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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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VIERTES BUCH. KAPITEL I.
überhaupt bezeugt und begreiflich, dass Sicherheit und Wohl-
stand einigermassen zurückkehrten. Das themistokleische Epi-
gramm, dass der Ruin den Ruin abgewandt habe, wurde von den
damaligen Hellenen nicht ohne einen Kern von Wahrheit ange-
wandt auf den Untergang der griechischen Selbstständigkeit.
Die ungemeine Nachsicht, welche Rom auch jetzt noch gegen die
Griechen bewies, tritt erst recht in das Licht, wenn man sie mit
dem gleichzeitigen Auftreten derselben Behörden gegen die Spa-
nier und die Phöniker zusammenhält; Barbaren grausam zu be-
handeln schien nicht unerlaubt, aber wie später Kaiser Traianus
hielten es auch die Römer dieser Zeit ,für hart und barbarisch
Athen und Sparta den noch übrigen Rest und Schatten von
Freiheit zu entreissen'. Um so schärfer contrastirt mit dieser
allgemeinen Milde die empörende Behandlung von Korinth, welche
durch die auf den Gassen von Korinth gegen die römischen Ab-
geordneten ausgestossenen Schmähreden selbst nach römischem
Staatsrecht nichts weniger als gerechtfertigt ward und welche
selbst die Schutzredner der karthagischen und numantinischen
Katastrophe zu missbilligen nicht umhin konnten. Und doch ging
sie keineswegs hervor aus der Brutalität eines einzelnen Man-
nes, am wenigsten des Mummius, sondern war eine vom römi-
schen Rath erwogene und beschlossene Massregel. Man wird
nicht irren, wenn man darin das Werk der Kaufmannspartei er-
kennt, die in dieser Epoche schon neben der eigentlichen Aristo-
kratie anfängt in die Politik einzugreifen. Wenn die römischen
Grosshändler einen Handelsnebenbuhler zu beseitigen wünschten,
so erklärt es sich freilich, dass das Strafgericht eben gegen Ko-
rinth vollstreckt ward und dass man nicht bloss die bestehende
Kaufstadt vernichtete, sondern auch die Ansiedelung an dieser
für den Handel so überaus günstigen Stätte für die Zukunft
verbot. Ein Hauptsitz der auch im Peloponnes sehr zahlreichen
römischen Kaufleute ward fortan das peloponnesische Argos.
Wichtiger aber für den römischen Grosshandel ward Delos, das,
schon seit 586 römischer Freihafen, einen guten Theil der Ge-
schäfte von Rhodos an sich gezogen hatte (I, 594) und nun in
ähnlicher Weise in die korinthischen eintrat. Diese Insel blieb für
längere Zeit der Hauptstapelplatz der vom Osten nach dem We-
sten gehenden Waaren.

*
* Ein merkwürdiger Beleg dafür ist die Benennung der feinen griechi-
schen Bronze- und Kupferwaaren, die in der ciceronischen Zeit ohne Un-

VIERTES BUCH. KAPITEL I.
überhaupt bezeugt und begreiflich, daſs Sicherheit und Wohl-
stand einigermaſsen zurückkehrten. Das themistokleische Epi-
gramm, daſs der Ruin den Ruin abgewandt habe, wurde von den
damaligen Hellenen nicht ohne einen Kern von Wahrheit ange-
wandt auf den Untergang der griechischen Selbstständigkeit.
Die ungemeine Nachsicht, welche Rom auch jetzt noch gegen die
Griechen bewies, tritt erst recht in das Licht, wenn man sie mit
dem gleichzeitigen Auftreten derselben Behörden gegen die Spa-
nier und die Phöniker zusammenhält; Barbaren grausam zu be-
handeln schien nicht unerlaubt, aber wie später Kaiser Traianus
hielten es auch die Römer dieser Zeit ‚für hart und barbarisch
Athen und Sparta den noch übrigen Rest und Schatten von
Freiheit zu entreiſsen‘. Um so schärfer contrastirt mit dieser
allgemeinen Milde die empörende Behandlung von Korinth, welche
durch die auf den Gassen von Korinth gegen die römischen Ab-
geordneten ausgestoſsenen Schmähreden selbst nach römischem
Staatsrecht nichts weniger als gerechtfertigt ward und welche
selbst die Schutzredner der karthagischen und numantinischen
Katastrophe zu miſsbilligen nicht umhin konnten. Und doch ging
sie keineswegs hervor aus der Brutalität eines einzelnen Man-
nes, am wenigsten des Mummius, sondern war eine vom römi-
schen Rath erwogene und beschlossene Maſsregel. Man wird
nicht irren, wenn man darin das Werk der Kaufmannspartei er-
kennt, die in dieser Epoche schon neben der eigentlichen Aristo-
kratie anfängt in die Politik einzugreifen. Wenn die römischen
Grosshändler einen Handelsnebenbuhler zu beseitigen wünschten,
so erklärt es sich freilich, daſs das Strafgericht eben gegen Ko-
rinth vollstreckt ward und daſs man nicht bloſs die bestehende
Kaufstadt vernichtete, sondern auch die Ansiedelung an dieser
für den Handel so überaus günstigen Stätte für die Zukunft
verbot. Ein Hauptsitz der auch im Peloponnes sehr zahlreichen
römischen Kaufleute ward fortan das peloponnesische Argos.
Wichtiger aber für den römischen Groſshandel ward Delos, das,
schon seit 586 römischer Freihafen, einen guten Theil der Ge-
schäfte von Rhodos an sich gezogen hatte (I, 594) und nun in
ähnlicher Weise in die korinthischen eintrat. Diese Insel blieb für
längere Zeit der Hauptstapelplatz der vom Osten nach dem We-
sten gehenden Waaren.

