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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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FÜNFTES BUCH. KAPITEL IX.
Juden, die die Erbitterung über die von Crassus verübte Spolia-
tion des Tempels wieder einmal unter die Waffen getrieben hatte,
mit Hülfe des treuen Anhängers der Römer Antipatros zum Ge-
horsam zurückzubringen. Die römische Regierung hätte volle
Zeit gehabt zur Vertheidigung der bedrohten Grenze frische
Truppen zu senden; allein es unterblieb über den Convulsionen
der beginnenden Revolution und als endlich im J. 703 die grosse
parthische Invasionsarmee am Euphrat erschien, hatte Cassius
immer noch nur die zwei schwachen aus den Trümmern der Ar-
mee des Crassus gebildeten Legionen ihr entgegenzustellen. Natür-
lich konnte er damit weder den Uebergang wehren noch die Pro-
vinz vertheidigen. Syrien ward von den Parthern überrannt und
ganz Vorderasien zitterte. Allein die Parther verstanden es nicht
Städte zu belagern; von Antiochia, in das Cassius mit seinen
Truppen sich geworfen hatte, zogen sie nicht bloss unverrichteter
Sache ab, sondern wurden auf dem Rückzug am Orontes noch
durch Cassius Reiterei in einen Hinterhalt gelockt und hier durch
die römische Infanterie übel zugerichtet; Fürst Osakes selbst war
unter den Todten und Freund und Feind ward hier inne, dass
die parthische Armee unter einem gewöhnlichen Feldherrn und
auf einem gewöhnlichen Terrain nicht viel mehr leiste als jede
andere orientalische. Indess aufgegeben war der Angriff nicht.
Noch im Winter 703/4 lagerte Pakoros in Kyrrhestike dies-
seit des Euphrat; und der neue Statthalter Syriens, Marcus Bi-
bulus, ein ebenso elender Feldherr wie unfähiger Staatsmann,
wusste nichts Besseres zu thun als sich in seine Festungen ein-
zuschliessen. Allgemein ward erwartet, dass der Krieg im J. 704
mit erneuter Heftigkeit ausbrechen werde. Allein statt gegen die
Römer wandte Pakoros die Waffen gegen seinen eigenen Vater
und trat desshalb sogar mit dem römischen Statthalter in Ein-
verständniss. Damit war zwar weder der Fleck von dem Schilde
der römischen Ehre gewaschen noch auch Roms Ansehen im
Orient wieder hergestellt, allein mit der parthischen Invasion in
Vorderasien war es vorbei und es blieb, vorläufig wenigstens, die
Euphratgrenze erhalten.

In Rom wirbelte inzwischen der kreisende Vulkan der Re-
volution seine Rauchwolken sinnbetäubend empor. Man fing an
keinen Soldaten und keinen Denar mehr gegen den Landesfeind,
keinen Gedanken mehr übrig zu haben für die Geschicke der
Völker. Es ist eines der entsetzlichsten Zeichen der Zeit, dass
das ungeheure Nationalunglück von Karrhae und Sinnaka den der-
zeitigen Politikern weit weniger zu denken und zu reden gab als

FÜNFTES BUCH. KAPITEL IX.
Juden, die die Erbitterung über die von Crassus verübte Spolia-
tion des Tempels wieder einmal unter die Waffen getrieben hatte,
mit Hülfe des treuen Anhängers der Römer Antipatros zum Ge-
horsam zurückzubringen. Die römische Regierung hätte volle
Zeit gehabt zur Vertheidigung der bedrohten Grenze frische
Truppen zu senden; allein es unterblieb über den Convulsionen
der beginnenden Revolution und als endlich im J. 703 die groſse
parthische Invasionsarmee am Euphrat erschien, hatte Cassius
immer noch nur die zwei schwachen aus den Trümmern der Ar-
mee des Crassus gebildeten Legionen ihr entgegenzustellen. Natür-
lich konnte er damit weder den Uebergang wehren noch die Pro-
vinz vertheidigen. Syrien ward von den Parthern überrannt und
ganz Vorderasien zitterte. Allein die Parther verstanden es nicht
Städte zu belagern; von Antiochia, in das Cassius mit seinen
Truppen sich geworfen hatte, zogen sie nicht bloſs unverrichteter
Sache ab, sondern wurden auf dem Rückzug am Orontes noch
durch Cassius Reiterei in einen Hinterhalt gelockt und hier durch
die römische Infanterie übel zugerichtet; Fürst Osakes selbst war
unter den Todten und Freund und Feind ward hier inne, daſs
die parthische Armee unter einem gewöhnlichen Feldherrn und
auf einem gewöhnlichen Terrain nicht viel mehr leiste als jede
andere orientalische. Indeſs aufgegeben war der Angriff nicht.
Noch im Winter 703/4 lagerte Pakoros in Kyrrhestike dies-
seit des Euphrat; und der neue Statthalter Syriens, Marcus Bi-
bulus, ein ebenso elender Feldherr wie unfähiger Staatsmann,
wuſste nichts Besseres zu thun als sich in seine Festungen ein-
zuschlieſsen. Allgemein ward erwartet, daſs der Krieg im J. 704
mit erneuter Heftigkeit ausbrechen werde. Allein statt gegen die
Römer wandte Pakoros die Waffen gegen seinen eigenen Vater
und trat deſshalb sogar mit dem römischen Statthalter in Ein-
verständniſs. Damit war zwar weder der Fleck von dem Schilde
der römischen Ehre gewaschen noch auch Roms Ansehen im
Orient wieder hergestellt, allein mit der parthischen Invasion in
Vorderasien war es vorbei und es blieb, vorläufig wenigstens, die
Euphratgrenze erhalten.

