Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.VIERTES BUCH. KAPITEL XIII. leichteren Komödie, der poetischen Miscelle, der politischen Bro-schüre, den Fachwissenschaften. Das litterarische Stichwort wird die Correctheit, im Kunststil und vor allem in der Sprache, welche mit der Ausscheidung eines engeren Kreises von Gebildeten aus dem gesammten Volke sich zu zersetzen beginnt in das klassische Latein der höheren Gesellschaft und das vulgare des gemeinen Mannes. ,Reine Sprache' verheissen die terenzischen Prologe; Sprachfehlerpolemik ist ein Hauptelement der lucilischen Satire; und eben damit hängt es zusammen, dass die griechische Schrift- stellerei der Römer jetzt vollständig aufhört*. Insofern ist ein Fortschritt zum Besseren allerdings vorhanden; es begegnen in dieser Epoche weit seltener unzulängliche, weit häufiger in ihrer Art vollendete und durchaus erfreuliche Leistungen als vorher oder nachher; in sprachlicher Hinsicht nennt schon Cicero die Zeit des Laelius und Scipio die goldene des reinen unverfälschten Latein. Dessgleichen steigt die litterarische Thätigkeit in der öf- fentlichen Meinung allmählich vom Handwerk zur Kunst empor. Noch im Anfang dieser Periode war die Anfertigung von Bühnen- texten ein Handwerk und keines mit goldenem Boden; Pacuvius und Terenz lebten von ihren Stücken und das dem letzteren für seinen ,Verschnittenen' gezahlte Bühnenhonorar von 8000 Se- sterzen (572 Thlr.) wird als ein ungewöhnlich hohes bezeichnet; damit hängt es zusammen, dass es für vornehme Männer nicht schicklich erschien für die Bühne zu schreiben. Am Ende der Periode dagegen begegnen wir schon einem römischen ,Dichter- verein', in dem der adliche Lucius Caesar (Aedil 664, + 667) sich geehrt fühlt neben dem ahnenlosen Accius zu sitzen; und schon die Schauspielerhonorare dieser Zeit beweisen, dass man den angesehenen dramatischen Dichter jetzt entweder weit höher als in der terenzischen Zeit oder auch schon gar nicht mehr ho- norirt haben muss. Aber der Schwung ist dahin im Leben wie in der Litteratur; die nachtwandlerische Sicherheit, die den Dich- ter zum Dichter macht und die vor allem bei Plautus sehr ent- schieden hervortritt, kehrt bei keinem der Späteren wieder. Die Epigonen der Hannibalskämpfer sind correct, aber matt. Betrachten wir zuerst die römische Bühnenlitteratur und * Dass Publius Rutilius Rufus seine Selbstbiographie griechisch ab-
fasste, erklärt sich daraus, dass er als Verbannter in Smyrna sein Leben beschloss. VIERTES BUCH. KAPITEL XIII. leichteren Komödie, der poetischen Miscelle, der politischen Bro-schüre, den Fachwissenschaften. Das litterarische Stichwort wird die Correctheit, im Kunststil und vor allem in der Sprache, welche mit der Ausscheidung eines engeren Kreises von Gebildeten aus dem gesammten Volke sich zu zersetzen beginnt in das klassische Latein der höheren Gesellschaft und das vulgare des gemeinen Mannes. ‚Reine Sprache‘ verheiſsen die terenzischen Prologe; Sprachfehlerpolemik ist ein Hauptelement der lucilischen Satire; und eben damit hängt es zusammen, daſs die griechische Schrift- stellerei der Römer jetzt vollständig aufhört*. Insofern ist ein Fortschritt zum Besseren allerdings vorhanden; es begegnen in dieser Epoche weit seltener unzulängliche, weit häufiger in ihrer Art vollendete und durchaus erfreuliche Leistungen als vorher oder nachher; in sprachlicher Hinsicht nennt schon Cicero die Zeit des Laelius und Scipio die goldene des reinen unverfälschten Latein. Deſsgleichen steigt die litterarische Thätigkeit in der öf- fentlichen Meinung allmählich vom Handwerk zur Kunst empor. Noch im Anfang dieser Periode war die Anfertigung von Bühnen- texten ein Handwerk und keines mit goldenem Boden; Pacuvius und Terenz lebten von ihren Stücken und das dem letzteren für seinen ‚Verschnittenen‘ gezahlte Bühnenhonorar von 8000 Se- sterzen (572 Thlr.) wird als ein ungewöhnlich hohes bezeichnet; damit hängt es zusammen, daſs es für vornehme Männer nicht schicklich erschien für die Bühne zu schreiben. Am Ende der Periode dagegen begegnen wir schon einem römischen ‚Dichter- verein‘, in dem der adliche Lucius Caesar (Aedil 664, † 667) sich geehrt fühlt neben dem ahnenlosen Accius zu sitzen; und schon die Schauspielerhonorare dieser Zeit beweisen, daſs man den angesehenen dramatischen Dichter jetzt entweder weit höher als in der terenzischen Zeit oder auch schon gar nicht mehr ho- norirt haben muſs. Aber der Schwung ist dahin im Leben wie in der Litteratur; die nachtwandlerische Sicherheit, die den Dich- ter zum Dichter macht und die vor allem bei Plautus sehr ent- schieden hervortritt, kehrt bei keinem der Späteren wieder. Die Epigonen der Hannibalskämpfer sind correct, aber matt. Betrachten wir zuerst die römische Bühnenlitteratur und * Daſs Publius Rutilius Rufus seine Selbstbiographie griechisch ab-
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VIERTES BUCH. KAPITEL XIII.
