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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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fangen. Natürlich warteten die Römer den Morgen nicht ab. Die
Unterfeldherren Cassius und Octavius -- Crassus selbst hatte
gänzlich den Kopf verloren -- ordneten an was unvermeidlich
war, dass das Heer mit Zurücklassung der sämmtlichen -- an-
geblich 4000 -- Verwundeten und Versprengten sofort und in
möglichster Stille aufbreche. Dass die Parther, als sie den folgen-
den Tag wiederkamen, zunächst sich daran machten die zer-
streut Zurückgelassenen aufzusuchen und niederzumetzeln, und
dass die Besatzung und die Einwohnerschaft von Karrhae, durch
Ausreisser frühzeitig von der Katastrophe in Kenntniss gesetzt,
schleunigst der geschlagenen Armee entgegengerückt waren, ret-
tete die Trümmer derselben von der wie es schien unausbleib-
lichen Vernichtung. An eine Belagerung von Karrhae konnten
die parthischen Reiterschaaren natürlich nicht denken; allein
bald brachen die Römer freiwillig auf, sei es durch Mangel an
Lebensmitteln genöthigt, sei es in Folge der muthlosen Ueber-
eilung des Oberfeldherrn, den die Soldaten vom Commando zu
entfernen und dasselbe dem Cassius zu übertragen vergeblich
versucht hatten. Man schlug die Richtung ein nach den armeni-
schen Bergen; die Nacht marschirend und am Tage rastend er-
reichte Octavius mit einem Haufen von 5000 Mann die Festung
Sinnaka, die nur noch einen Tagemarsch von den sichernden
Höhen entfernt war, und befreite sogar mit eigener Lebensgefahr
den Oberfeldherrn, den der Führer irre geleitet und dem Feinde
preisgegeben hatte. Da ritt Surenas vor das römische Lager, um
im Namen des Königs Orodes den Römern Frieden und Freund-
schaft zu bieten und auf eine persönliche Zusammenkunft mit
dem feindlichen Feldherrn anzutragen. Das römische Heer, de-
moralisirt wie es war, beschwor, ja zwang seinen Führer das
Anerbieten anzunehmen. Surenas empfing den Consular und
dessen Stab mit den üblichen Ehren und erbot sich aufs Neue
einen Freundschaftspact abzuschliessen; nur forderte er, mit ge-
rechter Bitterkeit an das Schicksal der mit Lucullus und Pom-
peius abgeschlossenen Verträge hinsichtlich der Euphratgrenze
erinnernd (S. 133), dass derselbe sogleich schriftlich abgefasst
werde. Ein reichgeschmückter Zelter ward vorgeführt: es war ein
Geschenk des Königs für den römischen Oberfeldherrn; die Diener
des Surenas drängten sich um diesen, beeifert ihn auf das Pferd
zu heben. Es schien den römischen Offizieren, als beabsichtige
man sich der Person des Oberfeldherrn zu bemächtigen; Octa-
vius, unbewaffnet wie er war, riss einem der Parther das Schwert
aus der Scheide und stiess den Pferdeknecht nieder. In dem Auf-

CRASSUS TOD.
fangen. Natürlich warteten die Römer den Morgen nicht ab. Die
Unterfeldherren Cassius und Octavius — Crassus selbst hatte
gänzlich den Kopf verloren — ordneten an was unvermeidlich
war, daſs das Heer mit Zurücklassung der sämmtlichen — an-
geblich 4000 — Verwundeten und Versprengten sofort und in
möglichster Stille aufbreche. Daſs die Parther, als sie den folgen-
den Tag wiederkamen, zunächst sich daran machten die zer-
streut Zurückgelassenen aufzusuchen und niederzumetzeln, und
daſs die Besatzung und die Einwohnerschaft von Karrhae, durch
Ausreiſser frühzeitig von der Katastrophe in Kenntniſs gesetzt,
schleunigst der geschlagenen Armee entgegengerückt waren, ret-
tete die Trümmer derselben von der wie es schien unausbleib-
lichen Vernichtung. An eine Belagerung von Karrhae konnten
die parthischen Reiterschaaren natürlich nicht denken; allein
bald brachen die Römer freiwillig auf, sei es durch Mangel an
Lebensmitteln genöthigt, sei es in Folge der muthlosen Ueber-
eilung des Oberfeldherrn, den die Soldaten vom Commando zu
entfernen und dasselbe dem Cassius zu übertragen vergeblich
versucht hatten. Man schlug die Richtung ein nach den armeni-
schen Bergen; die Nacht marschirend und am Tage rastend er-
reichte Octavius mit einem Haufen von 5000 Mann die Festung