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* Ein merkwürdiger Beleg dafür ist die Benennung der feinen griechi-
schen Bronze- und Kupferwaaren, die in der ciceronischen Zeit ohne Un-
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[48/0058] VIERTES BUCH. KAPITEL I. überhaupt bezeugt und begreiflich, daſs Sicherheit und Wohl- stand einigermaſsen zurückkehrten. Das themistokleische Epi- gramm, daſs der Ruin den Ruin abgewandt habe, wurde von den damaligen Hellenen nicht ohne einen Kern von Wahrheit ange- wandt auf den Untergang der griechischen Selbstständigkeit. Die ungemeine Nachsicht, welche Rom auch jetzt noch gegen die Griechen bewies, tritt erst recht in das Licht, wenn man sie mit dem gleichzeitigen Auftreten derselben Behörden gegen die Spa- nier und die Phöniker zusammenhält; Barbaren grausam zu be- handeln schien nicht unerlaubt, aber wie später Kaiser Traianus hielten es auch die Römer dieser Zeit ‚für hart und barbarisch Athen und Sparta den noch übrigen Rest und Schatten von Freiheit zu entreiſsen‘. Um so schärfer contrastirt mit dieser allgemeinen Milde die empörende Behandlung von Korinth, welche durch die auf den Gassen von Korinth gegen die römischen Ab- geordneten ausgestoſsenen Schmähreden selbst nach römischem Staatsrecht nichts weniger als gerechtfertigt ward und welche selbst die Schutzredner der karthagischen und numantinischen Katastrophe zu miſsbilligen nicht umhin konnten. Und doch ging sie keineswegs hervor aus der Brutalität eines einzelnen Man- nes, am wenigsten des Mummius, sondern war eine vom römi- schen Rath erwogene und beschlossene Maſsregel. Man wird nicht irren, wenn man darin das Werk der Kaufmannspartei er- kennt, die in dieser Epoche schon neben der eigentlichen Aristo- kratie anfängt in die Politik einzugreifen. Wenn die römischen Grosshändler einen Handelsnebenbuhler zu beseitigen wünschten, so erklärt es sich freilich, daſs das Strafgericht eben gegen Ko- rinth vollstreckt ward und daſs man nicht bloſs die bestehende Kaufstadt vernichtete, sondern auch die Ansiedelung an dieser für den Handel so überaus günstigen Stätte für die Zukunft verbot. Ein Hauptsitz der auch im Peloponnes sehr zahlreichen römischen Kaufleute ward fortan das peloponnesische Argos. Wichtiger aber für den römischen Groſshandel ward Delos, das, schon seit 586 römischer Freihafen, einen guten Theil der Ge- schäfte von Rhodos an sich gezogen hatte (I, 594) und nun in ähnlicher Weise in die korinthischen eintrat. Diese Insel blieb für längere Zeit der Hauptstapelplatz der vom Osten nach dem We- sten gehenden Waaren. * * Ein merkwürdiger Beleg dafür ist die Benennung der feinen griechi- schen Bronze- und Kupferwaaren, die in der ciceronischen Zeit ohne Un-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/58>, abgerufen am 22.11.2024.