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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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VIERTES BUCH. KAPITEL II.
ben; jetzt hielt es schwer für die spanischen Heere die erforder-
liche Zahl von Offizieren aufzutreiben. Schon erinnern die rö-
mischen Heere vor Karthago und Numantia an jene syrischen
Armeen, in denen die Bäcker, Köche, Schauspieler und so weiter
viermal zahlreicher waren als die sogenannten Soldaten; schon
geben die römischen Generale ihren karthagischen Collegen wenig
nach in der Heerverderbekunst und werden die Kriege gegen
Karthago wie gegen Viriathus, gegen die Makedonier wie gegen
die Asiaten regelmässig mit Niederlagen eröffnet; schon ist die
Eroberung von Numantia eine Grossthat. Wohin man auch den
Blick wendet, erscheint Roms Macht und Einfluss in unverkenn-
barem Sinken; trotz der durch die seltene Gunst des Geschickes
gewährten friedlichen Zeiten wird der in schweren Stürmen errun-
gene Boden nicht erweitert, ja nicht einmal behauptet. Das Welt-
regiment, schwer zu gewinnen, ist schwerer noch zu erhalten;
jenes hatte der Senat vermocht, an diesem ist er gescheitert.

Bedenklicher noch als die öffentlichen Verhältnisse gestalte-
ten sich die ökonomischen und die socialen; nicht eigentlich
durch offenbare Missregierung des Senats, wohl aber in Folge
der Schlaffheit und Unthätigkeit, welche auch auf diesem Gebiet
seine Verwaltung bezeichnet. Seit uralter Zeit beruhte die römi-
sche Oekonomie auf den beiden ewig sich suchenden und
ewig hadernden Factoren, der bäuerlichen und der Geldwirth-
schaft. Schon einmal hatte die letztere im engsten Bunde mit
dem grossen Grundbesitz Jahrhunderte lang gegen den Bauern-
stand einen Krieg geführt, der mit dem Untergang zuerst der
Bauernschaft und demnächst des ganzen Gemeinwesens endigen
zu müssen schien, aber ohne eigentliche Entscheidung abgebro-
chen ward in Folge der glücklichen Kriege und der hiedurch mög-
lich gemachten umfänglichen und grossartigen Domanialaufthei-
lung. Es ward schon früher gezeigt (I, 618-626), dass in der-
selben Zeit, welche den Gegensatz zwischen Patriciern und
Plebejern unter veränderten Namen erneuerte, das unverhältniss-
mässig anschwellende Capital einen zweiten Sturm gegen die
bäuerliche Wirthschaft vorbereitete. Zwar der Weg war ein an-
derer. Ehemals war der kleine Bauer ruinirt worden durch Vor-
schüsse, die ihn thatsächlich zum Meier seines Gläubigers herab-
drückten; jetzt ward er erdrückt durch die Concurrenz des über-
seeischen und insonderheit des Sclavenkorns. Man schritt fort
mit der Zeit; das Capital führte gegen die Arbeit, das heisst
gegen die Freiheit der Person, den Krieg, natürlich wie immer in
strengster Form Rechtens, aber nicht mehr in der unziemlichen

VIERTES BUCH. KAPITEL II.
ben; jetzt hielt es schwer für die spanischen Heere die erforder-
liche Zahl von Offizieren aufzutreiben. Schon erinnern die rö-
mischen Heere vor Karthago und Numantia an jene syrischen
Armeen, in denen die Bäcker, Köche, Schauspieler und so weiter
viermal zahlreicher waren als die sogenannten Soldaten; schon
geben die römischen Generale ihren karthagischen Collegen wenig
nach in der Heerverderbekunst und werden die Kriege gegen
Karthago wie gegen Viriathus, gegen die Makedonier wie gegen
die Asiaten regelmäſsig mit Niederlagen eröffnet; schon ist die
Eroberung von Numantia eine Groſsthat. Wohin man auch den
Blick wendet, erscheint Roms Macht und Einfluſs in unverkenn-
barem Sinken; trotz der durch die seltene Gunst des Geschickes
gewährten friedlichen Zeiten wird der in schweren Stürmen errun-
gene Boden nicht erweitert, ja nicht einmal behauptet. Das Welt-
regiment, schwer zu gewinnen, ist schwerer noch zu erhalten;
jenes hatte der Senat vermocht, an diesem ist er gescheitert.

