Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.LITTERATUR UND KUNST. des Naevius, welcher wir nur noch bei einem Dichter begeg-nen wie Pacuvius, der selber genau genommen einer früheren Periode angehört; Marcus Pacuvius (535-c. 625) aus Brun- disium fällt zwar der Entstehungszeit seiner Werke nach in diese Epoche, da er in seinen früheren Jahren in Rom vom Malen, erst im höheren Alter (c. 600-615) vom Tragödien- dichten lebte; allein seinen Jahren wie seiner Art nach steht er mehr in dem vorigen als in diesem Jahrhundert. Er dich- tete im Ganzen in der ennianischen Weise, jedoch gefeilter und schwungvoller, aber auch gesuchter und schwülstiger als sein Oheim und Vorgänger. Günstigen Kunstkritikern galt er später als Muster der Kunstpoesie und des reichen Stils; in den auf uns gekommenen Bruchstücken fehlt es nicht an Belegen, die des Lu- cilius strengeres Urtheil rechtfertigen*. Lesbarere und gewand- tere Nachdichtungen der griechischen Tragödie lieferte des Pa- cuvius jüngerer Zeitgenosse Lucius Accius, eines Freigelassenen Sohn von Pisaurum (584-nach 651), ausser Pacuvius der einzige namhafte tragische Dichter des siebenten Jahrhunderts. Ohne Zweifel war er, ein auch litterarhistorisch und grammatisch thä- tiger Schriftsteller, bemüht statt der cruden Weise seiner Vor- gänger grössere Reinheit in Sprache und Stil in die lateinische Tra- gödie einzuführen; doch ward auch seine Ungleichheit und In- correctheit von den Männern der strengen Observanz, wie Luci- lius, nachdrücklich getadelt. Weit grössere Thätigkeit und weit bedeutendere Erfolge be- * So heisst es im Paulus, einem Originalstück, von einer unwegsamen
Gegend: Qua vix caprigeno generi gradilis gressio est. wo kaum ist Dem bockgeschlechtigen Geschlecht gangbarer Gang. Und in einem andern Stück wird ein Gegenstand in der folgenden prägnan- ten Weise beschrieben: Vierfüssig, langsamwandelnd, ländlich, niedrig, rauh, Kurzköpfig, schlangenhalsig, trotzig anzuschaun, Und, ausgeweidet, leblos mit lebendigem Ton. Worauf der Hörer natürlich erwiedert: Mit gar verhülltem Worte schilderst du uns ab, Was rathend schwerlich auch der kluge Mann durchschaut; Wenn du nicht offen redest, wir verstehn dich nicht. Es erfolgt nun das Geständniss, dass die Schildkröte gemeint ist. Uebri- gens fehlten solche Räthselreden auch bei den attischen Trauerspieldich- tern nicht, die deshalb von der mittleren Komödie oft und derb mitgenom- men wurden. LITTERATUR UND KUNST. des Naevius, welcher wir nur noch bei einem Dichter begeg-nen wie Pacuvius, der selber genau genommen einer früheren Periode angehört; Marcus Pacuvius (535-c. 625) aus Brun- disium fällt zwar der Entstehungszeit seiner Werke nach in diese Epoche, da er in seinen früheren Jahren in Rom vom Malen, erst im höheren Alter (c. 600-615) vom Tragödien- dichten lebte; allein seinen Jahren wie seiner Art nach steht er mehr in dem vorigen als in diesem Jahrhundert. Er dich- tete im Ganzen in der ennianischen Weise, jedoch gefeilter und schwungvoller, aber auch gesuchter und schwülstiger als sein Oheim und Vorgänger. Günstigen Kunstkritikern galt er später als Muster der Kunstpoesie und des reichen Stils; in den auf uns gekommenen Bruchstücken fehlt es nicht an Belegen, die des Lu- cilius strengeres Urtheil rechtfertigen*. Lesbarere und gewand- tere Nachdichtungen der griechischen Tragödie lieferte des Pa- cuvius jüngerer Zeitgenosse Lucius Accius, eines Freigelassenen Sohn von Pisaurum (584-nach 651), auſser Pacuvius der einzige namhafte tragische Dichter des siebenten Jahrhunderts. Ohne Zweifel war er, ein auch litterarhistorisch und grammatisch thä- tiger Schriftsteller, bemüht statt der cruden Weise seiner Vor- gänger gröſsere Reinheit in Sprache und Stil in die lateinische Tra- gödie einzuführen; doch ward auch seine Ungleichheit und In- correctheit von den Männern der strengen Observanz, wie Luci- lius, nachdrücklich getadelt. Weit gröſsere Thätigkeit und weit bedeutendere Erfolge be- * So heiſst es im Paulus, einem Originalstück, von einer unwegsamen
