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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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FÜNFTES BUCH. KAPITEL I.
sition ihn willkommen; und dem neuen Demokratenführer gelang
es nicht bloss seine Ankläger von der Fortsetzung des gegen
ihn begonnenen Angriffs abzuschrecken, sondern auch seine
Wahl zum Consul für 676 durchzusetzen, wobei übrigens ausser
seinen in Sicilien erpressten Schätzen auch Pompeius albernes
Bestreben bei dieser Gelegenheit Sulla und den reinen Sullanern
zu zeigen was er vermöge, ihm förderlich war. Da also, als
Sulla starb, die Opposition an Lepidus wieder ein Haupt gefun-
den hatte und da dieser ihr Führer der höchste Beamte des
Staats geworden war, so konnten baldige Bewegungen nicht
wohl ausbleiben.

Schon früher aber als die Demokraten in der Hauptstadt
hatten sich in Spanien die demokratischen Emigranten wieder
geregt. Die Seele dieser Bewegung war Quintus Sertorius. Die-
ser vorzügliche Mann, geboren in Nursia im Sabinerland, war
von Haus aus zart und selbst weich organisirt -- die fast schwär-
merische Liebe für seine Mutter Raia zeigt es -- und zugleich
von der ritterlichsten Tapferkeit, wie die aus dem kimbrischen,
dem spanischen und dem italischen Krieg heimgebrachten ehren-
vollen Narben bewiesen. Obwohl als Redner gänzlich ungeschult,
erregte er durch den natürlichen Fluss und die treffende Sicherheit
seiner Rede die Bewunderung der gelernten Sachwalter. Sein un-
gemeines militärisches und staatsmännisches Talent hatte er na-
mentlich in dem von den Demokraten so über die Massen elend
und kopflos geführten Revolutionskrieg Gelegenheit gefunden in
glänzendem Contrast zu beweisen; anerkannter Massen war er der
einzige demokratische Offizier, der den Krieg vorzubereiten und zu
leiten verstand und der einzige demokratische Staatsmann, der dem
gedankenlosen Treiben und Wüthen seiner Partei mit staatsmän-
nischer Energie entgegentrat. Seine spanischen Soldaten nannten
ihn den neuen Hannibal und nicht bloss desswegen, weil er gleich
diesem im Krieg ein Auge eingebüsst hatte. Er erinnert in der
That an den grossen Phoenikier durch seine ebenso verschlagene
als muthige Kriegführung, sein seltenes Talent den Krieg durch
den Krieg zu organisiren, seine Gewandtheit fremde Nationen in
sein Interesse zu ziehen und seinen Zwecken dienstbar zu machen,
seine Besonnenheit im Glück und Unglück, seine erfinderische
Raschheit in der Benutzung seiner Siege wie nach erlittenen Un-
fällen. Man darf zweifeln, ob irgend ein römischer Staatsmann
der früheren oder der gegenwärtigen Zeit an allseitigem Talent
mit Sertorius sich vergleichen lässt. Nachdem er vor Sullas
Feldherren aus Spanien hatte weichen müssen (II, 319), hatte er

FÜNFTES BUCH. KAPITEL I.
sition ihn willkommen; und dem neuen Demokratenführer gelang
es nicht bloſs seine Ankläger von der Fortsetzung des gegen
ihn begonnenen Angriffs abzuschrecken, sondern auch seine
Wahl zum Consul für 676 durchzusetzen, wobei übrigens auſser
seinen in Sicilien erpreſsten Schätzen auch Pompeius albernes
Bestreben bei dieser Gelegenheit Sulla und den reinen Sullanern
zu zeigen was er vermöge, ihm förderlich war. Da also, als
Sulla starb, die Opposition an Lepidus wieder ein Haupt gefun-
den hatte und da dieser ihr Führer der höchste Beamte des
Staats geworden war, so konnten baldige Bewegungen nicht
wohl ausbleiben.

