Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.DAS GEMEINWESEN UND SEINE OEKONOMIE. ungeheure Finanzkrise, die im Verfolg der italisch-asiatischenBewegungen 664 fg. über den römischen Capitalistenstand her- einbrach, die Bankerotte des Staats und der Privaten, die allge- meine Entwerthung der Grundstücke und der Gesellschaftsparten können wir im Einzelnen nicht mehr verfolgen, sondern nur ihre Art und ihre Bedeutung im Allgemeinen erkennen an ihren Re- sultaten: der Ermordung des Gerichtsherrn durch einen Gläubi- gerhaufen (S. 239), dem Versuch alle nicht von Schulden freien Senatoren aus dem Senat zu stossen (S. 240), der Erneuerung des Zinsmaximum durch Sulla (S. 247), der Cassation von 75 % aller Forderungen durch die revolutionäre Partei (S. 302). Die Folge dieser Wirthschaft war natürlich in den Provinzen all- gemeine Verarmung und Entvölkerung, wogegen die parasitische Bevölkerung reisender oder auf Zeit ansässiger Italiker überall im Steigen war. In Kleinasien sollen an einem Tag 80000 Menschen italischer Abkunft umgekommen sein (S. 273). Wie zahlreich die- selben auf Delos waren, beweisen die noch auf der Insel vorhan- denen Grabsteine und die Angabe, dass hier 20000 Fremde, meistens italische Kaufleute, auf Mithradates Befehl getödtet wur- den (S. 275). In Africa waren der Italiker so viele, dass sogar die numidische Stadt Cirta hauptsächlich durch sie gegen Ju- gurtha vertheidigt werden konnte (S. 135). Auch Gallien, heisst es, war angefüllt mit römischen Kaufleuten; nur für Spanien finden sich, vielleicht nicht zufällig, dergleichen Angaben nicht. In Italien selbst ist dagegen der Stand der freien Bevölkerung in dieser Epoche ohne Zweifel im Ganzen zurückgegangen. Allerdings haben die Bürgerkriege hiezu wesentlich mitgewirkt, welche nach allgemein gehaltenen und freilich wenig zuverlässigen Angaben 100000 bis 150000 Köpfe von der römischen Bürgerschaft, 300000 von der italischen Bevölkerung überhaupt weggerafft haben sollen; aber schlimmer wirkten der ökonomische Ruin des Mittelstandes und die masslose Ausdehnung der kaufmännischen Emigration, die einen grossen Theil der italischen Jugend wäh- rend ihrer kräftigsten Jahre im Ausland zu verweilen veranlasste. Einen Ersatz sehr zweifelhaften Werthes gewährte dafür die freie parasitische hellenisch-orientalische Bevölkerung, die als könig- liche oder Gemeindediplomaten, als Aerzte, Schulmeister, Pfaffen, Bediente, Schmarotzer und in den tausendfachen Aemtern der Industrieritter- und Gaunerschaft in der Hauptstadt, als Händler und Schiffer namentlich in Ostia, Puteoli und Brundisium ver- weilten. Noch bedenklicher war das enorme Steigen der Sclaven- menge auf der Halbinsel. Die italische Bürgerschaft zählte nach DAS GEMEINWESEN UND SEINE OEKONOMIE. ungeheure Finanzkrise, die im Verfolg der italisch-asiatischenBewegungen 664 fg. über den römischen Capitalistenstand her- einbrach, die Bankerotte des Staats und der Privaten, die allge- meine Entwerthung der Grundstücke und der Gesellschaftsparten können wir im Einzelnen nicht mehr verfolgen, sondern nur ihre Art und ihre Bedeutung im Allgemeinen erkennen an ihren Re- sultaten: der Ermordung des Gerichtsherrn durch einen Gläubi- gerhaufen (S. 239), dem Versuch alle nicht von Schulden freien Senatoren aus dem Senat zu stoſsen (S. 240), der Erneuerung des Zinsmaximum durch Sulla (S. 247), der Cassation von 75 % aller Forderungen durch die revolutionäre Partei (S. 302). Die Folge dieser Wirthschaft war natürlich in den Provinzen all- gemeine Verarmung und Entvölkerung, wogegen die parasitische Bevölkerung reisender oder auf Zeit ansässiger Italiker überall im Steigen war. In Kleinasien sollen an einem Tag 80000 Menschen italischer Abkunft umgekommen sein (S. 273). Wie zahlreich die- selben auf Delos waren, beweisen die noch auf der Insel vorhan- denen Grabsteine und die Angabe, daſs hier 20000 Fremde, meistens italische Kaufleute, auf Mithradates Befehl getödtet wur- den (S. 275). In Africa waren der Italiker so viele, daſs sogar die numidische Stadt Cirta hauptsächlich durch sie gegen