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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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DIE REFORMBEWEGUNG UND TIBERIUS GRACCHUS.
nicht bloss die Interessen der Unterthanen, sondern auch die des
Staats so gut wie vollständig preisgegeben waren. Statt den
Lohn der Herrschaft in der Herrschaft zu finden, liess man un-
gehörige und zum Theil niederträchtige Rücksichten in die Ent-
scheidung der wichtigsten Fragen eingreifen. Die politischen
Fragen verzweigten sich nicht bloss mit den unter den Senats-
coterien bestehenden Sympathien und Rivalitäten, sondern es
gewann auch schon das Gold auswärtiger Dynasten Eingang
im römischen Rathe. Als der erste, der einen solchen Beste-
chungsversuch mit Erfolg durchführte, wird Timarchos genannt,
der Gesandte des Königs Antiochos IV von Syrien (+ 590); bald
wurde die Beschenkung einflussreicher Senatoren durch auswär-
tige Könige so gewöhnlich, dass es auffiel, als Scipio Aemilianus
im Lager vor Numantia die Gaben des Königs von Syrien in die
Kriegskasse einwarf. Statt das Volk es fühlen zu lassen, dass die
Herrschaft kein nutzbares Gut ist, sondern durch das Gut und
Blut der herrschenden Nation wie gewonnen so erhalten werden
muss, wurden die Lasten des Regiments, die Bewachung der ma-
kedonischen, asiatischen, africanischen Grenzen entweder auf die
Unterthanen abgewälzt oder gänzlich vernachlässigt, wurden zum
Besten des römischen Kaufmanns die missliebigen Handelsrivalen
durch die Heere des Staats beseitigt und in der Provinzialverwal-
tung seinem rücksichtslosen Geldhunger mit frevelhafter Nach-
giebigkeit Spielraum gestattet. Endlich statt Heer und Wehr, auf
denen doch des römischen Staates Existenz allein beruhte, in
brauchbarem Stande zu halten, liess man die Flotte ganz ein-
gehen und das Landkriegswesen in der unglaublichsten Weise
verfallen. Die alte zweckmässige Sitte, dass die Auswahl der Sol-
daten aus der dienstpflichtigen Mannschaft dem freien Ermessen
der Offiziere anheimgegeben war, hatte bei der Parteilichkeit der
aushebenden Beamten und dem steigenden Widerwillen nament-
lich gegen den spanischen Kriegsdienst aufgegeben werden müs-
sen; seit dem J. 602 fügte nicht die Wahl, sondern das Loos die
Abtheilungen zusammen, sicher nicht zum Vortheil des militäri-
schen Gemeingeistes und der Kriegstüchtigkeit der einzelnen Re-
gimenter. Es lässt sich deutlich erkennen, dass die höheren
Stände mehr und mehr anfingen dem Dienst sich thatsächlich zu
entziehen; wozu ausser den allgemeinen Ursachen ohne Zweifel
namentlich auch das beitrug, dass die Jugend des Capitalisten- und
Kaufmannsstandes von früh auf sich dem Grosshandel widmete.
Für die Offizierstellen war durchaus auf Freiwillige aus der besseren
Klasse gerechnet und einst hatte man eifrig um dieselben gewor-

