fer als durch dieses Urtheil kritisirte der römische Feldherr die keltische Infanterie dadurch, dass, nachdem er sie in seinem ersten Feldzug kennen gelernt hatte, er consequent es unterliess sie in Verbindung mit der römischen zu verwenden.
Ueberblicken wir den Gesammtzustand der Kelten, wie ihn Caesar in den transalpinischen Landschaften vorfand, so ist, ver- glichen mit der Culturstufe, auf der anderthalb Jahrhunderte zu- vor die Kelten im Pothal uns entgegentraten, ein Fortschritt in der Civilisation unverkennbar. Damals überwog in den Heeren durchaus die in ihrer Art freilich vortreffliche Landwehr (I, 209); jetzt nimmt die Ritterschaft den ersten Platz ein. Damals wohn- ten die Kelten in offenen Flecken, jetzt umgaben ihre Ortschaften wohlgefügte Mauern. Auch die lombardischen Gräberfunde ste- hen, namentlich in dem Kupfer- und Glasgeräth, weit zurück hinter denen des nördlichen Keltenlandes. Vielleicht der zuver- lässigste Messer der steigenden Cultur ist das Gefühl der Zusam- mengehörigkeit der Nation; so wenig davon in den auf dem Bo- den der heutigen Lombardei geschlagenen Keltenkämpfen zu Tage tritt, so lebendig erscheint es in den Kämpfen gegen Caesar. Allem Anschein nach hatte die keltische Nation, als Caesar ihr gegenüber- trat, das Maximum der ihr möglichen Cultur bereits erreicht und war schon wieder im Sinken. Die Civilisation der transalpinischen Kelten in der caesarischen Zeit bietet selbst für uns, die wir nur sehr unvollkommen über sie berichtet sind, manche achtbare und noch mehr interessante Seiten; in mehr als einer Hinsicht schliesst sie sich enger der modernen an als der hellenisch-römischen, mit ihren Segelschiffen, ihrem Ritterthum, ihrer Kirchenverfassung, vor allen Dingen mit ihren wenn auch unvollkommenen Versu- chen den Staat nicht auf die Stadt, sondern auf den Stamm und in höherer Potenz auf die Nation zu bauen. Aber eben darum, weil wir hier der keltischen Nation auf dem Höhepunct ihrer Entwickelung begegnen, tritt um so bestimmter ihre mindere sittliche Begabung oder, was dasselbe ist, ihre mindere Cultur- fähigkeit hervor. Sie vermochte aus sich weder eine nationale Kunst noch einen nationalen Staat zu erzeugen und brachte es höchstens zu einer nationalen Theologie und einem eigenen Rit- terthum. Die ursprüngliche naive Tapferkeit war nicht mehr; der auf höhere Sittlichkeit und zweckmässige Ordnungen ge- stützte militärische Muth, wie er im Gefolge der gesteigerten Ci- vilisation eintritt, hatte nur in sehr verkümmerter Gestalt in dem Ritterthum sich eingestellt. Wohl war die eigentliche Barbarei überwunden; die alte Sitte mit dem verstorbenen Häuptling seine
DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
fer als durch dieses Urtheil kritisirte der römische Feldherr die keltische Infanterie dadurch, daſs, nachdem er sie in seinem ersten Feldzug kennen gelernt hatte, er consequent es unterlieſs sie in Verbindung mit der römischen zu verwenden.
