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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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FÜNFTES BUCH. KAPITEL I.
Uebermacht hatte Sertorius nicht bloss sich in einer Kette von
glücklichen Gefechten und Siegen behauptet, sondern auch den
grössten Theil Spaniens in seine Gewalt gebracht. In der jenseitigen
Provinz war Metellus beschränkt auf die unmittelbar von seinen
Truppen besetzten Gebietstheile; hier hatten alle Völkerschaften,
die es konnten, Partei für Sertorius ergriffen. In der diesseitigen
gab es nach den Siegen des Hirtuleius kein römisches Heer mehr.
Sertorianische Emissäre durchstreiften das ganze gallische Gebiet;
schon fingen auch hier die Völkerschaften an sich zu regen und
zusammengerottete Haufen bedrohten die Alpenpässe. Die See
endlich gehörte ebenso sehr den Insurgenten als der legitimen
Regierung, da die Verbündeten jener, die Corsaren, in den
spanischen Gewässern fast ebenso mächtig waren wie die rö-
mischen Kriegsschiffe. Auf dem Vorgebirge der Diana (Ivica
gegenüber zwischen Valencia und Cartagena) richtete Sertorius
ihnen eine feste Station ein, wo sie theils den römischen Schif-
fen auflauerten die den römischen Seestädten und dem Heer
ihren Bedarf zuführten, theils den Insurgenten die Waaren ab-
nahmen oder lieferten, theils ihren Verkehr mit Italien und
Kleinasien vermittelten. Dass diese allzeit fertigen Vermittler
von der lohenden Brandstätte überall hin die Funken tru-
gen, war in hohem Grade besorgnisserregend, zumal in einer
Zeit, wo überall im römischen Staat so viel Brennstoff aufge-
häuft war.

In diese Verhältnisse hinein traf Sullas plötzlicher Tod
(676). So lange der Mann lebte, auf dessen Stimme ein geübtes
und zuverlässiges Veteranenheer jeden Augenblick sich zu erhe-
ben bereit war, mochte die Oligarchie den fast, wie es schien, ent-
schiedenen Verlust der spanischen Provinzen an die Emigranten,
so wie die Wahl des Führers der Opposition daheim zum höch-
sten Beamten des Reichs allenfalls als vorübergehende Missge-
schicke ertragen und, freilich in ihrer kurzsichtigen Art, aber doch
nicht ganz mit Unrecht, darauf sich verlassen, dass entweder die
Opposition nicht wagen werde zum offenen Kampfe zu schreiten
oder dass, wenn sie es wage, der zweimalige Erretter der Oligarchie
zum drittenmale dieselbe herstellen werde. Jetzt war der Stand
der Dinge ein anderer geworden. Die demokratischen Heisssporne
in der Hauptstadt, längst ungeduldig über das endlose Zögern
und angefeuert durch die glänzenden Botschaften aus Spanien,
drängten zum Losschlagen; Lepidus selbst ging darauf ein mit
dem ganzen Eifer des Renegaten und mit der ihm persönlich
eigenen Leichtfertigkeit. Einen Augenblick schien es, als solle

FÜNFTES BUCH. KAPITEL I.
Uebermacht hatte Sertorius nicht bloſs sich in einer Kette von
glücklichen Gefechten und Siegen behauptet, sondern auch den
gröſsten Theil Spaniens in seine Gewalt gebracht. In der jenseitigen
Provinz war Metellus beschränkt auf die unmittelbar von seinen
Truppen besetzten Gebietstheile; hier hatten alle Völkerschaften,
die es konnten, Partei für Sertorius ergriffen. In der diesseitigen
gab es nach den Siegen des Hirtuleius kein römisches Heer mehr.
Sertorianische Emissäre durchstreiften das ganze gallische Gebiet;
schon fingen auch hier die Völkerschaften an sich zu regen und
zusammengerottete Haufen bedrohten die Alpenpässe. Die See
endlich gehörte ebenso sehr den Insurgenten als der legitimen
Regierung, da die Verbündeten jener, die Corsaren, in den
spanischen Gewässern fast ebenso mächtig waren wie die rö-
mischen Kriegsschiffe. Auf dem Vorgebirge der Diana (Ivica
gegenüber zwischen Valencia und Cartagena) richtete Sertorius
ihnen eine feste Station ein, wo sie theils den römischen Schif-
fen auflauerten die den römischen Seestädten und dem Heer
ihren Bedarf zuführten, theils den Insurgenten die Waaren ab-
nahmen oder lieferten, theils ihren Verkehr mit Italien und
Kleinasien vermittelten. Daſs diese allzeit fertigen Vermittler
von der lohenden Brandstätte überall hin die Funken tru-
gen, war in hohem Grade besorgniſserregend, zumal in einer
Zeit, wo überall im römischen Staat so viel Brennstoff aufge-
häuft war.