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DIE REFORMBEWEGUNG UND TIBERIUS GRACCHUS.
nicht bloſs die Interessen der Unterthanen, sondern auch die des
Staats so gut wie vollständig preisgegeben waren. Statt den
Lohn der Herrschaft in der Herrschaft zu finden, lieſs man un-
gehörige und zum Theil niederträchtige Rücksichten in die Ent-
scheidung der wichtigsten Fragen eingreifen. Die politischen
Fragen verzweigten sich nicht bloſs mit den unter den Senats-
coterien bestehenden Sympathien und Rivalitäten, sondern es
gewann auch schon das Gold auswärtiger Dynasten Eingang
im römischen Rathe. Als der erste, der einen solchen Beste-
chungsversuch mit Erfolg durchführte, wird Timarchos genannt,
der Gesandte des Königs Antiochos IV von Syrien († 590); bald
wurde die Beschenkung einfluſsreicher Senatoren durch auswär-
tige Könige so gewöhnlich, daſs es auffiel, als Scipio Aemilianus
im Lager vor Numantia die Gaben des Königs von Syrien in die
Kriegskasse einwarf. Statt das Volk es fühlen zu lassen, daſs die
Herrschaft kein nutzbares Gut ist, sondern durch das Gut und
Blut der herrschenden Nation wie gewonnen so erhalten werden
muſs, wurden die Lasten des Regiments, die Bewachung der ma-
kedonischen, asiatischen, africanischen Grenzen entweder auf die
Unterthanen abgewälzt oder gänzlich vernachlässigt, wurden zum
Besten des römischen Kaufmanns die miſsliebigen Handelsrivalen
durch die Heere des Staats beseitigt und in der Provinzialverwal-
tung seinem rücksichtslosen Geldhunger mit frevelhafter Nach-
giebigkeit Spielraum gestattet. Endlich statt Heer und Wehr, auf
denen doch des römischen Staates Existenz allein beruhte, in
brauchbarem Stande zu halten, lieſs man die Flotte ganz ein-
gehen und das Landkriegswesen in der unglaublichsten Weise
verfallen. Die alte zweckmäſsige Sitte, daſs die Auswahl der Sol-
daten aus der dienstpflichtigen Mannschaft dem freien Ermessen
der Offiziere anheimgegeben war, hatte bei der Parteilichkeit der
aushebenden Beamten und dem steigenden Widerwillen nament-
lich gegen den spanischen Kriegsdienst aufgegeben werden müs-
sen; seit dem J. 602 fügte nicht die Wahl, sondern das Loos die
Abtheilungen zusammen, sicher nicht zum Vortheil des militäri-
schen Gemeingeistes und der Kriegstüchtigkeit der einzelnen Re-
gimenter. Es läſst sich deutlich erkennen, daſs die höheren
Stände mehr und mehr anfingen dem Dienst sich thatsächlich zu
entziehen; wozu auſser den allgemeinen Ursachen ohne Zweifel
namentlich auch das beitrug, daſs die Jugend des Capitalisten- und
Kaufmannsstandes von früh auf sich dem Groſshandel widmete.
Für die Offizierstellen war durchaus auf Freiwillige aus der besseren
Klasse gerechnet und einst hatte man eifrig um dieselben gewor-

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[67/0077] DIE REFORMBEWEGUNG UND TIBERIUS GRACCHUS. nicht bloſs die Interessen der Unterthanen, sondern auch die des Staats so gut wie vollständig preisgegeben waren. Statt den Lohn der Herrschaft in der Herrschaft zu finden, lieſs man un- gehörige und zum Theil niederträchtige Rücksichten in die Ent- scheidung der wichtigsten Fragen eingreifen. Die politischen Fragen verzweigten sich nicht bloſs mit den unter den Senats- coterien bestehenden Sympathien und Rivalitäten, sondern es gewann auch schon das Gold auswärtiger Dynasten Eingang im römischen Rathe. Als der erste, der einen solchen Beste- chungsversuch mit Erfolg durchführte, wird Timarchos genannt, der Gesandte des Königs Antiochos IV von Syrien († 590); bald wurde die Beschenkung einfluſsreicher Senatoren durch auswär- tige Könige so gewöhnlich, daſs es auffiel, als Scipio Aemilianus im Lager vor Numantia die Gaben des Königs von Syrien in die Kriegskasse einwarf. Statt das Volk es fühlen zu lassen, daſs die Herrschaft kein nutzbares Gut ist, sondern durch das Gut und Blut der herrschenden Nation wie gewonnen so erhalten werden muſs, wurden die Lasten des Regiments, die Bewachung der ma- kedonischen, asiatischen, africanischen Grenzen entweder auf die Unterthanen abgewälzt oder gänzlich vernachlässigt, wurden zum Besten des römischen Kaufmanns die miſsliebigen Handelsrivalen durch die Heere des Staats beseitigt und in der Provinzialverwal- tung seinem rücksichtslosen Geldhunger mit frevelhafter Nach- giebigkeit Spielraum gestattet. Endlich statt Heer und Wehr, auf denen doch des römischen Staates Existenz allein beruhte, in brauchbarem Stande zu halten, lieſs man die Flotte ganz ein- gehen und das Landkriegswesen in der unglaublichsten Weise verfallen. Die alte zweckmäſsige Sitte, daſs die Auswahl der Sol- daten aus der dienstpflichtigen Mannschaft dem freien Ermessen der Offiziere anheimgegeben war, hatte bei der Parteilichkeit der aushebenden Beamten und dem steigenden Widerwillen nament- lich gegen den spanischen Kriegsdienst aufgegeben werden müs- sen; seit dem J. 602 fügte nicht die Wahl, sondern das Loos die Abtheilungen zusammen, sicher nicht zum Vortheil des militäri- schen Gemeingeistes und der Kriegstüchtigkeit der einzelnen Re- gimenter. Es läſst sich deutlich erkennen, daſs die höheren Stände mehr und mehr anfingen dem Dienst sich thatsächlich zu entziehen; wozu auſser den allgemeinen Ursachen ohne Zweifel namentlich auch das beitrug, daſs die Jugend des Capitalisten- und Kaufmannsstandes von früh auf sich dem Groſshandel widmete. Für die Offizierstellen war durchaus auf Freiwillige aus der besseren Klasse gerechnet und einst hatte man eifrig um dieselben gewor- 5*

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/77>, abgerufen am 06.05.2024.