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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
jüngeren Generation ward nicht gestattet in passiver Opposition
zu schmollen, sondern sie wurden durch mehr oder minder ge-
linden Zwang veranlasst sich an der neuen Verwaltung thätig zu
betheiligen und Ehren und Aemter von ihr anzunehmen. Wie
für Heinrich IV. und Wilhelm von Oranien so begannen auch
für Caesar die grössten Schwierigkeiten erst nach dem Siege;
denn er blieb nicht, wie Cinna und Sulla, auch nach demselben
Parteihaupt, sondern es trat ihm damit an die Stelle der Parteiin-
teressen die Wohlfahrt des Gemeinwesens. Jeder revolutionäre
Sieger macht die Erfahrung, dass in diesem Falle die erste Folge
des Sieges ist alle Parteien gegen den Sieger zu vereinigen; und
um so mehr, je grösser und reiner der Sieger seinen neuen Be-
ruf auffasst. Die Verfassungsfreunde und die Pompeianer, wenn
sie auch mit den Lippen Caesar huldigten, grollten doch im Her-
zen der Monarchie oder wenigstens der Dynastie; die gesunkene
Demokratie war, seit sie begriffen, dass Caesars Zwecke keines-
wegs die ihrigen waren, gegen denselben in offenem Aufruhr;
selbst die persönlichen Anhänger Caesars murrten, als sie ihr
Haupt statt eines Condottierstaats eine allen gleiche und gerechte
Monarchie gründen und die auf sie treffenden Gewinnstportionen
durch das Hinzutreten der Besiegten sich verringern sahen. Die
Ordnung des Gemeinwesens, die er zu begründen dachte, war
keiner Partei genehm und Caesar musste sie den Genossen nicht
minder als den Gegnern octroyiren. Seine eigene Stellung war
jetzt eine weit gefährdetere als vor dem Siege; aber was er ver-
lor, gewann der Staat. Indem er die Parteien vernichtete und die
Parteimänner nicht bloss schonte, sondern jeden Mann von Ta-
lent oder auch nur von guter Herkunft, ohne Rücksicht auf seine
politische Vergaugenheit, zu Aemtern gelangen liess, gewann er
nicht bloss für seinen grossen Bau alle im Staate vorhandene
Arbeitskraft, sondern das freiwillige oder gezwungene Schaffen
der Männer aller Parteien an demselben Werke führte auch un-
merklich die Nation hinüber auf den neubereiteten Boden. Wenn
diese Ausgleichung der Parteien für den Augenblick nur äusser-
licher Art war und dieselben sich für jetzt viel weniger in der
Anhänglichkeit an die neuen Zustände begegneten als in dem
Hasse gegen Caesar, so irrte dies ihn nicht; er wusste es wohl,
dass die Gegensätze doch in solcher äusserlichen Vereinigung
sich abstumpfen und dass nur auf diesem Wege der Staatsmann
der Zeit vorarbeitet, welche freilich allein vermag solchen Hader
schliesslich zu sühnen, indem sie das alte Geschlecht ins Grab
legt. Noch weniger fragte er, wer ihn hasste oder auf Mord

FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
jüngeren Generation ward nicht gestattet in passiver Opposition
zu schmollen, sondern sie wurden durch mehr oder minder ge-
linden Zwang veranlaſst sich an der neuen Verwaltung thätig zu
betheiligen und Ehren und Aemter von ihr anzunehmen. Wie
für Heinrich IV. und Wilhelm von Oranien so begannen auch
für Caesar die gröſsten Schwierigkeiten erst nach dem Siege;
denn er blieb nicht, wie Cinna und Sulla, auch nach demselben
Parteihaupt, sondern es trat ihm damit an die Stelle der Parteiin-
teressen die Wohlfahrt des Gemeinwesens. Jeder revolutionäre
Sieger macht die Erfahrung, daſs in diesem Falle die erste Folge
des Sieges ist alle Parteien gegen den Sieger zu vereinigen; und
um so mehr, je gröſser und reiner der Sieger seinen neuen Be-
ruf auffaſst. Die Verfassungsfreunde und die Pompeianer, wenn
sie auch mit den Lippen Caesar huldigten, grollten doch im Her-
zen der Monarchie oder wenigstens der Dynastie; die gesunkene
Demokratie war, seit sie begriffen, daſs Caesars Zwecke keines-
wegs die ihrigen waren, gegen denselben in offenem Aufruhr;
selbst die persönlichen Anhänger Caesars murrten, als sie ihr
Haupt statt eines Condottierstaats eine allen gleiche und gerechte
Monarchie gründen und die auf sie treffenden Gewinnstportionen
durch das Hinzutreten der Besiegten sich verringern sahen. Die
Ordnung des Gemeinwesens, die er zu begründen dachte, war
keiner Partei genehm und Caesar muſste sie den Genossen nicht
minder als den Gegnern octroyiren. Seine eigene Stellung war
jetzt eine weit gefährdetere als vor dem Siege; aber was er ver-
lor, gewann der Staat. Indem er die Parteien vernichtete und die
Parteimänner nicht bloſs schonte, sondern jeden Mann von Ta-
lent oder auch nur von guter Herkunft, ohne Rücksicht auf seine
politische Vergaugenheit, zu Aemtern gelangen lieſs, gewann er
nicht bloſs für seinen groſsen Bau alle im Staate vorhandene
Arbeitskraft, sondern das freiwillige oder gezwungene Schaffen
der Männer aller Parteien an demselben Werke führte auch un-
merklich die Nation hinüber auf den neubereiteten Boden. Wenn
diese Ausgleichung der Parteien für den Augenblick nur äuſser-
licher Art war und dieselben sich für jetzt viel weniger in der
Anhänglichkeit an die neuen Zustände begegneten als in dem
Hasse gegen Caesar, so irrte dies ihn nicht; er wuſste es wohl,
daſs die Gegensätze doch in solcher äuſserlichen Vereinigung
sich abstumpfen und daſs nur auf diesem Wege der Staatsmann
der Zeit vorarbeitet, welche freilich allein vermag solchen Hader
schlieſslich zu sühnen, indem sie das alte Geschlecht ins Grab
legt. Noch weniger fragte er, wer ihn haſste oder auf Mord