In diese Verhältnisse hinein traf Sullas plötzlicher Tod
(676). So lange der Mann lebte, auf dessen Stimme ein geübtes
und zuverlässiges Veteranenheer jeden Augenblick sich zu erhe-
ben bereit war, mochte die Oligarchie den fast, wie es schien, ent-
schiedenen Verlust der spanischen Provinzen an die Emigranten,
so wie die Wahl des Führers der Opposition daheim zum höch-
sten Beamten des Reichs allenfalls als vorübergehende Miſsge-
schicke ertragen und, freilich in ihrer kurzsichtigen Art, aber doch
nicht ganz mit Unrecht, darauf sich verlassen, daſs entweder die
Opposition nicht wagen werde zum offenen Kampfe zu schreiten
oder daſs, wenn sie es wage, der zweimalige Erretter der Oligarchie
zum drittenmale dieselbe herstellen werde. Jetzt war der Stand
der Dinge ein anderer geworden. Die demokratischen Heiſssporne
in der Hauptstadt, längst ungeduldig über das endlose Zögern
und angefeuert durch die glänzenden Botschaften aus Spanien,
drängten zum Losschlagen; Lepidus selbst ging darauf ein mit
dem ganzen Eifer des Renegaten und mit der ihm persönlich
eigenen Leichtfertigkeit. Einen Augenblick schien es, als solle

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[20/0030] FÜNFTES BUCH. KAPITEL I. Uebermacht hatte Sertorius nicht bloſs sich in einer Kette von glücklichen Gefechten und Siegen behauptet, sondern auch den gröſsten Theil Spaniens in seine Gewalt gebracht. In der jenseitigen Provinz war Metellus beschränkt auf die unmittelbar von seinen Truppen besetzten Gebietstheile; hier hatten alle Völkerschaften, die es konnten, Partei für Sertorius ergriffen. In der diesseitigen gab es nach den Siegen des Hirtuleius kein römisches Heer mehr. Sertorianische Emissäre durchstreiften das ganze gallische Gebiet; schon fingen auch hier die Völkerschaften an sich zu regen und zusammengerottete Haufen bedrohten die Alpenpässe. Die See endlich gehörte ebenso sehr den Insurgenten als der legitimen Regierung, da die Verbündeten jener, die Corsaren, in den spanischen Gewässern fast ebenso mächtig waren wie die rö- mischen Kriegsschiffe. Auf dem Vorgebirge der Diana (Ivica gegenüber zwischen Valencia und Cartagena) richtete Sertorius ihnen eine feste Station ein, wo sie theils den römischen Schif- fen auflauerten die den römischen Seestädten und dem Heer ihren Bedarf zuführten, theils den Insurgenten die Waaren ab- nahmen oder lieferten, theils ihren Verkehr mit Italien und Kleinasien vermittelten. Daſs diese allzeit fertigen Vermittler von der lohenden Brandstätte überall hin die Funken tru- gen, war in hohem Grade besorgniſserregend, zumal in einer Zeit, wo überall im römischen Staat so viel Brennstoff aufge- häuft war. In diese Verhältnisse hinein traf Sullas plötzlicher Tod (676). So lange der Mann lebte, auf dessen Stimme ein geübtes und zuverlässiges Veteranenheer jeden Augenblick sich zu erhe- ben bereit war, mochte die Oligarchie den fast, wie es schien, ent- schiedenen Verlust der spanischen Provinzen an die Emigranten, so wie die Wahl des Führers der Opposition daheim zum höch- sten Beamten des Reichs allenfalls als vorübergehende Miſsge- schicke ertragen und, freilich in ihrer kurzsichtigen Art, aber doch nicht ganz mit Unrecht, darauf sich verlassen, daſs entweder die Opposition nicht wagen werde zum offenen Kampfe zu schreiten oder daſs, wenn sie es wage, der zweimalige Erretter der Oligarchie zum drittenmale dieselbe herstellen werde. Jetzt war der Stand der Dinge ein anderer geworden. Die demokratischen Heiſssporne in der Hauptstadt, längst ungeduldig über das endlose Zögern und angefeuert durch die glänzenden Botschaften aus Spanien, drängten zum Losschlagen; Lepidus selbst ging darauf ein mit dem ganzen Eifer des Renegaten und mit der ihm persönlich eigenen Leichtfertigkeit. Einen Augenblick schien es, als solle

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/30>, abgerufen am 29.03.2024.