Ju- gurtha vertheidigt werden konnte (S. 135). Auch Gallien, heiſst es, war angefüllt mit römischen Kaufleuten; nur für Spanien finden sich, vielleicht nicht zufällig, dergleichen Angaben nicht. In Italien selbst ist dagegen der Stand der freien Bevölkerung in dieser Epoche ohne Zweifel im Ganzen zurückgegangen. Allerdings haben die Bürgerkriege hiezu wesentlich mitgewirkt, welche nach allgemein gehaltenen und freilich wenig zuverlässigen Angaben 100000 bis 150000 Köpfe von der römischen Bürgerschaft, 300000 von der italischen Bevölkerung überhaupt weggerafft haben sollen; aber schlimmer wirkten der ökonomische Ruin des Mittelstandes und die maſslose Ausdehnung der kaufmännischen Emigration, die einen groſsen Theil der italischen Jugend wäh- rend ihrer kräftigsten Jahre im Ausland zu verweilen veranlaſste. Einen Ersatz sehr zweifelhaften Werthes gewährte dafür die freie parasitische hellenisch-orientalische Bevölkerung, die als könig- liche oder Gemeindediplomaten, als Aerzte, Schulmeister, Pfaffen, Bediente, Schmarotzer und in den tausendfachen Aemtern der Industrieritter- und Gaunerschaft in der Hauptstadt, als Händler und Schiffer namentlich in Ostia, Puteoli und Brundisium ver- weilten. Noch bedenklicher war das enorme Steigen der Sclaven- menge auf der Halbinsel. 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DAS GEMEINWESEN UND SEINE OEKONOMIE.
ungeheure Finanzkrise, die im Verfolg der italisch-asiatischen
Bewegungen 664 fg. über den römischen Capitalistenstand her-
einbrach, die Bankerotte des Staats und der Privaten, die allge-
meine Entwerthung der Grundstücke und der Gesellschaftsparten
können wir im Einzelnen nicht mehr verfolgen, sondern nur ihre
Art und ihre Bedeutung im Allgemeinen erkennen an ihren Re-
sultaten: der Ermordung des Gerichtsherrn durch einen Gläubi-
gerhaufen (S. 239), dem Versuch alle nicht von Schulden freien
Senatoren aus dem Senat zu stoſsen (S. 240), der Erneuerung
des Zinsmaximum durch Sulla (S. 247), der Cassation von 75 %
aller Forderungen durch die revolutionäre Partei (S. 302).
Die Folge dieser Wirthschaft war natürlich in den Provinzen all-
gemeine Verarmung und Entvölkerung, wogegen die parasitische
Bevölkerung reisender oder auf Zeit ansässiger Italiker überall im
Steigen war. In Kleinasien sollen an einem Tag 80000 Menschen
italischer Abkunft umgekommen sein (S. 273). Wie zahlreich die-
selben auf Delos waren, beweisen die noch auf der Insel vorhan-
denen Grabsteine und die Angabe, daſs hier 20000 Fremde,
meistens italische Kaufleute, auf Mithradates Befehl getödtet wur-
den (S. 275). In Africa waren der Italiker so viele, daſs sogar
die numidische Stadt Cirta hauptsächlich durch sie gegen Ju-
gurtha vertheidigt werden konnte (S. 135). Auch Gallien, heiſst
es, war angefüllt mit römischen Kaufleuten; nur für Spanien
finden sich, vielleicht nicht zufällig, dergleichen Angaben nicht.
In Italien selbst ist dagegen der Stand der freien Bevölkerung in
dieser Epoche ohne Zweifel im Ganzen zurückgegangen. Allerdings
haben die Bürgerkriege hiezu wesentlich mitgewirkt, welche nach
allgemein gehaltenen und freilich wenig zuverlässigen Angaben
100000 bis 150000 Köpfe von der römischen Bürgerschaft,
300000 von der italischen Bevölkerung überhaupt weggerafft
haben sollen; aber schlimmer wirkten der ökonomische Ruin des
Mittelstandes und die maſslose Ausdehnung der kaufmännischen
Emigration, die einen groſsen Theil der italischen Jugend wäh-
rend ihrer kräftigsten Jahre im Ausland zu verweilen veranlaſste.
Einen Ersatz sehr zweifelhaften Werthes gewährte dafür die freie
parasitische hellenisch-orientalische Bevölkerung, die als könig-
liche oder Gemeindediplomaten, als Aerzte, Schulmeister, Pfaffen,
Bediente, Schmarotzer und in den tausendfachen Aemtern der
Industrieritter- und Gaunerschaft in der Hauptstadt, als Händler
und Schiffer namentlich in Ostia, Puteoli und Brundisium ver-
weilten. Noch bedenklicher war das enorme Steigen der Sclaven-
menge auf der Halbinsel. Die italische Bürgerschaft zählte nach
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