Schon früher aber als die Demokraten in der Hauptstadt
hatten sich in Spanien die demokratischen Emigranten wieder
geregt. Die Seele dieser Bewegung war Quintus Sertorius. Die-
ser vorzügliche Mann, geboren in Nursia im Sabinerland, war
von Haus aus zart und selbst weich organisirt — die fast schwär-
merische Liebe für seine Mutter Raia zeigt es — und zugleich
von der ritterlichsten Tapferkeit, wie die aus dem kimbrischen,
dem spanischen und dem italischen Krieg heimgebrachten ehren-
vollen Narben bewiesen. Obwohl als Redner gänzlich ungeschult,
erregte er durch den natürlichen Fluſs und die treffende Sicherheit
seiner Rede die Bewunderung der gelernten Sachwalter. Sein un-
gemeines militärisches und staatsmännisches Talent hatte er na-
mentlich in dem von den Demokraten so über die Maſsen elend
und kopflos geführten Revolutionskrieg Gelegenheit gefunden in
glänzendem Contrast zu beweisen; anerkannter Maſsen war er der
einzige demokratische Offizier, der den Krieg vorzubereiten und zu
leiten verstand und der einzige demokratische Staatsmann, der dem
gedankenlosen Treiben und Wüthen seiner Partei mit staatsmän-
nischer Energie entgegentrat. Seine spanischen Soldaten nannten
ihn den neuen Hannibal und nicht bloſs deſswegen, weil er gleich
diesem im Krieg ein Auge eingebüſst hatte. Er erinnert in der
That an den groſsen Phoenikier durch seine ebenso verschlagene
als muthige Kriegführung, sein seltenes Talent den Krieg durch
den Krieg zu organisiren, seine Gewandtheit fremde Nationen in
sein Interesse zu ziehen und seinen Zwecken dienstbar zu machen,
seine Besonnenheit im Glück und Unglück, seine erfinderische
Raschheit in der Benutzung seiner Siege wie nach erlittenen Un-
fällen. Man darf zweifeln, ob irgend ein römischer Staatsmann
der früheren oder der gegenwärtigen Zeit an allseitigem Talent
mit Sertorius sich vergleichen läſst. Nachdem er vor Sullas
Feldherren aus Spanien hatte weichen müssen (II, 319), hatte er

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[16/0026] FÜNFTES BUCH. KAPITEL I. sition ihn willkommen; und dem neuen Demokratenführer gelang es nicht bloſs seine Ankläger von der Fortsetzung des gegen ihn begonnenen Angriffs abzuschrecken, sondern auch seine Wahl zum Consul für 676 durchzusetzen, wobei übrigens auſser seinen in Sicilien erpreſsten Schätzen auch Pompeius albernes Bestreben bei dieser Gelegenheit Sulla und den reinen Sullanern zu zeigen was er vermöge, ihm förderlich war. Da also, als Sulla starb, die Opposition an Lepidus wieder ein Haupt gefun- den hatte und da dieser ihr Führer der höchste Beamte des Staats geworden war, so konnten baldige Bewegungen nicht wohl ausbleiben. Schon früher aber als die Demokraten in der Hauptstadt hatten sich in Spanien die demokratischen Emigranten wieder geregt. Die Seele dieser Bewegung war Quintus Sertorius. Die- ser vorzügliche Mann, geboren in Nursia im Sabinerland, war von Haus aus zart und selbst weich organisirt — die fast schwär- merische Liebe für seine Mutter Raia zeigt es — und zugleich von der ritterlichsten Tapferkeit, wie die aus dem kimbrischen, dem spanischen und dem italischen Krieg heimgebrachten ehren- vollen Narben bewiesen. Obwohl als Redner gänzlich ungeschult, erregte er durch den natürlichen Fluſs und die treffende Sicherheit seiner Rede die Bewunderung der gelernten Sachwalter. Sein un- gemeines militärisches und staatsmännisches Talent hatte er na- mentlich in dem von den Demokraten so über die Maſsen elend und kopflos geführten Revolutionskrieg Gelegenheit gefunden in glänzendem Contrast zu beweisen; anerkannter Maſsen war er der einzige demokratische Offizier, der den Krieg vorzubereiten und zu leiten verstand und der einzige demokratische Staatsmann, der dem gedankenlosen Treiben und Wüthen seiner Partei mit staatsmän- nischer Energie entgegentrat. Seine spanischen Soldaten nannten ihn den neuen Hannibal und nicht bloſs deſswegen, weil er gleich diesem im Krieg ein Auge eingebüſst hatte. Er erinnert in der That an den groſsen Phoenikier durch seine ebenso verschlagene als muthige Kriegführung, sein seltenes Talent den Krieg durch den Krieg zu organisiren, seine Gewandtheit fremde Nationen in sein Interesse zu ziehen und seinen Zwecken dienstbar zu machen, seine Besonnenheit im Glück und Unglück, seine erfinderische Raschheit in der Benutzung seiner Siege wie nach erlittenen Un- fällen. Man darf zweifeln, ob irgend ein römischer Staatsmann der früheren oder der gegenwärtigen Zeit an allseitigem Talent mit Sertorius sich vergleichen läſst. Nachdem er vor Sullas Feldherren aus Spanien hatte weichen müssen (II, 319), hatte er

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/26>, abgerufen am 19.04.2024.