Bedenklicher noch als die öffentlichen Verhältnisse gestalte-
ten sich die ökonomischen und die socialen; nicht eigentlich
durch offenbare Miſsregierung des Senats, wohl aber in Folge
der Schlaffheit und Unthätigkeit, welche auch auf diesem Gebiet
seine Verwaltung bezeichnet. Seit uralter Zeit beruhte die römi-
sche Oekonomie auf den beiden ewig sich suchenden und
ewig hadernden Factoren, der bäuerlichen und der Geldwirth-
schaft. Schon einmal hatte die letztere im engsten Bunde mit
dem groſsen Grundbesitz Jahrhunderte lang gegen den Bauern-
stand einen Krieg geführt, der mit dem Untergang zuerst der
Bauernschaft und demnächst des ganzen Gemeinwesens endigen
zu müssen schien, aber ohne eigentliche Entscheidung abgebro-
chen ward in Folge der glücklichen Kriege und der hiedurch mög-
lich gemachten umfänglichen und groſsartigen Domanialaufthei-
lung. Es ward schon früher gezeigt (I, 618-626), daſs in der-
selben Zeit, welche den Gegensatz zwischen Patriciern und
Plebejern unter veränderten Namen erneuerte, das unverhältniſs-
mäſsig anschwellende Capital einen zweiten Sturm gegen die
bäuerliche Wirthschaft vorbereitete. Zwar der Weg war ein an-
derer. Ehemals war der kleine Bauer ruinirt worden durch Vor-
schüsse, die ihn thatsächlich zum Meier seines Gläubigers herab-
drückten; jetzt ward er erdrückt durch die Concurrenz des über-
seeischen und insonderheit des Sclavenkorns. Man schritt fort
mit der Zeit; das Capital führte gegen die Arbeit, das heiſst
gegen die Freiheit der Person, den Krieg, natürlich wie immer in
strengster Form Rechtens, aber nicht mehr in der unziemlichen

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[68/0078] VIERTES BUCH. KAPITEL II. ben; jetzt hielt es schwer für die spanischen Heere die erforder- liche Zahl von Offizieren aufzutreiben. Schon erinnern die rö- mischen Heere vor Karthago und Numantia an jene syrischen Armeen, in denen die Bäcker, Köche, Schauspieler und so weiter viermal zahlreicher waren als die sogenannten Soldaten; schon geben die römischen Generale ihren karthagischen Collegen wenig nach in der Heerverderbekunst und werden die Kriege gegen Karthago wie gegen Viriathus, gegen die Makedonier wie gegen die Asiaten regelmäſsig mit Niederlagen eröffnet; schon ist die Eroberung von Numantia eine Groſsthat. Wohin man auch den Blick wendet, erscheint Roms Macht und Einfluſs in unverkenn- barem Sinken; trotz der durch die seltene Gunst des Geschickes gewährten friedlichen Zeiten wird der in schweren Stürmen errun- gene Boden nicht erweitert, ja nicht einmal behauptet. Das Welt- regiment, schwer zu gewinnen, ist schwerer noch zu erhalten; jenes hatte der Senat vermocht, an diesem ist er gescheitert. Bedenklicher noch als die öffentlichen Verhältnisse gestalte- ten sich die ökonomischen und die socialen; nicht eigentlich durch offenbare Miſsregierung des Senats, wohl aber in Folge der Schlaffheit und Unthätigkeit, welche auch auf diesem Gebiet seine Verwaltung bezeichnet. Seit uralter Zeit beruhte die römi- sche Oekonomie auf den beiden ewig sich suchenden und ewig hadernden Factoren, der bäuerlichen und der Geldwirth- schaft. Schon einmal hatte die letztere im engsten Bunde mit dem groſsen Grundbesitz Jahrhunderte lang gegen den Bauern- stand einen Krieg geführt, der mit dem Untergang zuerst der Bauernschaft und demnächst des ganzen Gemeinwesens endigen zu müssen schien, aber ohne eigentliche Entscheidung abgebro- chen ward in Folge der glücklichen Kriege und der hiedurch mög- lich gemachten umfänglichen und groſsartigen Domanialaufthei- lung. Es ward schon früher gezeigt (I, 618-626), daſs in der- selben Zeit, welche den Gegensatz zwischen Patriciern und Plebejern unter veränderten Namen erneuerte, das unverhältniſs- mäſsig anschwellende Capital einen zweiten Sturm gegen die bäuerliche Wirthschaft vorbereitete. Zwar der Weg war ein an- derer. Ehemals war der kleine Bauer ruinirt worden durch Vor- schüsse, die ihn thatsächlich zum Meier seines Gläubigers herab- drückten; jetzt ward er erdrückt durch die Concurrenz des über- seeischen und insonderheit des Sclavenkorns. Man schritt fort mit der Zeit; das Capital führte gegen die Arbeit, das heiſst gegen die Freiheit der Person, den Krieg, natürlich wie immer in strengster Form Rechtens, aber nicht mehr in der unziemlichen

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/78>, abgerufen am 06.05.2024.