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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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mahnte; aber freilich ein Statthalter, der statt des gewohnten
despotischen Regiments bemüht war die Provinzialen an Rom
und persönlich an sich zu fesseln. Sein ritterliches Wesen machte
ihm das Eingehen auf die spanische Weise leicht; nach der auch
hier wie bei den Kelten und den Deutschen bestehenden kriege-
rischen Sitte der Gefolgschaft schworen Tausende der edelsten
Spanier zu ihrem mit Begeisterung geliebten römischen Feldherrn
treu bis zum Tode zu stehen, und Sertorius fand in diesen Spa-
niern zuverlässigere Waffengefährten als in seinen Landsleuten
und Parteigenossen. Er verschmähte es nicht auch den Aber-
glauben der roheren spanischen Völkerschaften für sich nutzbar
zu machen und seine kriegerischen Pläne als Befehle der Diana
durch die weisse Hindin der Göttin sich zutragen zu lassen.
Durchaus führte er ein gerechtes und gelindes Regiment. Seine
Truppen mussten, wenigstens so weit sein Auge und sein Arm
reichten, die strengste Mannszucht halten; so mild er im Allge-
meinen im Strafen war, so unerbittlich erwies er sich bei jedem
von seinen Leuten auf befreundetem Gebiet verübten Frevel.
Aber auch auf dauernde Erleichterung der Lage der Provinzialen
war er bedacht; er setzte die Tribute herab und wies die Sol-
daten an sich für den Winter Baracken zu erbauen, wodurch die
drückende Last der Einquartierung wegfiel und damit eine Quelle
unsäglicher Uebelstände und Quälereien verstopft ward. Für die
Kinder der vornehmen Spanier ward in Osca (Huesca) eine Aca-
demie errichtet, in der sie den in Rom gewöhnlichen höheren
Jugendunterricht empfingen, römisch und griechisch reden und
die Toga tragen lernten -- eine merkwürdige Massregel, die
keineswegs bloss den Zweck hatte von den Verbündeten die in
Spanien nun einmal unvermeidlichen Geisseln in möglichst scho-
nender Form zu nehmen, sondern vor allem eine Steigerung war
des grossen Gedankens des Gaius Gracchus und der demokrati-
schen Partei die Provinzen allmählich zu romanisiren. Es war
der erste Anfang dazu die Romanisirung nicht durch Ausrottung
der alten Bewohner und Ersetzung derselben durch italische Emi-
granten zu bewerkstelligen, sondern durch die Latinisirung der
Provinzialen selbst. Die Optimaten in Rom spotteten über den
elenden Emigranten, den Ausreisser aus der italischen Armee,
den letzten von der Räuberbande des Carbo; der dürftige Hohn
fiel auf sie selber zurück. Man rechnete die Massen, die gegen
Sertorius ins Feld geführt worden waren, mit Einschluss des
spanischen Landsturms auf 120000 Mann zu Fuss, 2000 Bogen-
schützen und Schleuderer und 6000 Reiter. Gegen diese ungeheure

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mahnte; aber freilich ein Statthalter, der statt des gewohnten
despotischen Regiments bemüht war die Provinzialen an Rom
und persönlich an sich zu fesseln. Sein ritterliches Wesen machte
ihm das Eingehen auf die spanische Weise leicht; nach der auch
hier wie bei den Kelten und den Deutschen bestehenden kriege-
rischen Sitte der Gefolgschaft schworen Tausende der edelsten
Spanier zu ihrem mit Begeisterung geliebten römischen Feldherrn
treu bis zum Tode zu stehen, und Sertorius fand in diesen Spa-
niern zuverlässigere Waffengefährten als in seinen Landsleuten
und Parteigenossen. Er verschmähte es nicht auch den Aber-
glauben der roheren spanischen Völkerschaften für sich nutzbar
zu machen und seine kriegerischen Pläne als Befehle der Diana
durch die weiſse Hindin der Göttin sich zutragen zu lassen.
Durchaus führte er ein gerechtes und gelindes Regiment. Seine
Truppen muſsten, wenigstens so weit sein Auge und sein Arm
reichten, die strengste Mannszucht halten; so mild er im Allge-
meinen im Strafen war, so unerbittlich erwies er sich bei jedem
von seinen Leuten auf befreundetem Gebiet verübten Frevel.
Aber auch auf dauernde Erleichterung der Lage der Provinzialen
war er bedacht; er setzte die Tribute herab und wies die Sol-
daten an sich für den Winter Baracken zu erbauen, wodurch die
drückende Last der Einquartierung wegfiel und damit eine Quelle
unsäglicher Uebelstände und Quälereien verstopft ward. Für die
Kinder der vornehmen Spanier ward in Osca (Huesca) eine Aca-
demie errichtet, in der sie den in Rom gewöhnlichen höheren
Jugendunterricht empfingen, römisch und griechisch reden und
die Toga tragen lernten — eine merkwürdige Maſsregel, die
keineswegs bloſs den Zweck hatte von den Verbündeten die in
Spanien nun einmal unvermeidlichen Geiſseln in möglichst scho-
nender Form zu nehmen, sondern vor allem eine Steigerung war
des groſsen Gedankens des Gaius Gracchus und der demokrati-
schen Partei die Provinzen allmählich zu romanisiren. Es war
der erste Anfang dazu die Romanisirung nicht durch Ausrottung
der alten Bewohner und Ersetzung derselben durch italische Emi-
granten zu bewerkstelligen, sondern durch die Latinisirung der
Provinzialen selbst. Die Optimaten in Rom spotteten über den
elenden Emigranten, den Ausreiſser aus der italischen Armee,
den letzten von der Räuberbande des Carbo; der dürftige Hohn
fiel auf sie selber zurück. Man rechnete die Massen, die gegen
Sertorius ins Feld geführt worden waren, mit Einschluſs des
spanischen Landsturms auf 120000 Mann zu Fuſs, 2000 Bogen-
schützen und Schleuderer und 6000 Reiter. Gegen diese ungeheure