In Rom wirbelte inzwischen der kreisende Vulkan der Re-
volution seine Rauchwolken sinnbetäubend empor. Man fing an
keinen Soldaten und keinen Denar mehr gegen den Landesfeind,
keinen Gedanken mehr übrig zu haben für die Geschicke der
Völker. Es ist eines der entsetzlichsten Zeichen der Zeit, daſs
das ungeheure Nationalunglück von Karrhae und Sinnaka den der-
zeitigen Politikern weit weniger zu denken und zu reden gab als

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[322/0332] FÜNFTES BUCH. KAPITEL IX. Juden, die die Erbitterung über die von Crassus verübte Spolia- tion des Tempels wieder einmal unter die Waffen getrieben hatte, mit Hülfe des treuen Anhängers der Römer Antipatros zum Ge- horsam zurückzubringen. Die römische Regierung hätte volle Zeit gehabt zur Vertheidigung der bedrohten Grenze frische Truppen zu senden; allein es unterblieb über den Convulsionen der beginnenden Revolution und als endlich im J. 703 die groſse parthische Invasionsarmee am Euphrat erschien, hatte Cassius immer noch nur die zwei schwachen aus den Trümmern der Ar- mee des Crassus gebildeten Legionen ihr entgegenzustellen. Natür- lich konnte er damit weder den Uebergang wehren noch die Pro- vinz vertheidigen. Syrien ward von den Parthern überrannt und ganz Vorderasien zitterte. Allein die Parther verstanden es nicht Städte zu belagern; von Antiochia, in das Cassius mit seinen Truppen sich geworfen hatte, zogen sie nicht bloſs unverrichteter Sache ab, sondern wurden auf dem Rückzug am Orontes noch durch Cassius Reiterei in einen Hinterhalt gelockt und hier durch die römische Infanterie übel zugerichtet; Fürst Osakes selbst war unter den Todten und Freund und Feind ward hier inne, daſs die parthische Armee unter einem gewöhnlichen Feldherrn und auf einem gewöhnlichen Terrain nicht viel mehr leiste als jede andere orientalische. Indeſs aufgegeben war der Angriff nicht. Noch im Winter 703/4 lagerte Pakoros in Kyrrhestike dies- seit des Euphrat; und der neue Statthalter Syriens, Marcus Bi- bulus, ein ebenso elender Feldherr wie unfähiger Staatsmann, wuſste nichts Besseres zu thun als sich in seine Festungen ein- zuschlieſsen. Allgemein ward erwartet, daſs der Krieg im J. 704 mit erneuter Heftigkeit ausbrechen werde. Allein statt gegen die Römer wandte Pakoros die Waffen gegen seinen eigenen Vater und trat deſshalb sogar mit dem römischen Statthalter in Ein- verständniſs. Damit war zwar weder der Fleck von dem Schilde der römischen Ehre gewaschen noch auch Roms Ansehen im Orient wieder hergestellt, allein mit der parthischen Invasion in Vorderasien war es vorbei und es blieb, vorläufig wenigstens, die Euphratgrenze erhalten. In Rom wirbelte inzwischen der kreisende Vulkan der Re- volution seine Rauchwolken sinnbetäubend empor. Man fing an keinen Soldaten und keinen Denar mehr gegen den Landesfeind, keinen Gedanken mehr übrig zu haben für die Geschicke der Völker. Es ist eines der entsetzlichsten Zeichen der Zeit, daſs das ungeheure Nationalunglück von Karrhae und Sinnaka den der- zeitigen Politikern weit weniger zu denken und zu reden gab als

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/332>, abgerufen am 22.05.2024.