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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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FÜNFTES BUCH. KAPITEL IX.
lauf, der hieraus sich entspann, wurden die römischen Offiziere
alle getödtet; auch der greise Oberfeldherr wollte, wie sein Gross-
ohm (II, 52), dem Feind nicht lebend als Trophäe dienen und zog
den Tod der Gefangenschaft vor. Die im Lager zurückgebliebene
führerlose Menge ward zum Theil gefangen, zum Theil versprengt.
Was der Tag von Karrhae begonnen hatte, vollendete der von
Sinnaka (9. Juni 701); beide nahmen ihren Platz neben den
Daten von der Allia, von Cannae und von Arausio. Die Euphrat-
armee war nicht mehr. Nur der Reiterschaar des Gaius Cassius,
welche bei dem Abmarsch von Karrhae von dem Hauptheer ab-
gesprengt worden war, und einigen anderen zerstreuten Haufen
und vereinzelten Flüchtlingen gelang es sich den Parthern und
den Beduinen zu entziehen und einzeln den Rückweg nach Syrien
zu finden. Von über 40000 römischen Legionaren, die den
Euphrat überschritten hatten, kam nicht der vierte Mann zurück;
die Hälfte war umgekommen; gegen 10000 römische Gefangene
wurden von den Siegern im äussersten Osten ihres Reiches, in
Antiochia Margiane, nach parthischer Art als heerpflichtige Leib-
eigene angesiedelt. Zum ersten Male, seit die Adler die Legionen
führten, waren dieselben in diesem Jahre zu Siegeszeichen in den
Händen der Feinde, fast gleichzeitig eines deutschen Stammes im
Westen (S. 250) und im Osten der Parther geworden. Von dem
Eindruck, den die Niederlage der Römer im Osten machte, ist
uns leider keine ausreichende Kunde geworden; aber tief und
bleibend muss er gewesen sein. König Orodes richtete eben die
Hochzeit seines Sohnes Pakoros mit der Schwester seines neuen
Verbündeten, des Königs Artavasdes von Armenien aus, als die
Siegesbotschaft bei ihm einlief und nach orientalischer Sitte zu-
gleich mit ihr der abgehauene Kopf des Crassus. Schon war
die Tafel aufgehoben und eine der wandernden kleinasiatischen
Schauspielertruppen, wie sie in jener Zeit zahlreich bestanden
und die hellenische Poesie und die hellenische Bühnenkunst bis
tief in den Osten hinein trugen, führte vor dem versammelten
Hofe Euripides Bakchen auf. Der Schauspieler, der die Rolle der
Agaue spielte, welche in wahnsinnig dionysischer Begeisterung
ihren Sohn zerrissen hat und nun, mit dem Haupte desselben
auf dem Thyrsus, vom Kithaeron zurückkehrt, vertauschte dieses
mit dem blutigen Kopfe des Crassus, und zum unendlichen Ju-
bel seines Publicums von halbhellenisirten Barbaren begann er
aufs Neue das wohlbekannte Lied:

Wir bringen vom Berge
Nach Hause getragen

FÜNFTES BUCH. KAPITEL IX.
lauf, der hieraus sich entspann, wurden die römischen Offiziere
alle getödtet; auch der greise Oberfeldherr wollte, wie sein Groſs-
ohm (II, 52), dem Feind nicht lebend als Trophäe dienen und zog
den Tod der Gefangenschaft vor. Die im Lager zurückgebliebene
führerlose Menge ward zum Theil gefangen, zum Theil versprengt.
Was der Tag von Karrhae begonnen hatte, vollendete der von
Sinnaka (9. Juni 701); beide nahmen ihren Platz neben den
Daten von der Allia, von Cannae und von Arausio. Die Euphrat-
armee war nicht mehr. Nur der Reiterschaar des Gaius Cassius,
welche bei dem Abmarsch von Karrhae von dem Hauptheer ab-
gesprengt worden war, und einigen anderen zerstreuten Haufen
und vereinzelten Flüchtlingen gelang es sich den Parthern und
den Beduinen zu entziehen und einzeln den Rückweg nach Syrien
zu finden. Von über 40000 römischen Legionaren, die den
Euphrat überschritten hatten, kam nicht der vierte Mann zurück;
die Hälfte war umgekommen; gegen 10000 römische Gefangene
wurden von den Siegern im äuſsersten Osten ihres Reiches, in
Antiochia Margiane, nach parthischer Art als heerpflichtige Leib-
eigene angesiedelt. Zum ersten Male, seit die Adler die Legionen
führten, waren dieselben in diesem Jahre zu Siegeszeichen in den
Händen der Feinde, fast gleichzeitig eines deutschen Stammes im
Westen (S. 250) und im Osten der Parther geworden. Von dem
Eindruck, den die Niederlage der Römer im Osten machte, ist
uns leider keine ausreichende Kunde geworden; aber tief und
bleibend muſs er gewesen sein. König Orodes richtete eben die
Hochzeit seines Sohnes Pakoros mit der Schwester seines neuen
Verbündeten, des Königs Artavasdes von Armenien aus, als die
Siegesbotschaft bei ihm einlief und nach orientalischer Sitte zu-
gleich mit ihr der abgehauene Kopf des Crassus. Schon war
die Tafel aufgehoben und eine der wandernden kleinasiatischen
Schauspielertruppen, wie sie in jener Zeit zahlreich bestanden
und die hellenische Poesie und die hellenische Bühnenkunst bis
tief in den Osten hinein trugen, führte vor dem versammelten
Hofe Euripides Bakchen auf. Der Schauspieler, der die Rolle der
Agaue spielte, welche in wahnsinnig dionysischer Begeisterung
ihren Sohn zerrissen hat und nun, mit dem Haupte desselben
auf dem Thyrsus, vom Kithaeron zurückkehrt, vertauschte dieses
mit dem blutigen Kopfe des Crassus, und zum unendlichen Ju-
bel seines Publicums von halbhellenisirten Barbaren begann er
aufs Neue das wohlbekannte Lied:

