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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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LEPIDUS UND SERTORIUS.
jenen war der einzig übriggebliebene namhafte Mann Gaius Cotta
(630--c. 681), der Freund und Bundesgenosse des Drusus und
desswegen im J. 663 verbannt (II, 219), sodann durch Sullas
Sieg zurückgeführt in die Heimath; er war ein kluger Mann und
ein tüchtiger Anwalt, aber weder durch das Gewicht seiner Par-
tei noch durch das seiner Persönlichkeit zu mehr berufen als
zu einer achtbaren Nebenrolle. In der demokratischen Partei
zog unter dem jungen Nachwuchs der zweiundzwanzigjährige
Gaius Julius Caesar (geb. 12. Juli 654) von Freund und Feind
die Blicke auf sich. Seine Verschwägerung mit Marius und
Cinna -- seines Vaters Schwester war Marius Gemahlin gewesen,
er selbst mit Cinnas Tochter vermählt -- die muthige Weige-
rung des kaum dem Knabenalter entwachsenen Jünglings nach
dem Befehl des Dictators gleich Pompeius seiner jungen Ge-
mahlin den Scheidebrief zuzusenden; sein keckes Beharren auf
dem ihm von Marius zugetheilten, von Sulla aber wieder aber-
kannten Priesteramt; seine Irrfahrten während der ihm drohenden
und mühsam durch Fürbitte seiner Verwandten abgewandten
Aechtung; seine Tapferkeit in den Gefechten vor Mytilene und
in Kilikien, die dem zärtlich erzogenen und fast weibisch stutzer-
haften Knaben Niemand zugetraut hatte; selbst die Warnungen
Sullas vor dem ,Knaben im Unterrock', in dem mehr als ein
Marius steckte -- alles dies waren eben so viele Empfehlungen in
den Augen der demokratischen Partei. Indess an Caesar konnten
doch nur Hoffnungen für die Zukunft sich knüpfen; die Demo-
kratie brauchte Männer, die durch ihr Alter und ihre Stellung im
Staat berufen waren der Zügel der Partei und des Staats sich zu
bemächtigen. Allein die ehemaligen Führer waren alle gefallen
oder geächtet. Der einzige angesehene Mann, der offen auftrat
als Vertreter der unterdrückten Volksfreiheit, Marcus Aemilius
Lepidus, war ein Lückenbüsser, ein Ueberläufer aus dem Lager
der Sullaner, der aus mehr als zweideutigen Beweggründen die
Farbe gewechselt hatte. Einst ein eifriger Optimat und stark be-
theiligt bei den über die Güter der Geächteten angestellten Auc-
tionen hatte er als Statthalter von Sicilien die Provinz so arg
geplündert, dass ihm eine Anklage drohte, und, um dieser zu
entgehen, sich in die Opposition geworfen. Es war ein Gewinn
von zweifelhaftem Werthe. Zwar ein bekannter Name, ein vor-
nehmer Mann, ein hitziger Redner auf dem Markt war damit der
Opposition erworben, aber Lepidus war ein unbedeutender und
unbesonnener Kopf, der weder im Rathe noch im Felde verdiente
an der Spitze zu stehen. Nichts desto weniger hiess die Oppo-

LEPIDUS UND SERTORIUS.
jenen war der einzig übriggebliebene namhafte Mann Gaius Cotta
(630—c. 681), der Freund und Bundesgenosse des Drusus und
deſswegen im J. 663 verbannt (II, 219), sodann durch Sullas
Sieg zurückgeführt in die Heimath; er war ein kluger Mann und
ein tüchtiger Anwalt, aber weder durch das Gewicht seiner Par-
tei noch durch das seiner Persönlichkeit zu mehr berufen als
zu einer achtbaren Nebenrolle. In der demokratischen Partei
zog unter dem jungen Nachwuchs der zweiundzwanzigjährige
Gaius Julius Caesar (geb. 12. Juli 654) von Freund und Feind
die Blicke auf sich. Seine Verschwägerung mit Marius und
Cinna — seines Vaters Schwester war Marius Gemahlin gewesen,
er selbst mit Cinnas Tochter vermählt — die muthige Weige-
rung des kaum dem Knabenalter entwachsenen Jünglings nach
dem Befehl des Dictators gleich Pompeius seiner jungen Ge-
mahlin den Scheidebrief zuzusenden; sein keckes Beharren auf
dem ihm von Marius zugetheilten, von Sulla aber wieder aber-
kannten Priesteramt; seine Irrfahrten während der ihm drohenden
und mühsam durch Fürbitte seiner Verwandten abgewandten
Aechtung; seine Tapferkeit in den Gefechten vor Mytilene und
in Kilikien, die dem zärtlich erzogenen und fast weibisch stutzer-
haften Knaben Niemand zugetraut hatte; selbst die Warnungen