Sinnaka, die nur noch einen Tagemarsch von den sichernden
Höhen entfernt war, und befreite sogar mit eigener Lebensgefahr
den Oberfeldherrn, den der Führer irre geleitet und dem Feinde
preisgegeben hatte. Da ritt Surenas vor das römische Lager, um
im Namen des Königs Orodes den Römern Frieden und Freund-
schaft zu bieten und auf eine persönliche Zusammenkunft mit
dem feindlichen Feldherrn anzutragen. Das römische Heer, de-
moralisirt wie es war, beschwor, ja zwang seinen Führer das
Anerbieten anzunehmen. Surenas empfing den Consular und
dessen Stab mit den üblichen Ehren und erbot sich aufs Neue
einen Freundschaftspact abzuschlieſsen; nur forderte er, mit ge-
rechter Bitterkeit an das Schicksal der mit Lucullus und Pom-
peius abgeschlossenen Verträge hinsichtlich der Euphratgrenze
erinnernd (S. 133), daſs derselbe sogleich schriftlich abgefaſst
werde. Ein reichgeschmückter Zelter ward vorgeführt: es war ein
Geschenk des Königs für den römischen Oberfeldherrn; die Diener
des Surenas drängten sich um diesen, beeifert ihn auf das Pferd
zu heben. Es schien den römischen Offizieren, als beabsichtige
man sich der Person des Oberfeldherrn zu bemächtigen; Octa-
vius, unbewaffnet wie er war, riſs einem der Parther das Schwert
aus der Scheide und stieſs den Pferdeknecht nieder. In dem Auf-

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[319/0329] CRASSUS TOD. fangen. Natürlich warteten die Römer den Morgen nicht ab. Die Unterfeldherren Cassius und Octavius — Crassus selbst hatte gänzlich den Kopf verloren — ordneten an was unvermeidlich war, daſs das Heer mit Zurücklassung der sämmtlichen — an- geblich 4000 — Verwundeten und Versprengten sofort und in möglichster Stille aufbreche. Daſs die Parther, als sie den folgen- den Tag wiederkamen, zunächst sich daran machten die zer- streut Zurückgelassenen aufzusuchen und niederzumetzeln, und daſs die Besatzung und die Einwohnerschaft von Karrhae, durch Ausreiſser frühzeitig von der Katastrophe in Kenntniſs gesetzt, schleunigst der geschlagenen Armee entgegengerückt waren, ret- tete die Trümmer derselben von der wie es schien unausbleib- lichen Vernichtung. An eine Belagerung von Karrhae konnten die parthischen Reiterschaaren natürlich nicht denken; allein bald brachen die Römer freiwillig auf, sei es durch Mangel an Lebensmitteln genöthigt, sei es in Folge der muthlosen Ueber- eilung des Oberfeldherrn, den die Soldaten vom Commando zu entfernen und dasselbe dem Cassius zu übertragen vergeblich versucht hatten. Man schlug die Richtung ein nach den armeni- schen Bergen; die Nacht marschirend und am Tage rastend er- reichte Octavius mit einem Haufen von 5000 Mann die Festung Sinnaka, die nur noch einen Tagemarsch von den sichernden Höhen entfernt war, und befreite sogar mit eigener Lebensgefahr den Oberfeldherrn, den der Führer irre geleitet und dem Feinde preisgegeben hatte. Da ritt Surenas vor das römische Lager, um im Namen des Königs Orodes den Römern Frieden und Freund- schaft zu bieten und auf eine persönliche Zusammenkunft mit dem feindlichen Feldherrn anzutragen. Das römische Heer, de- moralisirt wie es war, beschwor, ja zwang seinen Führer das Anerbieten anzunehmen. Surenas empfing den Consular und dessen Stab mit den üblichen Ehren und erbot sich aufs Neue einen Freundschaftspact abzuschlieſsen; nur forderte er, mit ge- rechter Bitterkeit an das Schicksal der mit Lucullus und Pom- peius abgeschlossenen Verträge hinsichtlich der Euphratgrenze erinnernd (S. 133), daſs derselbe sogleich schriftlich abgefaſst werde. Ein reichgeschmückter Zelter ward vorgeführt: es war ein Geschenk des Königs für den römischen Oberfeldherrn; die Diener des Surenas drängten sich um diesen, beeifert ihn auf das Pferd zu heben. Es schien den römischen Offizieren, als beabsichtige man sich der Person des Oberfeldherrn zu bemächtigen; Octa- vius, unbewaffnet wie er war, riſs einem der Parther das Schwert aus der Scheide und stieſs den Pferdeknecht nieder. In dem Auf-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/329>, abgerufen am 15.05.2024.