Wir bringen vom Berge
Nach Hause getragen
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[320/0330] FÜNFTES BUCH. KAPITEL IX. lauf, der hieraus sich entspann, wurden die römischen Offiziere alle getödtet; auch der greise Oberfeldherr wollte, wie sein Groſs- ohm (II, 52), dem Feind nicht lebend als Trophäe dienen und zog den Tod der Gefangenschaft vor. Die im Lager zurückgebliebene führerlose Menge ward zum Theil gefangen, zum Theil versprengt. Was der Tag von Karrhae begonnen hatte, vollendete der von Sinnaka (9. Juni 701); beide nahmen ihren Platz neben den Daten von der Allia, von Cannae und von Arausio. Die Euphrat- armee war nicht mehr. Nur der Reiterschaar des Gaius Cassius, welche bei dem Abmarsch von Karrhae von dem Hauptheer ab- gesprengt worden war, und einigen anderen zerstreuten Haufen und vereinzelten Flüchtlingen gelang es sich den Parthern und den Beduinen zu entziehen und einzeln den Rückweg nach Syrien zu finden. Von über 40000 römischen Legionaren, die den Euphrat überschritten hatten, kam nicht der vierte Mann zurück; die Hälfte war umgekommen; gegen 10000 römische Gefangene wurden von den Siegern im äuſsersten Osten ihres Reiches, in Antiochia Margiane, nach parthischer Art als heerpflichtige Leib- eigene angesiedelt. Zum ersten Male, seit die Adler die Legionen führten, waren dieselben in diesem Jahre zu Siegeszeichen in den Händen der Feinde, fast gleichzeitig eines deutschen Stammes im Westen (S. 250) und im Osten der Parther geworden. Von dem Eindruck, den die Niederlage der Römer im Osten machte, ist uns leider keine ausreichende Kunde geworden; aber tief und bleibend muſs er gewesen sein. König Orodes richtete eben die Hochzeit seines Sohnes Pakoros mit der Schwester seines neuen Verbündeten, des Königs Artavasdes von Armenien aus, als die Siegesbotschaft bei ihm einlief und nach orientalischer Sitte zu- gleich mit ihr der abgehauene Kopf des Crassus. Schon war die Tafel aufgehoben und eine der wandernden kleinasiatischen Schauspielertruppen, wie sie in jener Zeit zahlreich bestanden und die hellenische Poesie und die hellenische Bühnenkunst bis tief in den Osten hinein trugen, führte vor dem versammelten Hofe Euripides Bakchen auf. Der Schauspieler, der die Rolle der Agaue spielte, welche in wahnsinnig dionysischer Begeisterung ihren Sohn zerrissen hat und nun, mit dem Haupte desselben auf dem Thyrsus, vom Kithaeron zurückkehrt, vertauschte dieses mit dem blutigen Kopfe des Crassus, und zum unendlichen Ju- bel seines Publicums von halbhellenisirten Barbaren begann er aufs Neue das wohlbekannte Lied: Wir bringen vom Berge Nach Hause getragen

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/330>, abgerufen am 22.12.2024.