Verhältnissen Partei ergriff. Wie Hellas sich zerrieb nicht so sehr in dem Kampfe Athens gegen Sparta als in dem inneren Zwist athenischer und lakedämonischer Faction in jeder abhängigen Gemeinde, ja in Athen selbst: so hat auch die Rivalität der Ar- verner und der Haeduer mit ihren Wiederholungen in kleinem und immer kleinerem Massstab die keltische Nation zernichtet.
Die Wehrhaftigkeit der Nation empfand den Rückschlag dieser politischen und socialen Verhältnisse. Die Reiterei war durchaus die vorwiegende Waffe, woneben bei den Belgen und mehr noch auf den brittischen Inseln die altnationalen Streitwa- gen in bemerkenswerther Vervollkommnung erscheinen. Diese ebenso zahlreichen wie tüchtigen Reiter- und Wagenkämpfer- schaaren wurden gebildet aus dem Adel und dessen Mannen, der denn auch echt ritterlich an Hunden und Pferden seine Lust hatte und es sich viel kosten liess edle Rosse ausländischer Race zu reiten. Für die Kampfweise dieser Edelleute ist es bezeich- nend, dass sie, im Begriff mit einem gering geschätzten Feinde ein Gefecht zu beginnen, Mann für Mann schworen Haus und Hof meiden zu wollen, wenn man nicht wenigstens zweimal durch die feindliche Linie setzen werde. Neben dieser Ritterschaft trat das Fussvolk in den Hintergrund. In der Hauptsache glich es wesentlich noch den Keltenschaaren, mit denen die Römer früher in Italien und Spanien gefochten hatten. Der grosse Schild war wie damals die hauptsächlichste Wehr; unter den Waffen spielte dagegen statt des Schwertes jetzt die lange Stosslanze die erste Rolle. Wo mehrere Gaue zusammen Krieg führten, lagerte und stritt natürlich Clan neben Clan; es findet sich keine Spur, dass man das Aufgebot des einzelnen Gaues militärisch gegliedert und kleinere und regelrechtere taktische Abtheilungen gebildet hätte. Noch immer schleppte ein langer Wagentross dem Kelten- heer das Gepäck nach; anstatt des verschanzten Lagers, wie es die Römer allabendlich schlugen, diente noch immer das dürftige Surrogat der Wagenburg. Von einzelnen Gauen, wie zum Bei- spiel den Nerviern, wird ausnahmsweise die Tüchtigkeit ihres Fussvolks hervorgehoben; bemerkenswerth ist es, dass eben diese keine Ritterschaft hatten und vielleicht sogar kein kelti- scher, sondern ein eingewanderter deutscher Stamm waren. Im Allgemeinen aber erscheint das keltische Fussvolk dieser Zeit als ein unkriegerischer und schwerfälliger Landsturm; am meisten in den südlicheren Landschaften, wo mit der Roheit auch die Tapferkeit verschwunden war. Der Kelte, sagt Caesar, wagt es nicht dem Germanen im Kampfe ins Auge zu sehen; noch schär-
FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
Verhältnissen Partei ergriff. Wie Hellas sich zerrieb nicht so sehr in dem Kampfe Athens gegen Sparta als in dem inneren Zwist athenischer und lakedämonischer Faction in jeder abhängigen Gemeinde, ja in Athen selbst: so hat auch die Rivalität der Ar- verner und der Haeduer mit ihren Wiederholungen in kleinem und immer kleinerem Maſsstab die keltische Nation zernichtet.
