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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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FÜNFTES BUCH. KAPITEL X.
seiner Freunde. Wie Caesar die erste italische Stadt Ariminum
besetzte, untersagte er allen gemeinen Soldaten sich bewaffnet
innerhalb der Mauern sehen zu lassen; durchaus und ohne Un-
terschied, ob sie ihn freundlich oder feindlich empfangen hatten,
wurden die Landstädte vor jeder Unbill geschützt. Als die meu-
terische Garnison am späten Abend Corfinium übergab, verschob
er, gegen jede militärische Rücksicht, die Besetzung der Stadt
bis zum andern Morgen, einzig um die Bürgerschaft nicht einem
nächtlichen Einmarsch seiner erbitterten Soldaten preiszugeben.
Von den Gefangenen wurden die Gemeinen, als voraussetzlich
politisch indifferent, in die eigene Armee eingereiht, die Offiziere
aber nicht bloss verschont, sondern auch ohne Unterschied der
Person und ohne Abnahme irgend welcher Zusagen frei entlassen
und was sie als Privateigenthum in Anspruch nahmen, ohne auch
nur die Berechtigung der Reclamationen mit Strenge zu unter-
suchen, ihnen ohne Weiterung verabfolgt. So ward selbst Lucius
Domitius behandelt, ja sogar dem Labienus das zurückgelassene
Geld und Gepäck ins feindliche Lager nachgesandt. In der pein-
lichsten Finanznoth wurden dennoch die ungeheuren Güter der
anwesenden wie der abwesenden Gegner nicht angegriffen; ja
Caesar borgte lieber bei den Freunden, als dass er auch nur durch
Ausschreibung der formell zulässigen, aber thatsächlich antiquir-
ten Grundsteuer (II, 362) die Besitzenden gegen sich aufgeregt
hätte. Nur die Hälfte, und nicht die schwerere, seiner Aufgabe
betrachtete der Sieger als mit dem Siege gelöst; die Bürgschaft
der Dauer sah er nach seiner eigenen Aeusserung allein in der
unbedingten Begnadigung der Besiegten. Mit dieser grenzenlosen
Milde Caesars contrastirte seltsam das wilde Racheschnauben der
geschlagenen Partei. Auf dem ganzen Marsche von Ravenna bis
Brundisium hatte Caesar unablässig die Versuche erneuert eine
persönliche Zusammenkunft mit Pompeius und einen erträglichen
Vergleich einzuleiten; aber wenn die Aristokratie schon früher
von keiner Aussöhnung etwas hatte wissen wollen, so hatte die so
unerwartete und so schimpfliche Emigration ihren Zorn bis zum
Wahnsinn gesteigert. Die Mittheilungen, die aus dem Emigranten-
lager den in Italien zurückgebliebenen Freunden regelmässig zuka-
men, flossen über von Entwürfen zu Confiscationen und Proscrip-
tionen, von Epurationsplänen des Senats und des Staats, gegen die
Sullas Restauration Kinderspiel war und die selbst die gemässigten
Parteigenossen mit Entsetzen vernahmen. Die tolle Leidenschaft
der Ohnmacht, die weise Mässigung der Macht thaten ihre Wirkung.
Die ganze Masse, der die materiellen Interessen über die politi-

FÜNFTES BUCH. KAPITEL X.
seiner Freunde. Wie Caesar die erste italische Stadt Ariminum
besetzte, untersagte er allen gemeinen Soldaten sich bewaffnet
innerhalb der Mauern sehen zu lassen; durchaus und ohne Un-
terschied, ob sie ihn freundlich oder feindlich empfangen hatten,
wurden die Landstädte vor jeder Unbill geschützt. Als die meu-
terische Garnison am späten Abend Corfinium übergab, verschob
er, gegen jede militärische Rücksicht, die Besetzung der Stadt
bis zum andern Morgen, einzig um die Bürgerschaft nicht einem
nächtlichen Einmarsch seiner erbitterten Soldaten preiszugeben.