Gegend: Qua vix caprigeno géneri gradilis gréssio est. wo kaum ist Dem bockgeschlechtigen Geschlecht gangbarer Gang. Und in einem andern Stück wird ein Gegenstand in der folgenden prägnan- ten Weise beschrieben: Vierfüſsig, langsamwandelnd, ländlich, niedrig, rauh, Kurzköpfig, schlangenhalsig, trotzig anzuschaun, Und, ausgeweidet, leblos mit lebendigem Ton. Worauf der Hörer natürlich erwiedert: Mit gar verhülltem Worte schilderst du uns ab, Was rathend schwerlich auch der kluge Mann durchschaut; Wenn du nicht offen redest, wir verstehn dich nicht. Es erfolgt nun das Geständniſs, daſs die Schildkröte gemeint ist. Uebri- gens fehlten solche Räthselreden auch bei den attischen Trauerspieldich- tern nicht, die deshalb von der mittleren Komödie oft und derb mitgenom- men wurden. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0423" n="413"/><fw place="top" type="header">LITTERATUR UND KUNST.</fw><lb/> des Naevius, welcher wir nur noch bei einem Dichter begeg-<lb/> nen wie Pacuvius, der selber genau genommen einer früheren<lb/> Periode angehört; Marcus Pacuvius (535-c. 625) aus Brun-<lb/> disium fällt zwar der Entstehungszeit seiner Werke nach in<lb/> diese Epoche, da er in seinen früheren Jahren in Rom vom<lb/> Malen, erst im höheren Alter (c. 600-615) vom Tragödien-<lb/> dichten lebte; allein seinen Jahren wie seiner Art nach steht<lb/> er mehr in dem vorigen als in diesem Jahrhundert. Er dich-<lb/> tete im Ganzen in der ennianischen Weise, jedoch gefeilter und<lb/> schwungvoller, aber auch gesuchter und schwülstiger als sein<lb/> Oheim und Vorgänger. Günstigen Kunstkritikern galt er später<lb/> als Muster der Kunstpoesie und des reichen Stils; in den auf uns<lb/> gekommenen Bruchstücken fehlt es nicht an Belegen, die des Lu-<lb/> cilius strengeres Urtheil rechtfertigen<note place="foot" n="*"><p>So heiſst es im Paulus, einem Originalstück, von einer unwegsamen<lb/> Gegend:</p><lb/><hi rendition="#et"><hi rendition="#i">Qua vix caprigeno géneri gradilis gréssio est.</hi><lb/> wo kaum ist<lb/> Dem bockgeschlechtigen Geschlecht gangbarer Gang.</hi><lb/><p>Und in einem andern Stück wird ein Gegenstand in der folgenden prägnan-<lb/> ten Weise beschrieben:</p><lb/><hi rendition="#et">Vierfüſsig, langsamwandelnd, ländlich, niedrig, rauh,<lb/> Kurzköpfig, schlangenhalsig, trotzig anzuschaun,<lb/> Und, ausgeweidet, leblos mit lebendigem Ton.</hi><lb/><p>Worauf der Hörer natürlich erwiedert:</p><lb/><hi rendition="#et">Mit gar verhülltem Worte schilderst du uns ab,<lb/> Was rathend schwerlich auch der kluge Mann durchschaut;<lb/> Wenn du nicht offen redest, wir verstehn dich nicht.</hi><lb/><p>Es erfolgt nun das Geständniſs, daſs die Schildkröte gemeint ist. Uebri-<lb/> gens fehlten solche Räthselreden auch bei den attischen Trauerspieldich-<lb/> tern nicht, die deshalb von der mittleren Komödie oft und derb mitgenom-<lb/> men wurden.</p></note>. Lesbarere und gewand-<lb/> tere Nachdichtungen der griechischen Tragödie lieferte des Pa-<lb/> cuvius jüngerer Zeitgenosse Lucius Accius, eines Freigelassenen<lb/> Sohn von Pisaurum (584-nach 651), auſser Pacuvius der einzige<lb/> namhafte tragische Dichter des siebenten Jahrhunderts. Ohne<lb/> Zweifel war er, ein auch litterarhistorisch und grammatisch thä-<lb/> tiger Schriftsteller, bemüht statt der cruden Weise seiner Vor-<lb/> gänger gröſsere Reinheit in Sprache und Stil in die lateinische Tra-<lb/> gödie einzuführen; doch ward auch seine Ungleichheit und In-<lb/> correctheit von den Männern der strengen Observanz, wie Luci-<lb/> lius, nachdrücklich getadelt.</p><lb/> <p>Weit gröſsere Thätigkeit und weit bedeutendere Erfolge be-<lb/> gegnen auf dem Gebiete des Lustspiels. Gleich am Anfang dieser<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [413/0423]
LITTERATUR UND KUNST.