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[19/0029] LEPIDUS UND SERTORIUS. mahnte; aber freilich ein Statthalter, der statt des gewohnten despotischen Regiments bemüht war die Provinzialen an Rom und persönlich an sich zu fesseln. Sein ritterliches Wesen machte ihm das Eingehen auf die spanische Weise leicht; nach der auch hier wie bei den Kelten und den Deutschen bestehenden kriege- rischen Sitte der Gefolgschaft schworen Tausende der edelsten Spanier zu ihrem mit Begeisterung geliebten römischen Feldherrn treu bis zum Tode zu stehen, und Sertorius fand in diesen Spa- niern zuverlässigere Waffengefährten als in seinen Landsleuten und Parteigenossen. Er verschmähte es nicht auch den Aber- glauben der roheren spanischen Völkerschaften für sich nutzbar zu machen und seine kriegerischen Pläne als Befehle der Diana durch die weiſse Hindin der Göttin sich zutragen zu lassen. Durchaus führte er ein gerechtes und gelindes Regiment. Seine Truppen muſsten, wenigstens so weit sein Auge und sein Arm reichten, die strengste Mannszucht halten; so mild er im Allge- meinen im Strafen war, so unerbittlich erwies er sich bei jedem von seinen Leuten auf befreundetem Gebiet verübten Frevel. Aber auch auf dauernde Erleichterung der Lage der Provinzialen war er bedacht; er setzte die Tribute herab und wies die Sol- daten an sich für den Winter Baracken zu erbauen, wodurch die drückende Last der Einquartierung wegfiel und damit eine Quelle unsäglicher Uebelstände und Quälereien verstopft ward. Für die Kinder der vornehmen Spanier ward in Osca (Huesca) eine Aca- demie errichtet, in der sie den in Rom gewöhnlichen höheren Jugendunterricht empfingen, römisch und griechisch reden und die Toga tragen lernten — eine merkwürdige Maſsregel, die keineswegs bloſs den Zweck hatte von den Verbündeten die in Spanien nun einmal unvermeidlichen Geiſseln in möglichst scho- nender Form zu nehmen, sondern vor allem eine Steigerung war des groſsen Gedankens des Gaius Gracchus und der demokrati- schen Partei die Provinzen allmählich zu romanisiren. Es war der erste Anfang dazu die Romanisirung nicht durch Ausrottung der alten Bewohner und Ersetzung derselben durch italische Emi- granten zu bewerkstelligen, sondern durch die Latinisirung der Provinzialen selbst. Die Optimaten in Rom spotteten über den elenden Emigranten, den Ausreiſser aus der italischen Armee, den letzten von der Räuberbande des Carbo; der dürftige Hohn fiel auf sie selber zurück. Man rechnete die Massen, die gegen Sertorius ins Feld geführt worden waren, mit Einschluſs des spanischen Landsturms auf 120000 Mann zu Fuſs, 2000 Bogen- schützen und Schleuderer und 6000 Reiter. Gegen diese ungeheure 2*

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/29>, abgerufen am 23.04.2024.