Sullas vor dem ‚Knaben im Unterrock‘, in dem mehr als ein
Marius steckte — alles dies waren eben so viele Empfehlungen in
den Augen der demokratischen Partei. Indeſs an Caesar konnten
doch nur Hoffnungen für die Zukunft sich knüpfen; die Demo-
kratie brauchte Männer, die durch ihr Alter und ihre Stellung im
Staat berufen waren der Zügel der Partei und des Staats sich zu
bemächtigen. Allein die ehemaligen Führer waren alle gefallen
oder geächtet. Der einzige angesehene Mann, der offen auftrat
als Vertreter der unterdrückten Volksfreiheit, Marcus Aemilius
Lepidus, war ein Lückenbüſser, ein Ueberläufer aus dem Lager
der Sullaner, der aus mehr als zweideutigen Beweggründen die
Farbe gewechselt hatte. Einst ein eifriger Optimat und stark be-
theiligt bei den über die Güter der Geächteten angestellten Auc-
tionen hatte er als Statthalter von Sicilien die Provinz so arg
geplündert, daſs ihm eine Anklage drohte, und, um dieser zu
entgehen, sich in die Opposition geworfen. Es war ein Gewinn
von zweifelhaftem Werthe. Zwar ein bekannter Name, ein vor-
nehmer Mann, ein hitziger Redner auf dem Markt war damit der
Opposition erworben, aber Lepidus war ein unbedeutender und
unbesonnener Kopf, der weder im Rathe noch im Felde verdiente
an der Spitze zu stehen. Nichts desto weniger hieſs die Oppo-

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[15/0025] LEPIDUS UND SERTORIUS. jenen war der einzig übriggebliebene namhafte Mann Gaius Cotta (630—c. 681), der Freund und Bundesgenosse des Drusus und deſswegen im J. 663 verbannt (II, 219), sodann durch Sullas Sieg zurückgeführt in die Heimath; er war ein kluger Mann und ein tüchtiger Anwalt, aber weder durch das Gewicht seiner Par- tei noch durch das seiner Persönlichkeit zu mehr berufen als zu einer achtbaren Nebenrolle. In der demokratischen Partei zog unter dem jungen Nachwuchs der zweiundzwanzigjährige Gaius Julius Caesar (geb. 12. Juli 654) von Freund und Feind die Blicke auf sich. Seine Verschwägerung mit Marius und Cinna — seines Vaters Schwester war Marius Gemahlin gewesen, er selbst mit Cinnas Tochter vermählt — die muthige Weige- rung des kaum dem Knabenalter entwachsenen Jünglings nach dem Befehl des Dictators gleich Pompeius seiner jungen Ge- mahlin den Scheidebrief zuzusenden; sein keckes Beharren auf dem ihm von Marius zugetheilten, von Sulla aber wieder aber- kannten Priesteramt; seine Irrfahrten während der ihm drohenden und mühsam durch Fürbitte seiner Verwandten abgewandten Aechtung; seine Tapferkeit in den Gefechten vor Mytilene und in Kilikien, die dem zärtlich erzogenen und fast weibisch stutzer- haften Knaben Niemand zugetraut hatte; selbst die Warnungen Sullas vor dem ‚Knaben im Unterrock‘, in dem mehr als ein Marius steckte — alles dies waren eben so viele Empfehlungen in den Augen der demokratischen Partei. Indeſs an Caesar konnten doch nur Hoffnungen für die Zukunft sich knüpfen; die Demo- kratie brauchte Männer, die durch ihr Alter und ihre Stellung im Staat berufen waren der Zügel der Partei und des Staats sich zu bemächtigen. Allein die ehemaligen Führer waren alle gefallen oder geächtet. Der einzige angesehene Mann, der offen auftrat als Vertreter der unterdrückten Volksfreiheit, Marcus Aemilius Lepidus, war ein Lückenbüſser, ein Ueberläufer aus dem Lager der Sullaner, der aus mehr als zweideutigen Beweggründen die Farbe gewechselt hatte. Einst ein eifriger Optimat und stark be- theiligt bei den über die Güter der Geächteten angestellten Auc- tionen hatte er als Statthalter von Sicilien die Provinz so arg geplündert, daſs ihm eine Anklage drohte, und, um dieser zu entgehen, sich in die Opposition geworfen. Es war ein Gewinn von zweifelhaftem Werthe. Zwar ein bekannter Name, ein vor- nehmer Mann, ein hitziger Redner auf dem Markt war damit der Opposition erworben, aber Lepidus war ein unbedeutender und unbesonnener Kopf, der weder im Rathe noch im Felde verdiente an der Spitze zu stehen. Nichts desto weniger hieſs die Oppo-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/25>, abgerufen am 25.04.2024.