Die Wehrhaftigkeit der Nation empfand den Rückschlag dieser politischen und socialen Verhältnisse. Die Reiterei war durchaus die vorwiegende Waffe, woneben bei den Belgen und mehr noch auf den brittischen Inseln die altnationalen Streitwa- gen in bemerkenswerther Vervollkommnung erscheinen. Diese ebenso zahlreichen wie tüchtigen Reiter- und Wagenkämpfer- schaaren wurden gebildet aus dem Adel und dessen Mannen, der denn auch echt ritterlich an Hunden und Pferden seine Lust hatte und es sich viel kosten lieſs edle Rosse ausländischer Race zu reiten. Für die Kampfweise dieser Edelleute ist es bezeich- nend, daſs sie, im Begriff mit einem gering geschätzten Feinde ein Gefecht zu beginnen, Mann für Mann schworen Haus und Hof meiden zu wollen, wenn man nicht wenigstens zweimal durch die feindliche Linie setzen werde. Neben dieser Ritterschaft trat das Fuſsvolk in den Hintergrund. In der Hauptsache glich es wesentlich noch den Keltenschaaren, mit denen die Römer früher in Italien und Spanien gefochten hatten. Der groſse Schild war wie damals die hauptsächlichste Wehr; unter den Waffen spielte dagegen statt des Schwertes jetzt die lange Stoſslanze die erste Rolle. Wo mehrere Gaue zusammen Krieg führten, lagerte und stritt natürlich Clan neben Clan; es findet sich keine Spur, daſs man das Aufgebot des einzelnen Gaues militärisch gegliedert und kleinere und regelrechtere taktische Abtheilungen gebildet hätte. Noch immer schleppte ein langer Wagentroſs dem Kelten- heer das Gepäck nach; anstatt des verschanzten Lagers, wie es die Römer allabendlich schlugen, diente noch immer das dürftige Surrogat der Wagenburg. Von einzelnen Gauen, wie zum Bei- spiel den Nerviern, wird ausnahmsweise die Tüchtigkeit ihres Fuſsvolks hervorgehoben; bemerkenswerth ist es, daſs eben diese keine Ritterschaft hatten und vielleicht sogar kein kelti- scher, sondern ein eingewanderter deutscher Stamm waren. Im Allgemeinen aber erscheint das keltische Fuſsvolk dieser Zeit als ein unkriegerischer und schwerfälliger Landsturm; am meisten in den südlicheren Landschaften, wo mit der Roheit auch die Tapferkeit verschwunden war. Der Kelte, sagt Caesar, wagt es nicht dem Germanen im Kampfe ins Auge zu sehen; noch schär-
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FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
Verhältnissen Partei ergriff. Wie Hellas sich zerrieb nicht so sehr
in dem Kampfe Athens gegen Sparta als in dem inneren Zwist
athenischer und lakedämonischer Faction in jeder abhängigen
Gemeinde, ja in Athen selbst: so hat auch die Rivalität der Ar-
verner und der Haeduer mit ihren Wiederholungen in kleinem
und immer kleinerem Maſsstab die keltische Nation zernichtet.
Die Wehrhaftigkeit der Nation empfand den Rückschlag
dieser politischen und socialen Verhältnisse. Die Reiterei war
durchaus die vorwiegende Waffe, woneben bei den Belgen und
mehr noch auf den brittischen Inseln die altnationalen Streitwa-
gen in bemerkenswerther Vervollkommnung erscheinen. Diese
ebenso zahlreichen wie tüchtigen Reiter- und Wagenkämpfer-
schaaren wurden gebildet aus dem Adel und dessen Mannen,
der denn auch echt ritterlich an Hunden und Pferden seine Lust
hatte und es sich viel kosten lieſs edle Rosse ausländischer Race
zu reiten. Für die Kampfweise dieser Edelleute ist es bezeich-
nend, daſs sie, im Begriff mit einem gering geschätzten Feinde
ein Gefecht zu beginnen, Mann für Mann schworen Haus und
Hof meiden zu wollen, wenn man nicht wenigstens zweimal durch
die feindliche Linie setzen werde. Neben dieser Ritterschaft trat
das Fuſsvolk in den Hintergrund. In der Hauptsache glich es
wesentlich noch den Keltenschaaren, mit denen die Römer früher
in Italien und Spanien gefochten hatten. Der groſse Schild war
wie damals die hauptsächlichste Wehr; unter den Waffen spielte
dagegen statt des Schwertes jetzt die lange Stoſslanze die erste
Rolle. Wo mehrere Gaue zusammen Krieg führten, lagerte und
stritt natürlich Clan neben Clan; es findet sich keine Spur,
daſs man das Aufgebot des einzelnen Gaues militärisch gegliedert
und kleinere und regelrechtere taktische Abtheilungen gebildet
hätte. Noch immer schleppte ein langer Wagentroſs dem Kelten-
heer das Gepäck nach; anstatt des verschanzten Lagers, wie es
die Römer allabendlich schlugen, diente noch immer das dürftige
Surrogat der Wagenburg. Von einzelnen Gauen, wie zum Bei-
spiel den Nerviern, wird ausnahmsweise die Tüchtigkeit ihres
Fuſsvolks hervorgehoben; bemerkenswerth ist es, daſs eben
diese keine Ritterschaft hatten und vielleicht sogar kein kelti-
scher, sondern ein eingewanderter deutscher Stamm waren. Im
Allgemeinen aber erscheint das keltische Fuſsvolk dieser Zeit als
ein unkriegerischer und schwerfälliger Landsturm; am meisten
in den südlicheren Landschaften, wo mit der Roheit auch die
Tapferkeit verschwunden war. Der Kelte, sagt Caesar, wagt es
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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/228>, abgerufen am 24.11.2024.
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