des Naevius, welcher wir nur noch bei einem Dichter begeg-
nen wie Pacuvius, der selber genau genommen einer früheren
Periode angehört; Marcus Pacuvius (535-c. 625) aus Brun-
disium fällt zwar der Entstehungszeit seiner Werke nach in
diese Epoche, da er in seinen früheren Jahren in Rom vom
Malen, erst im höheren Alter (c. 600-615) vom Tragödien-
dichten lebte; allein seinen Jahren wie seiner Art nach steht
er mehr in dem vorigen als in diesem Jahrhundert. Er dich-
tete im Ganzen in der ennianischen Weise, jedoch gefeilter und
schwungvoller, aber auch gesuchter und schwülstiger als sein
Oheim und Vorgänger. Günstigen Kunstkritikern galt er später
als Muster der Kunstpoesie und des reichen Stils; in den auf uns
gekommenen Bruchstücken fehlt es nicht an Belegen, die des Lu-
cilius strengeres Urtheil rechtfertigen *. Lesbarere und gewand-
tere Nachdichtungen der griechischen Tragödie lieferte des Pa-
cuvius jüngerer Zeitgenosse Lucius Accius, eines Freigelassenen
Sohn von Pisaurum (584-nach 651), auſser Pacuvius der einzige
namhafte tragische Dichter des siebenten Jahrhunderts. Ohne
Zweifel war er, ein auch litterarhistorisch und grammatisch thä-
tiger Schriftsteller, bemüht statt der cruden Weise seiner Vor-
gänger gröſsere Reinheit in Sprache und Stil in die lateinische Tra-
gödie einzuführen; doch ward auch seine Ungleichheit und In-
correctheit von den Männern der strengen Observanz, wie Luci-
lius, nachdrücklich getadelt.
Weit gröſsere Thätigkeit und weit bedeutendere Erfolge be-
gegnen auf dem Gebiete des Lustspiels. Gleich am Anfang dieser
* So heiſst es im Paulus, einem Originalstück, von einer unwegsamen
Gegend:
Qua vix caprigeno géneri gradilis gréssio est.
wo kaum ist
Dem bockgeschlechtigen Geschlecht gangbarer Gang.
Und in einem andern Stück wird ein Gegenstand in der folgenden prägnan-
ten Weise beschrieben:
Vierfüſsig, langsamwandelnd, ländlich, niedrig, rauh,
Kurzköpfig, schlangenhalsig, trotzig anzuschaun,
Und, ausgeweidet, leblos mit lebendigem Ton.
Worauf der Hörer natürlich erwiedert:
Mit gar verhülltem Worte schilderst du uns ab,
Was rathend schwerlich auch der kluge Mann durchschaut;
Wenn du nicht offen redest, wir verstehn dich nicht.
Es erfolgt nun das Geständniſs, daſs die Schildkröte gemeint ist. Uebri-
gens fehlten solche Räthselreden auch bei den attischen Trauerspieldich-
tern nicht, die deshalb von der mittleren Komödie oft und derb mitgenom-
men wurden.
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Zitationshilfe: | Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 413. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/423>, abgerufen am 31.07.2024. |