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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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LITTERATUR UND KUNST.
selbe Unterschied zeigt sich in der künstlerischen Behandlung.
Plautus schürzt und löst den Knoten leichtsinnig und lose, aber
seine Fabel ist drollig und oft frappant; Terenz, weit minder
drastisch, trägt überall, nicht selten auf Kosten der Spannung,
der Wahrscheinlichkeit Rechnung; wie er denn zum Beispiel ver-
meidet, was bei Plautus häufig ist, auf der Strasse alles was dahin
und nicht dahin gehört vorgehen zu lassen. Plautus malt seine
Charaktere mit breiten Strichen, oft schablonenartig, immer für
die Wirkung aus der Ferne und im Ganzen und Groben; Terenz
behandelt die psychologische Entwickelung mit einer sorgfältigen
und oft vortrefflichen Miniaturmalerei, wie zum Beispiel in den
,Brüdern' die beiden Alten, der bequeme städtische Lebemann
und der vielgeplackte durchaus nicht parfümirte Gutsherr einen
meisterhaften Contrast bilden. In den Motiven wie in der Sprache
steht Plautus in der Kneipe, Terenz im guten bürgerlichen Haus-
halt. Die rüpelhafte plautinische Wirthschaft, die sehr ungenirten
aber allerliebsten Dirnchen mit den obligaten Wirthen dazu, die
säbelrasselnden Lanzknechte, die ganz besonders launig gemalte
Bedientenwelt, deren Himmel der Keller, deren Fatum die Peitsche
ist, sind bei Terenz verschwunden oder doch zum Bessern ge-
wandt. Man befindet bei ihm sich vielmehr regelmässig unter
lauter edlen Menschen; wird ja einmal ein Mädchenwirth ausge-
plündert oder ein junger Mensch ins Bordell geführt, so geschieht
es in moralischer Absicht, etwa aus brüderlicher Liebe oder um
den Knaben vom Besuch schlechter Häuser abzuschrecken. In den
plautinischen Stücken herrscht die Philisteropposition der Kneipe
gegen das Haus: überall werden die Frauen heruntergemacht zur
Ergötzung aller zeitweilig emancipirten und einer liebenswürdigen
Begrüssung daheim nicht völlig versicherten Eheleute. Die teren-
zischen Komödien ruhen auf der zwar nicht sehr tiefen, aber doch
sittlichen Auffassung der Frauennatur und namentlich des ehe-
lichen Lebens, wie sie in den höheren Ständen dieser Zeit Regel
war: regelmässig schliessen sie mit einer tugendhaften Hochzeit
oder wo möglich mit zweien, eben wie von Menandros gerühmt
wird, dass er jede Verführung durch eine Hochzeit wieder gut ge-
macht habe. Der Verliebte in seiner Pein, der zärtliche Ehemann
am Kindbett, die liebevolle Schwester auf dem Sterbelager werden
im ,Verschnittenen' und im ,Mädchen von Andros' gar anmuthig
geschildert; ja in der ,Schwiegermutter' erscheint sogar am
Schluss als rettender Engel ein tugendhaftes Freudenmädchen,
ebenfalls eine ächt menandrische Figur, die das römische Publi-
cum freilich wie billig auspfiff. Bei Plautus sind die Väter durch-

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selbe Unterschied zeigt sich in der künstlerischen Behandlung.
Plautus schürzt und löst den Knoten leichtsinnig und lose, aber
seine Fabel ist drollig und oft frappant; Terenz, weit minder
drastisch, trägt überall, nicht selten auf Kosten der Spannung,
der Wahrscheinlichkeit Rechnung; wie er denn zum Beispiel ver-
meidet, was bei Plautus häufig ist, auf der Straſse alles was dahin
und nicht dahin gehört vorgehen zu lassen. Plautus malt seine
Charaktere mit breiten Strichen, oft schablonenartig, immer für
die Wirkung aus der Ferne und im Ganzen und Groben; Terenz
behandelt die psychologische Entwickelung mit einer sorgfältigen
und oft vortrefflichen Miniaturmalerei, wie zum Beispiel in den
‚Brüdern‘ die beiden Alten, der bequeme städtische Lebemann
und der vielgeplackte durchaus nicht parfümirte Gutsherr einen
meisterhaften Contrast bilden. In den Motiven wie in der Sprache
steht Plautus in der Kneipe, Terenz im guten bürgerlichen Haus-
halt. Die rüpelhafte plautinische Wirthschaft, die sehr ungenirten
aber allerliebsten Dirnchen mit den obligaten Wirthen dazu, die
säbelrasselnden Lanzknechte, die ganz besonders launig gemalte
Bedientenwelt, deren Himmel der Keller, deren Fatum die Peitsche
ist, sind bei Terenz verschwunden oder doch zum Bessern ge-
wandt. Man befindet bei ihm sich vielmehr regelmäſsig unter