Von den Gefangenen wurden die Gemeinen, als voraussetzlich
politisch indifferent, in die eigene Armee eingereiht, die Offiziere
aber nicht bloſs verschont, sondern auch ohne Unterschied der
Person und ohne Abnahme irgend welcher Zusagen frei entlassen
und was sie als Privateigenthum in Anspruch nahmen, ohne auch
nur die Berechtigung der Reclamationen mit Strenge zu unter-
suchen, ihnen ohne Weiterung verabfolgt. So ward selbst Lucius
Domitius behandelt, ja sogar dem Labienus das zurückgelassene
Geld und Gepäck ins feindliche Lager nachgesandt. In der pein-
lichsten Finanznoth wurden dennoch die ungeheuren Güter der
anwesenden wie der abwesenden Gegner nicht angegriffen; ja
Caesar borgte lieber bei den Freunden, als daſs er auch nur durch
Ausschreibung der formell zulässigen, aber thatsächlich antiquir-
ten Grundsteuer (II, 362) die Besitzenden gegen sich aufgeregt
hätte. Nur die Hälfte, und nicht die schwerere, seiner Aufgabe
betrachtete der Sieger als mit dem Siege gelöst; die Bürgschaft
der Dauer sah er nach seiner eigenen Aeuſserung allein in der
unbedingten Begnadigung der Besiegten. Mit dieser grenzenlosen
Milde Caesars contrastirte seltsam das wilde Racheschnauben der
geschlagenen Partei. Auf dem ganzen Marsche von Ravenna bis
Brundisium hatte Caesar unablässig die Versuche erneuert eine
persönliche Zusammenkunft mit Pompeius und einen erträglichen
Vergleich einzuleiten; aber wenn die Aristokratie schon früher
von keiner Aussöhnung etwas hatte wissen wollen, so hatte die so
unerwartete und so schimpfliche Emigration ihren Zorn bis zum
Wahnsinn gesteigert. Die Mittheilungen, die aus dem Emigranten-
lager den in Italien zurückgebliebenen Freunden regelmäſsig zuka-
men, flossen über von Entwürfen zu Confiscationen und Proscrip-
tionen, von Epurationsplänen des Senats und des Staats, gegen die
Sullas Restauration Kinderspiel war und die selbst die gemäſsigten
Parteigenossen mit Entsetzen vernahmen. Die tolle Leidenschaft
der Ohnmacht, die weise Mäſsigung der Macht thaten ihre Wirkung.
Die ganze Masse, der die materiellen Interessen über die politi-

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[358/0368] FÜNFTES BUCH. KAPITEL X. seiner Freunde. Wie Caesar die erste italische Stadt Ariminum besetzte, untersagte er allen gemeinen Soldaten sich bewaffnet innerhalb der Mauern sehen zu lassen; durchaus und ohne Un- terschied, ob sie ihn freundlich oder feindlich empfangen hatten, wurden die Landstädte vor jeder Unbill geschützt. Als die meu- terische Garnison am späten Abend Corfinium übergab, verschob er, gegen jede militärische Rücksicht, die Besetzung der Stadt bis zum andern Morgen, einzig um die Bürgerschaft nicht einem nächtlichen Einmarsch seiner erbitterten Soldaten preiszugeben. Von den Gefangenen wurden die Gemeinen, als voraussetzlich politisch indifferent, in die eigene Armee eingereiht, die Offiziere aber nicht bloſs verschont, sondern auch ohne Unterschied der Person und ohne Abnahme irgend welcher Zusagen frei entlassen und was sie als Privateigenthum in Anspruch nahmen, ohne auch nur die Berechtigung der Reclamationen mit Strenge zu unter- suchen, ihnen ohne Weiterung verabfolgt. So ward selbst Lucius Domitius behandelt, ja sogar dem Labienus das zurückgelassene Geld und Gepäck ins feindliche Lager nachgesandt. In der pein- lichsten Finanznoth wurden dennoch die ungeheuren Güter der anwesenden wie der abwesenden Gegner nicht angegriffen; ja Caesar borgte lieber bei den Freunden, als daſs er auch nur durch Ausschreibung der formell zulässigen, aber thatsächlich antiquir- ten Grundsteuer (II, 362) die Besitzenden gegen sich aufgeregt hätte. Nur die Hälfte, und nicht die schwerere, seiner Aufgabe betrachtete der Sieger als mit dem Siege gelöst; die Bürgschaft der Dauer sah er nach seiner eigenen Aeuſserung allein in der unbedingten Begnadigung der Besiegten. Mit dieser grenzenlosen Milde Caesars contrastirte seltsam das wilde Racheschnauben der geschlagenen Partei. Auf dem ganzen Marsche von Ravenna bis Brundisium hatte Caesar unablässig die Versuche erneuert eine persönliche Zusammenkunft mit Pompeius und einen erträglichen Vergleich einzuleiten; aber wenn die Aristokratie schon früher von keiner Aussöhnung etwas hatte wissen wollen, so hatte die so unerwartete und so schimpfliche Emigration ihren Zorn bis zum Wahnsinn gesteigert. Die Mittheilungen, die aus dem Emigranten- lager den in Italien zurückgebliebenen Freunden regelmäſsig zuka- men, flossen über von Entwürfen zu Confiscationen und Proscrip- tionen, von Epurationsplänen des Senats und des Staats, gegen die Sullas Restauration Kinderspiel war und die selbst die gemäſsigten Parteigenossen mit Entsetzen vernahmen. Die tolle Leidenschaft der Ohnmacht, die weise Mäſsigung der Macht thaten ihre Wirkung. Die ganze Masse, der die materiellen Interessen über die politi-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/368>, abgerufen am 18.12.2024.