leichteren Komödie, der poetischen Miscelle, der politischen Bro-
schüre, den Fachwissenschaften. Das litterarische Stichwort wird
die Correctheit, im Kunststil und vor allem in der Sprache, welche
mit der Ausscheidung eines engeren Kreises von Gebildeten aus
dem gesammten Volke sich zu zersetzen beginnt in das klassische
Latein der höheren Gesellschaft und das vulgare des gemeinen
Mannes. ‚Reine Sprache‘ verheiſsen die terenzischen Prologe;
Sprachfehlerpolemik ist ein Hauptelement der lucilischen Satire;
und eben damit hängt es zusammen, daſs die griechische Schrift-
stellerei der Römer jetzt vollständig aufhört *. Insofern ist ein
Fortschritt zum Besseren allerdings vorhanden; es begegnen in
dieser Epoche weit seltener unzulängliche, weit häufiger in ihrer
Art vollendete und durchaus erfreuliche Leistungen als vorher
oder nachher; in sprachlicher Hinsicht nennt schon Cicero die
Zeit des Laelius und Scipio die goldene des reinen unverfälschten
Latein. Deſsgleichen steigt die litterarische Thätigkeit in der öf-
fentlichen Meinung allmählich vom Handwerk zur Kunst empor.
Noch im Anfang dieser Periode war die Anfertigung von Bühnen-
texten ein Handwerk und keines mit goldenem Boden; Pacuvius
und Terenz lebten von ihren Stücken und das dem letzteren für
seinen ‚Verschnittenen‘ gezahlte Bühnenhonorar von 8000 Se-
sterzen (572 Thlr.) wird als ein ungewöhnlich hohes bezeichnet;
damit hängt es zusammen, daſs es für vornehme Männer nicht
schicklich erschien für die Bühne zu schreiben. Am Ende der
Periode dagegen begegnen wir schon einem römischen ‚Dichter-
verein‘, in dem der adliche Lucius Caesar (Aedil 664, † 667)
sich geehrt fühlt neben dem ahnenlosen Accius zu sitzen; und
schon die Schauspielerhonorare dieser Zeit beweisen, daſs man
den angesehenen dramatischen Dichter jetzt entweder weit höher
als in der terenzischen Zeit oder auch schon gar nicht mehr ho-
norirt haben muſs. Aber der Schwung ist dahin im Leben wie
in der Litteratur; die nachtwandlerische Sicherheit, die den Dich-
ter zum Dichter macht und die vor allem bei Plautus sehr ent-
schieden hervortritt, kehrt bei keinem der Späteren wieder. Die
Epigonen der Hannibalskämpfer sind correct, aber matt.
Betrachten wir zuerst die römische Bühnenlitteratur und
die Bühne selbst. Das Trauerspiel tritt entschieden zurück, vor
allen Dingen die nationale Tragödie (praetexta), die Schöpfung
* Daſs Publius Rutilius Rufus seine Selbstbiographie griechisch ab-
faſste, erklärt sich daraus, daſs er als Verbannter in Smyrna sein Leben
beschloſs.
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