lauter edlen Menschen; wird ja einmal ein Mädchenwirth ausge-
plündert oder ein junger Mensch ins Bordell geführt, so geschieht
es in moralischer Absicht, etwa aus brüderlicher Liebe oder um
den Knaben vom Besuch schlechter Häuser abzuschrecken. In den
plautinischen Stücken herrscht die Philisteropposition der Kneipe
gegen das Haus: überall werden die Frauen heruntergemacht zur
Ergötzung aller zeitweilig emancipirten und einer liebenswürdigen
Begrüſsung daheim nicht völlig versicherten Eheleute. Die teren-
zischen Komödien ruhen auf der zwar nicht sehr tiefen, aber doch
sittlichen Auffassung der Frauennatur und namentlich des ehe-
lichen Lebens, wie sie in den höheren Ständen dieser Zeit Regel
war: regelmäſsig schlieſsen sie mit einer tugendhaften Hochzeit
oder wo möglich mit zweien, eben wie von Menandros gerühmt
wird, daſs er jede Verführung durch eine Hochzeit wieder gut ge-
macht habe. Der Verliebte in seiner Pein, der zärtliche Ehemann
am Kindbett, die liebevolle Schwester auf dem Sterbelager werden
im ‚Verschnittenen‘ und im ‚Mädchen von Andros‘ gar anmuthig
geschildert; ja in der ‚Schwiegermutter‘ erscheint sogar am
Schluſs als rettender Engel ein tugendhaftes Freudenmädchen,
ebenfalls eine ächt menandrische Figur, die das römische Publi-
cum freilich wie billig auspfiff. Bei Plautus sind die Väter durch-

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[415/0425] LITTERATUR UND KUNST. selbe Unterschied zeigt sich in der künstlerischen Behandlung. Plautus schürzt und löst den Knoten leichtsinnig und lose, aber seine Fabel ist drollig und oft frappant; Terenz, weit minder drastisch, trägt überall, nicht selten auf Kosten der Spannung, der Wahrscheinlichkeit Rechnung; wie er denn zum Beispiel ver- meidet, was bei Plautus häufig ist, auf der Straſse alles was dahin und nicht dahin gehört vorgehen zu lassen. Plautus malt seine Charaktere mit breiten Strichen, oft schablonenartig, immer für die Wirkung aus der Ferne und im Ganzen und Groben; Terenz behandelt die psychologische Entwickelung mit einer sorgfältigen und oft vortrefflichen Miniaturmalerei, wie zum Beispiel in den ‚Brüdern‘ die beiden Alten, der bequeme städtische Lebemann und der vielgeplackte durchaus nicht parfümirte Gutsherr einen meisterhaften Contrast bilden. In den Motiven wie in der Sprache steht Plautus in der Kneipe, Terenz im guten bürgerlichen Haus- halt. Die rüpelhafte plautinische Wirthschaft, die sehr ungenirten aber allerliebsten Dirnchen mit den obligaten Wirthen dazu, die säbelrasselnden Lanzknechte, die ganz besonders launig gemalte Bedientenwelt, deren Himmel der Keller, deren Fatum die Peitsche ist, sind bei Terenz verschwunden oder doch zum Bessern ge- wandt. Man befindet bei ihm sich vielmehr regelmäſsig unter lauter edlen Menschen; wird ja einmal ein Mädchenwirth ausge- plündert oder ein junger Mensch ins Bordell geführt, so geschieht es in moralischer Absicht, etwa aus brüderlicher Liebe oder um den Knaben vom Besuch schlechter Häuser abzuschrecken. In den plautinischen Stücken herrscht die Philisteropposition der Kneipe gegen das Haus: überall werden die Frauen heruntergemacht zur Ergötzung aller zeitweilig emancipirten und einer liebenswürdigen Begrüſsung daheim nicht völlig versicherten Eheleute. Die teren- zischen Komödien ruhen auf der zwar nicht sehr tiefen, aber doch sittlichen Auffassung der Frauennatur und namentlich des ehe- lichen Lebens, wie sie in den höheren Ständen dieser Zeit Regel war: regelmäſsig schlieſsen sie mit einer tugendhaften Hochzeit oder wo möglich mit zweien, eben wie von Menandros gerühmt wird, daſs er jede Verführung durch eine Hochzeit wieder gut ge- macht habe. Der Verliebte in seiner Pein, der zärtliche Ehemann am Kindbett, die liebevolle Schwester auf dem Sterbelager werden im ‚Verschnittenen‘ und im ‚Mädchen von Andros‘ gar anmuthig geschildert; ja in der ‚Schwiegermutter‘ erscheint sogar am Schluſs als rettender Engel ein tugendhaftes Freudenmädchen, ebenfalls eine ächt menandrische Figur, die das römische Publi- cum freilich wie billig auspfiff. Bei Plautus sind die Väter durch-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 415. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/425>, abgerufen am 25.11.2024.