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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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der mehr und mehr mit Landhäusern sich füllenden Gegend von
Baiae den Kaufleuten einen dem hauptstädtischen wenig nach-
stehenden Markt in nächster Nähe darbot, nach Lucilius Aus-
druck das italische ,Kleindelos'; nach dem Ruin von Delos knüpf-
ten die Puteolaner directe Handelsverbindungen mit Syrien und
Alexandreia an und die Stadt entwickelte immer entschiedener
sich zu dem ersten überseeischen Handelsplatz Italiens. Aber
nicht bloss der Gewinn, der bei der Aus- und Einfuhr Italiens
gemacht ward, fiel wesentlich den Italikern zu; in Narbo con-
currirten sie im keltischen Handel mit den Massalioten und auch
sonst leidet es keinen Zweifel, dass die überall fluctuirend oder
ansässig anzutreffende römische Kaufmannschaft den besten Theil
aller Speculationen für sich nahm. -- Fassen wir diese Erschei-
nungen zusammen, so erkennen wir als den hervorstechenden
Zug der Privatwirthschaft dieser Epoche die der politischen eben-
bürtig zur Seite gehende finanzielle Oligarchie der römischen Ca-
pitalisten. In ihren Händen vereinigt sich die Bodenrente fast
des ganzen Italiens und der besten Stücke des Provinzialgebiets,
die wucherliche Rente des von ihnen monopolisirten Capitals, der
Handelsgewinn aus dem gesammten Reiche, endlich in Form der
Pachtnutzung ein sehr beträchtlicher Theil der römischen Staats-
einkünfte. Die immer zunehmende Anhäufung der Capitalien zeigt
sich in dem Steigen des Durchschnittsatzes des Reichthums: 3 Mill.
Sest. (214000 Thlr.) war jetzt ein mässiges senatorisches, 2 Mill.
(143000 Thlr.) ein anständiges Rittervermögen; das Vermögen des
reichsten Mannes der gracchischen Zeit, des Publius Crassus Consul
623, ward auf 100 Mill. Sest. (7 Mill. Thlr.) geschätzt. Es ist kein
Wunder, wenn dieser Capitalistenstand die äussere Politik vorwie-
gend bestimmt, wenn er aus Handelsrivalität Karthago und Korinth
zerstört (S. 23. 48) wie einst die Etrusker Alalia, die Syrakusier
Caere zerstörten, wenn er dem Senat zum Trotz die Gründung von
Narbo aufrecht erhält (S. 157). Es ist ebenfalls kein Wunder, wenn
diese Capitalistenoligarchie in der inneren Politik der Adelsoligar-
chie eine ernstliche und oft siegreiche Concurrenz macht. Es ist
aber auch kein Wunder, wenn ruinirte reiche Leute sich an die
Spitze empörter Sclavenhaufen stellen (S. 126) und das Publicum
sehr unsanft daran erinnerten, dass aus dem eleganten Bordell der
Uebergang zu der Räuberhöhle leicht gefunden ist. Es ist kein Wun-
der, wenn jener finanzielle Babelthurm mit seiner nicht rein öko-
nomischen, sondern der politischen Uebermacht Roms entlehnten
Grundlage bei jeder ernsten politischen Krise ungefähr in dersel-
ben Art schwankt wie unser sehr ähnlicher Staatspapierbau. Die

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der mehr und mehr mit Landhäusern sich füllenden Gegend von
Baiae den Kaufleuten einen dem hauptstädtischen wenig nach-
stehenden Markt in nächster Nähe darbot, nach Lucilius Aus-
druck das italische ‚Kleindelos‘; nach dem Ruin von Delos knüpf-
ten die Puteolaner directe Handelsverbindungen mit Syrien und
Alexandreia an und die Stadt entwickelte immer entschiedener
sich zu dem ersten überseeischen Handelsplatz Italiens. Aber
nicht bloſs der Gewinn, der bei der Aus- und Einfuhr Italiens
gemacht ward, fiel wesentlich den Italikern zu; in Narbo con-
currirten sie im keltischen Handel mit den Massalioten und auch
sonst leidet es keinen Zweifel, daſs die überall fluctuirend oder
ansässig anzutreffende römische Kaufmannschaft den besten Theil
aller Speculationen für sich nahm. — Fassen wir diese Erschei-
nungen zusammen, so erkennen wir als den hervorstechenden
Zug der Privatwirthschaft dieser Epoche die der politischen eben-
bürtig zur Seite gehende finanzielle Oligarchie der römischen Ca-
pitalisten. In ihren Händen vereinigt sich die Bodenrente fast
des ganzen Italiens und der besten Stücke des Provinzialgebiets,
die wucherliche Rente des von ihnen monopolisirten Capitals, der
Handelsgewinn aus dem gesammten Reiche, endlich in Form der
Pachtnutzung ein sehr beträchtlicher Theil der römischen Staats-
einkünfte. Die immer zunehmende Anhäufung der Capitalien zeigt
sich in dem Steigen des Durchschnittsatzes des Reichthums: 3 Mill.
Sest. (214000 Thlr.) war jetzt ein mäſsiges senatorisches, 2 Mill.
(143000 Thlr.) ein anständiges Rittervermögen; das Vermögen des
reichsten Mannes der gracchischen Zeit, des Publius Crassus Consul
623, ward auf 100 Mill. Sest. (7 Mill. Thlr.) geschätzt. Es ist kein
Wunder, wenn dieser Capitalistenstand die äuſsere Politik vorwie-
gend bestimmt, wenn er aus Handelsrivalität Karthago und Korinth
zerstört (S. 23. 48) wie einst die Etrusker Alalia, die Syrakusier
Caere zerstörten, wenn er dem Senat zum Trotz die Gründung von
Narbo aufrecht erhält (S. 157). Es ist ebenfalls kein Wunder, wenn
diese Capitalistenoligarchie in der inneren Politik der Adelsoligar-
chie eine ernstliche und oft siegreiche Concurrenz macht. Es ist
aber auch kein Wunder, wenn ruinirte reiche Leute sich an die
Spitze empörter Sclavenhaufen stellen (S. 126) und das Publicum
sehr unsanft daran erinnerten, daſs aus dem eleganten Bordell der
Uebergang zu der Räuberhöhle leicht gefunden ist. Es ist kein Wun-
der, wenn jener finanzielle Babelthurm mit seiner nicht rein öko-
nomischen, sondern der politischen Uebermacht Roms entlehnten
Grundlage bei jeder ernsten politischen Krise ungefähr in dersel-
ben Art schwankt wie unser sehr ähnlicher Staatspapierbau. Die

