines Sitten-

REPUBLIK UND MONARCHIE.
gegen ihn sann. Wie jeder echte Staatsmann diente er dem Volke
nicht um Lohn, auch nicht um den Lohn seiner Liebe, sondern
gab die Gunst der Zeitgenossen hin für den Segen der Zukunft
und vor allem für die Erlaubniſs seine Nation retten und ver-
jüngen zu dürfen.

Versuchen wir im Einzelnen Rechenschaft zu geben von der
Ueberführung der alten Zustände in die neue Bahn, so ist zu-
nächst daran zu erinnern, daſs Caesar nicht kam um anzufangen,
sondern um zu vollenden. Der Plan zu einer neuen zeitgemäſsen
Politie, längst von Gaius Gracchus entworfen, war von seinen
Anhängern und Nachfolgern wohl mit mehr oder minder Geist
und Glück, aber ohne Schwanken festgehalten worden. Caesar,
von Haus aus und gleichsam schon nach Erbrecht das Haupt der
Popularpartei, hatte seit dreiſsig Jahren deren Schild hoch em-
porgehalten, ohne je die Farbe zu verleugnen oder auch nur zu
decken; er blieb Demokrat auch als Monarch. Wie er die Erbschaft
seiner Partei, abgesehen natürlich von den clodischen und ca-
tilinarischen Verkehrtheiten, unbeschränkt antrat, der Aristokratie
und den echten Aristokraten den bittersten selbst persönlichen
Haſs zollte und die wesentlichen Gedanken der römischen Demo-
kratie: die Milderung der Lage der Schuldner, die überseeische
Colonisation, die allmähliche Nivellirung der unter den Klassen
der Staatsangehörigen bestehenden Rechtsverschiedenheiten, die
Emancipirung der executiven Gewalt vom Senat unverändert fest-
hielt, so war auch seine Monarchie so wenig mit der Demokratie
im Widerspruch, daſs vielmehr diese erst durch sie zur Vollen-
dung und Erfüllung gelangte. Denn diese Monarchie war nicht
die orientalische Despotie von Gottes Gnaden, sondern die Mo-
narchie, wie Gaius Gracchus sie gründen wollte, wie Perikles und
Cromwell sie gründeten: die Vertretung der Nation durch ihren
höchsten und unumschränkten Vertrauensmann. Es waren inso-
fern die Gedanken, die dem Werke Caesars zu Grunde lagen,
nicht eigentlich neue; aber ihm gehört ihre Verwirklichung, die
zuletzt überall die Hauptsache bleibt, und ihm die Groſsheit der
Ausführung, die selbst den genialen Entwerfer, wenn er sie hätte
schauen können, überrascht haben möchte.

Die Stellung des neuen Staatsoberhaupts erscheint formell
in seltsamer Gestalt. Caesar übernahm die Dictatur zuerst vor-
übergehend 705, dann nach der pharsalischen Schlacht vom
Herbst 706 an als jährlich erneuertes Amt, hierauf nach der
Schlacht von Thapsus 708 auf zehn Jahre und endlich 710 auf
Lebenszeit; ferner die Censur unter dem neuen Titel eines Sitten-

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[443/0453] REPUBLIK UND MONARCHIE. gegen ihn sann. Wie jeder echte Staatsmann diente er dem Volke nicht um Lohn, auch nicht um den Lohn seiner Liebe, sondern gab die Gunst der Zeitgenossen hin für den Segen der Zukunft und vor allem für die Erlaubniſs seine Nation retten und ver- jüngen zu dürfen. Versuchen wir im Einzelnen Rechenschaft zu geben von der Ueberführung der alten Zustände in die neue Bahn, so ist zu- nächst daran zu erinnern, daſs Caesar nicht kam um anzufangen, sondern um zu vollenden. Der Plan zu einer neuen zeitgemäſsen Politie, längst von Gaius Gracchus entworfen, war von seinen Anhängern und Nachfolgern wohl mit mehr oder minder Geist und Glück, aber ohne Schwanken festgehalten worden. Caesar, von Haus aus und gleichsam schon nach Erbrecht das Haupt der Popularpartei, hatte seit dreiſsig Jahren deren Schild hoch em- porgehalten, ohne je die Farbe zu verleugnen oder auch nur zu decken; er blieb Demokrat auch als Monarch. Wie er die Erbschaft seiner Partei, abgesehen natürlich von den clodischen und ca- tilinarischen Verkehrtheiten, unbeschränkt antrat, der Aristokratie und den echten Aristokraten den bittersten selbst persönlichen Haſs zollte und die wesentlichen Gedanken der römischen Demo- kratie: die Milderung der Lage der Schuldner, die überseeische Colonisation, die allmähliche Nivellirung der unter den Klassen der Staatsangehörigen bestehenden Rechtsverschiedenheiten, die Emancipirung der executiven Gewalt vom Senat unverändert fest- hielt, so war auch seine Monarchie so wenig mit der Demokratie im Widerspruch, daſs vielmehr diese erst durch sie zur Vollen- dung und Erfüllung gelangte. Denn diese Monarchie war nicht die orientalische Despotie von Gottes Gnaden, sondern die Mo- narchie, wie Gaius Gracchus sie gründen wollte, wie Perikles und Cromwell sie gründeten: die Vertretung der Nation durch ihren höchsten und unumschränkten Vertrauensmann. Es waren inso- fern die Gedanken, die dem Werke Caesars zu Grunde lagen, nicht eigentlich neue; aber ihm gehört ihre Verwirklichung, die zuletzt überall die Hauptsache bleibt, und ihm die Groſsheit der Ausführung, die selbst den genialen Entwerfer, wenn er sie hätte schauen können, überrascht haben möchte. Die Stellung des neuen Staatsoberhaupts erscheint formell in seltsamer Gestalt. Caesar übernahm die Dictatur zuerst vor- übergehend 705, dann nach der pharsalischen Schlacht vom Herbst 706 an als jährlich erneuertes Amt, hierauf nach der Schlacht von Thapsus 708 auf zehn Jahre und endlich 710 auf Lebenszeit; ferner die Censur unter dem neuen Titel eines Sitten-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 443. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/453>, abgerufen am 18.05.2024.