Ueberblicken wir den Gesammtzustand der Kelten, wie ihn Caesar in den transalpinischen Landschaften vorfand, so ist, ver- glichen mit der Culturstufe, auf der anderthalb Jahrhunderte zu- vor die Kelten im Pothal uns entgegentraten, ein Fortschritt in der Civilisation unverkennbar. Damals überwog in den Heeren durchaus die in ihrer Art freilich vortreffliche Landwehr (I, 209); jetzt nimmt die Ritterschaft den ersten Platz ein. Damals wohn- ten die Kelten in offenen Flecken, jetzt umgaben ihre Ortschaften wohlgefügte Mauern. Auch die lombardischen Gräberfunde ste- hen, namentlich in dem Kupfer- und Glasgeräth, weit zurück hinter denen des nördlichen Keltenlandes. Vielleicht der zuver- lässigste Messer der steigenden Cultur ist das Gefühl der Zusam- mengehörigkeit der Nation; so wenig davon in den auf dem Bo- den der heutigen Lombardei geschlagenen Keltenkämpfen zu Tage tritt, so lebendig erscheint es in den Kämpfen gegen Caesar. Allem Anschein nach hatte die keltische Nation, als Caesar ihr gegenüber- trat, das Maximum der ihr möglichen Cultur bereits erreicht und war schon wieder im Sinken. Die Civilisation der transalpinischen Kelten in der caesarischen Zeit bietet selbst für uns, die wir nur sehr unvollkommen über sie berichtet sind, manche achtbare und noch mehr interessante Seiten; in mehr als einer Hinsicht schlieſst sie sich enger der modernen an als der hellenisch-römischen, mit ihren Segelschiffen, ihrem Ritterthum, ihrer Kirchenverfassung, vor allen Dingen mit ihren wenn auch unvollkommenen Versu- chen den Staat nicht auf die Stadt, sondern auf den Stamm und in höherer Potenz auf die Nation zu bauen. Aber eben darum, weil wir hier der keltischen Nation auf dem Höhepunct ihrer Entwickelung begegnen, tritt um so bestimmter ihre mindere sittliche Begabung oder, was dasselbe ist, ihre mindere Cultur- fähigkeit hervor. Sie vermochte aus sich weder eine nationale Kunst noch einen nationalen Staat zu erzeugen und brachte es höchstens zu einer nationalen Theologie und einem eigenen Rit- terthum. Die ursprüngliche naive Tapferkeit war nicht mehr; der auf höhere Sittlichkeit und zweckmäſsige Ordnungen ge- stützte militärische Muth, wie er im Gefolge der gesteigerten Ci- vilisation eintritt, hatte nur in sehr verkümmerter Gestalt in dem Ritterthum sich eingestellt. Wohl war die eigentliche Barbarei überwunden; die alte Sitte mit dem verstorbenen Häuptling seine
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DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
fer als durch dieses Urtheil kritisirte der römische Feldherr die
keltische Infanterie dadurch, daſs, nachdem er sie in seinem
ersten Feldzug kennen gelernt hatte, er consequent es unterlieſs
sie in Verbindung mit der römischen zu verwenden.
Ueberblicken wir den Gesammtzustand der Kelten, wie ihn
Caesar in den transalpinischen Landschaften vorfand, so ist, ver-
glichen mit der Culturstufe, auf der anderthalb Jahrhunderte zu-
vor die Kelten im Pothal uns entgegentraten, ein Fortschritt in
der Civilisation unverkennbar. Damals überwog in den Heeren
durchaus die in ihrer Art freilich vortreffliche Landwehr (I, 209);
jetzt nimmt die Ritterschaft den ersten Platz ein. Damals wohn-
ten die Kelten in offenen Flecken, jetzt umgaben ihre Ortschaften
wohlgefügte Mauern. Auch die lombardischen Gräberfunde ste-
hen, namentlich in dem Kupfer- und Glasgeräth, weit zurück
hinter denen des nördlichen Keltenlandes. Vielleicht der zuver-
lässigste Messer der steigenden Cultur ist das Gefühl der Zusam-
mengehörigkeit der Nation; so wenig davon in den auf dem Bo-
den der heutigen Lombardei geschlagenen Keltenkämpfen zu Tage
tritt, so lebendig erscheint es in den Kämpfen gegen Caesar. Allem
Anschein nach hatte die keltische Nation, als Caesar ihr gegenüber-
trat, das Maximum der ihr möglichen Cultur bereits erreicht und
war schon wieder im Sinken. Die Civilisation der transalpinischen
Kelten in der caesarischen Zeit bietet selbst für uns, die wir nur
sehr unvollkommen über sie berichtet sind, manche achtbare und
noch mehr interessante Seiten; in mehr als einer Hinsicht schlieſst
sie sich enger der modernen an als der hellenisch-römischen, mit
ihren Segelschiffen, ihrem Ritterthum, ihrer Kirchenverfassung,
vor allen Dingen mit ihren wenn auch unvollkommenen Versu-
chen den Staat nicht auf die Stadt, sondern auf den Stamm und
in höherer Potenz auf die Nation zu bauen. Aber eben darum,
weil wir hier der keltischen Nation auf dem Höhepunct ihrer
Entwickelung begegnen, tritt um so bestimmter ihre mindere
sittliche Begabung oder, was dasselbe ist, ihre mindere Cultur-
fähigkeit hervor. Sie vermochte aus sich weder eine nationale
Kunst noch einen nationalen Staat zu erzeugen und brachte es
höchstens zu einer nationalen Theologie und einem eigenen Rit-
terthum. Die ursprüngliche naive Tapferkeit war nicht mehr;
der auf höhere Sittlichkeit und zweckmäſsige Ordnungen ge-
stützte militärische Muth, wie er im Gefolge der gesteigerten Ci-
vilisation eintritt, hatte nur in sehr verkümmerter Gestalt in dem
Ritterthum sich eingestellt. Wohl war die eigentliche Barbarei
überwunden; die alte Sitte mit dem verstorbenen Häuptling seine
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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/229>, abgerufen am 24.11.2024.
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