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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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FÜNFTES BUCH. KAPITEL X.
völkerung, ihre republikanische Gesinnung zum Bewusstsein; in-
sofern berichteten die Verfassungsfreunde in Rom mit Recht an
ihre Gesinnungsgenossen im Exil, dass daheim alle Klassen und
alle Individuen pompeianisch gesinnt seien. Die schwierige Stim-
mung all dieser Kreise wurde noch gesteigert durch den morali-
schen Druck, den die entschiedeneren und vornehmeren Gesin-
nungsgenossen eben als Emigranten auf die Menge der Geringeren
und Lauen ausübten. Dem ehrlichen Mann schlug über sein Ver-
bleiben in Italien das Gewissen, und der Halbaristokrat glaubte
sich zu den Plebejern zu stellen, wenn er nicht mit den Domitiern
und den Metellern ins Exil ging und gar wenn er in dem caesa-
rischen Senat der Nullitäten mit sass. Die eigene Milde des Sie-
gers gab dieser stillen Opposition erhöhte politische Bedeutung:
da Caesar nun einmal des Terrorismus sich enthielt, so schienen
die heimlichen Feinde ihre Abneigung gegen sein Regiment ohne
viele Gefahr bethätigen zu können. Sehr bald machte er in dieser
Beziehung merkwürdige Erfahrungen mit dem Senat. Caesar hatte
den Kampf begonnen, um den terrorisirten Senat von seinen Un-
terdrückern zu befreien. Dies war geschehen; er wünschte also
von dem Senat die Billigung des Geschehenen, die Vollmacht zu
weiterer Fortsetzung des Krieges zu erlangen. Zu diesem Zwecke
beriefen, als Caesar vor der Hauptstadt erschien (Ende März), die
Volkstribunen seiner Partei ihm den Senat (1. April). Die Ver-
sammlung war ziemlich zahlreich, aber selbst von den in Italien
gebliebenen Senatoren waren doch die namhaftesten ausgeblieben,
sogar der ehemalige Führer der servilen Majorität Marcus Cicero
und Caesars eigener Schwiegervater Lucius Piso; und was schlim-
mer war, auch die Erschienenen waren nicht geneigt auf Caesars
Vorschläge einzugehen. Als Caesar von einer Vollmacht zur Fort-
setzung des Krieges sprach, meinte der eine der zwei einzigen
anwesenden Consulare Servius Sulpicius Rufus, ein urfurcht-
samer Mann, der nichts wünschte als einen ruhigen Tod in sei-
nem Bette, dass Caesar sich sehr um das Vaterland verdient
machen werde, wenn er es aufgebe den Krieg nach Griechenland
und Spanien zu tragen. Als dann Caesar wenigstens versuchte
seine Friedensvorschläge durch den Senat an Pompeius zu über-
mitteln, war man dem an sich zwar nicht entgegen, aber die
Drohungen der Emigranten gegen die Neutralen hatten diese so
in Furcht gesetzt, dass Niemand sich fand um die Friedens-
botschaft zu übernehmen. An der Abneigung der Aristokratie
den Thron des Monarchen errichten zu helfen und an derselben
Schlaffheit des hohen Collegiums, durch die kurz zuvor Caesar