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[442/0452] FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI. jüngeren Generation ward nicht gestattet in passiver Opposition zu schmollen, sondern sie wurden durch mehr oder minder ge- linden Zwang veranlaſst sich an der neuen Verwaltung thätig zu betheiligen und Ehren und Aemter von ihr anzunehmen. Wie für Heinrich IV. und Wilhelm von Oranien so begannen auch für Caesar die gröſsten Schwierigkeiten erst nach dem Siege; denn er blieb nicht, wie Cinna und Sulla, auch nach demselben Parteihaupt, sondern es trat ihm damit an die Stelle der Parteiin- teressen die Wohlfahrt des Gemeinwesens. Jeder revolutionäre Sieger macht die Erfahrung, daſs in diesem Falle die erste Folge des Sieges ist alle Parteien gegen den Sieger zu vereinigen; und um so mehr, je gröſser und reiner der Sieger seinen neuen Be- ruf auffaſst. Die Verfassungsfreunde und die Pompeianer, wenn sie auch mit den Lippen Caesar huldigten, grollten doch im Her- zen der Monarchie oder wenigstens der Dynastie; die gesunkene Demokratie war, seit sie begriffen, daſs Caesars Zwecke keines- wegs die ihrigen waren, gegen denselben in offenem Aufruhr; selbst die persönlichen Anhänger Caesars murrten, als sie ihr Haupt statt eines Condottierstaats eine allen gleiche und gerechte Monarchie gründen und die auf sie treffenden Gewinnstportionen durch das Hinzutreten der Besiegten sich verringern sahen. Die Ordnung des Gemeinwesens, die er zu begründen dachte, war keiner Partei genehm und Caesar muſste sie den Genossen nicht minder als den Gegnern octroyiren. Seine eigene Stellung war jetzt eine weit gefährdetere als vor dem Siege; aber was er ver- lor, gewann der Staat. Indem er die Parteien vernichtete und die Parteimänner nicht bloſs schonte, sondern jeden Mann von Ta- lent oder auch nur von guter Herkunft, ohne Rücksicht auf seine politische Vergaugenheit, zu Aemtern gelangen lieſs, gewann er nicht bloſs für seinen groſsen Bau alle im Staate vorhandene Arbeitskraft, sondern das freiwillige oder gezwungene Schaffen der Männer aller Parteien an demselben Werke führte auch un- merklich die Nation hinüber auf den neubereiteten Boden. Wenn diese Ausgleichung der Parteien für den Augenblick nur äuſser- licher Art war und dieselben sich für jetzt viel weniger in der Anhänglichkeit an die neuen Zustände begegneten als in dem Hasse gegen Caesar, so irrte dies ihn nicht; er wuſste es wohl, daſs die Gegensätze doch in solcher äuſserlichen Vereinigung sich abstumpfen und daſs nur auf diesem Wege der Staatsmann der Zeit vorarbeitet, welche freilich allein vermag solchen Hader schlieſslich zu sühnen, indem sie das alte Geschlecht ins Grab legt. Noch weniger fragte er, wer ihn haſste oder auf Mord

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 442. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/452>, abgerufen am 22.05.2024.