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[376/0386] VIERTES BUCH. KAPITEL XI. der mehr und mehr mit Landhäusern sich füllenden Gegend von Baiae den Kaufleuten einen dem hauptstädtischen wenig nach- stehenden Markt in nächster Nähe darbot, nach Lucilius Aus- druck das italische ‚Kleindelos‘; nach dem Ruin von Delos knüpf- ten die Puteolaner directe Handelsverbindungen mit Syrien und Alexandreia an und die Stadt entwickelte immer entschiedener sich zu dem ersten überseeischen Handelsplatz Italiens. Aber nicht bloſs der Gewinn, der bei der Aus- und Einfuhr Italiens gemacht ward, fiel wesentlich den Italikern zu; in Narbo con- currirten sie im keltischen Handel mit den Massalioten und auch sonst leidet es keinen Zweifel, daſs die überall fluctuirend oder ansässig anzutreffende römische Kaufmannschaft den besten Theil aller Speculationen für sich nahm. — Fassen wir diese Erschei- nungen zusammen, so erkennen wir als den hervorstechenden Zug der Privatwirthschaft dieser Epoche die der politischen eben- bürtig zur Seite gehende finanzielle Oligarchie der römischen Ca- pitalisten. In ihren Händen vereinigt sich die Bodenrente fast des ganzen Italiens und der besten Stücke des Provinzialgebiets, die wucherliche Rente des von ihnen monopolisirten Capitals, der Handelsgewinn aus dem gesammten Reiche, endlich in Form der Pachtnutzung ein sehr beträchtlicher Theil der römischen Staats- einkünfte. Die immer zunehmende Anhäufung der Capitalien zeigt sich in dem Steigen des Durchschnittsatzes des Reichthums: 3 Mill. Sest. (214000 Thlr.) war jetzt ein mäſsiges senatorisches, 2 Mill. (143000 Thlr.) ein anständiges Rittervermögen; das Vermögen des reichsten Mannes der gracchischen Zeit, des Publius Crassus Consul 623, ward auf 100 Mill. Sest. (7 Mill. Thlr.) geschätzt. Es ist kein Wunder, wenn dieser Capitalistenstand die äuſsere Politik vorwie- gend bestimmt, wenn er aus Handelsrivalität Karthago und Korinth zerstört (S. 23. 48) wie einst die Etrusker Alalia, die Syrakusier Caere zerstörten, wenn er dem Senat zum Trotz die Gründung von Narbo aufrecht erhält (S. 157). Es ist ebenfalls kein Wunder, wenn diese Capitalistenoligarchie in der inneren Politik der Adelsoligar- chie eine ernstliche und oft siegreiche Concurrenz macht. Es ist aber auch kein Wunder, wenn ruinirte reiche Leute sich an die Spitze empörter Sclavenhaufen stellen (S. 126) und das Publicum sehr unsanft daran erinnerten, daſs aus dem eleganten Bordell der Uebergang zu der Räuberhöhle leicht gefunden ist. Es ist kein Wun- der, wenn jener finanzielle Babelthurm mit seiner nicht rein öko- nomischen, sondern der politischen Uebermacht Roms entlehnten Grundlage bei jeder ernsten politischen Krise ungefähr in dersel- ben Art schwankt wie unser sehr ähnlicher Staatspapierbau. Die

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 376. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/386>, abgerufen am 19.05.2024.