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völkerung, ihre republikanische Gesinnung zum Bewuſstsein; in-
sofern berichteten die Verfassungsfreunde in Rom mit Recht an
ihre Gesinnungsgenossen im Exil, daſs daheim alle Klassen und
alle Individuen pompeianisch gesinnt seien. Die schwierige Stim-
mung all dieser Kreise wurde noch gesteigert durch den morali-
schen Druck, den die entschiedeneren und vornehmeren Gesin-
nungsgenossen eben als Emigranten auf die Menge der Geringeren
und Lauen ausübten. Dem ehrlichen Mann schlug über sein Ver-
bleiben in Italien das Gewissen, und der Halbaristokrat glaubte
sich zu den Plebejern zu stellen, wenn er nicht mit den Domitiern
und den Metellern ins Exil ging und gar wenn er in dem caesa-
rischen Senat der Nullitäten mit saſs. Die eigene Milde des Sie-
gers gab dieser stillen Opposition erhöhte politische Bedeutung:
da Caesar nun einmal des Terrorismus sich enthielt, so schienen
die heimlichen Feinde ihre Abneigung gegen sein Regiment ohne
viele Gefahr bethätigen zu können. Sehr bald machte er in dieser
Beziehung merkwürdige Erfahrungen mit dem Senat. Caesar hatte
den Kampf begonnen, um den terrorisirten Senat von seinen Un-
terdrückern zu befreien. Dies war geschehen; er wünschte also
von dem Senat die Billigung des Geschehenen, die Vollmacht zu
weiterer Fortsetzung des Krieges zu erlangen. Zu diesem Zwecke
beriefen, als Caesar vor der Hauptstadt erschien (Ende März), die
Volkstribunen seiner Partei ihm den Senat (1. April). Die Ver-
sammlung war ziemlich zahlreich, aber selbst von den in Italien
gebliebenen Senatoren waren doch die namhaftesten ausgeblieben,
sogar der ehemalige Führer der servilen Majorität Marcus Cicero
und Caesars eigener Schwiegervater Lucius Piso; und was schlim-
mer war, auch die Erschienenen waren nicht geneigt auf Caesars
Vorschläge einzugehen. Als Caesar von einer Vollmacht zur Fort-
setzung des Krieges sprach, meinte der eine der zwei einzigen
anwesenden Consulare Servius Sulpicius Rufus, ein urfurcht-
samer Mann, der nichts wünschte als einen ruhigen Tod in sei-
nem Bette, daſs Caesar sich sehr um das Vaterland verdient
machen werde, wenn er es aufgebe den Krieg nach Griechenland
und Spanien zu tragen. Als dann Caesar wenigstens versuchte
seine Friedensvorschläge durch den Senat an Pompeius zu über-
mitteln, war man dem an sich zwar nicht entgegen, aber die
Drohungen der Emigranten gegen die Neutralen hatten diese so
in Furcht gesetzt, daſs Niemand sich fand um die Friedens-
botschaft zu übernehmen. An der Abneigung der Aristokratie
den Thron des Monarchen errichten zu helfen und an derselben
Schlaffheit des hohen Collegiums, durch die kurz zuvor Caesar

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[360/0370] FÜNFTES BUCH. KAPITEL X. völkerung, ihre republikanische Gesinnung zum Bewuſstsein; in- sofern berichteten die Verfassungsfreunde in Rom mit Recht an ihre Gesinnungsgenossen im Exil, daſs daheim alle Klassen und alle Individuen pompeianisch gesinnt seien. Die schwierige Stim- mung all dieser Kreise wurde noch gesteigert durch den morali- schen Druck, den die entschiedeneren und vornehmeren Gesin- nungsgenossen eben als Emigranten auf die Menge der Geringeren und Lauen ausübten. Dem ehrlichen Mann schlug über sein Ver- bleiben in Italien das Gewissen, und der Halbaristokrat glaubte sich zu den Plebejern zu stellen, wenn er nicht mit den Domitiern und den Metellern ins Exil ging und gar wenn er in dem caesa- rischen Senat der Nullitäten mit saſs. Die eigene Milde des Sie- gers gab dieser stillen Opposition erhöhte politische Bedeutung: da Caesar nun einmal des Terrorismus sich enthielt, so schienen die heimlichen Feinde ihre Abneigung gegen sein Regiment ohne viele Gefahr bethätigen zu können. Sehr bald machte er in dieser Beziehung merkwürdige Erfahrungen mit dem Senat. Caesar hatte den Kampf begonnen, um den terrorisirten Senat von seinen Un- terdrückern zu befreien. Dies war geschehen; er wünschte also von dem Senat die Billigung des Geschehenen, die Vollmacht zu weiterer Fortsetzung des Krieges zu erlangen. Zu diesem Zwecke beriefen, als Caesar vor der Hauptstadt erschien (Ende März), die Volkstribunen seiner Partei ihm den Senat (1. April). Die Ver- sammlung war ziemlich zahlreich, aber selbst von den in Italien gebliebenen Senatoren waren doch die namhaftesten ausgeblieben, sogar der ehemalige Führer der servilen Majorität Marcus Cicero und Caesars eigener Schwiegervater Lucius Piso; und was schlim- mer war, auch die Erschienenen waren nicht geneigt auf Caesars Vorschläge einzugehen. Als Caesar von einer Vollmacht zur Fort- setzung des Krieges sprach, meinte der eine der zwei einzigen anwesenden Consulare Servius Sulpicius Rufus, ein urfurcht- samer Mann, der nichts wünschte als einen ruhigen Tod in sei- nem Bette, daſs Caesar sich sehr um das Vaterland verdient machen werde, wenn er es aufgebe den Krieg nach Griechenland und Spanien zu tragen. Als dann Caesar wenigstens versuchte seine Friedensvorschläge durch den Senat an Pompeius zu über- mitteln, war man dem an sich zwar nicht entgegen, aber die Drohungen der Emigranten gegen die Neutralen hatten diese so in Furcht gesetzt, daſs Niemand sich fand um die Friedens- botschaft zu übernehmen. An der Abneigung der Aristokratie den Thron des Monarchen errichten zu helfen und an derselben Schlaffheit des hohen Collegiums, durch die kurz zuvor Caesar

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 360. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/370>, abgerufen am 22.05.2024.