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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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DAS GEMEINWESEN UND SEINE OEKONOMIE.
Angriff überzugehen. Auf den Schlachtfeldern von Aquae Sextiae
und Vercellae, von Chaeroneia und Orchomenos wurden die ersten
Schläge desjenigen Gewitters vernommen, das die germanischen
Stämme und die asiatischen Horden bestimmt waren über die
italisch-griechische Welt zu bringen und dessen letztes dumpfes
Rollen fast noch bis in die Gegenwart hineinreicht. Aber auch
in der inneren Entwicklung trägt diese Epoche denselben Cha-
rakter. Die alte Ordnung stürzt unwiederbringlich zusammen.
Das römische Gemeinwesen war angelegt als eine Stadtgemeinde,
welche durch ihre freie Bürgerschaft sich selber die Herren und
die Gesetze gab, welche innerhalb dieser gesetzlichen Schranken
von diesen wohlberathenen Herren mit königlicher Freiheit ge-
leitet ward, um welche theils die italische Eidgenossenschaft als
ein Complex freier der römischen wesentlich gleichartiger und
stammverwandter Stadtgemeinden, theils die ausseritalische Bun-
desgenossenschaft als ein Complex griechischer Freistädte und
barbarischer Völker und Herrschaften, beide von der Gemeinde
Rom mehr bevormundet als beherrscht, in zwiefachem Kreise sich
schlossen. Es war das letzte Ergebniss der Revolution -- und
beide Parteien, die sogenannte Verfassungs- wie die sogenannte
demokratische Partei, hatten dazu mitgewirkt und trafen darin
zusammen --, dass von diesem ehrwürdigen Bau, der am An-
fang dieser Epoche zwar rissig und schwankend, aber doch noch
aufrecht stand, an ihrem Schluss kein Stein mehr auf dem andern
geblieben war. Der souveräne Machthaber war jetzt entweder ein
einzelner Mann oder die geschlossene Oligarchie bald der Vor-
nehmen, bald der Reichen. Die Bürgerschaft hatte jeden wirk-
lichen Antheil am Regiment verloren. Die Beamten waren un-
selbstständige Werkzeuge in der Hand des jedesmaligen Macht-
habers. Die Stadtgemeinde Rom hatte durch ihre widernatürliche
Erweiterung sich selber zersprengt. Die italische Eidgenossen-
schaft war aufgegangen in die Stadtgemeinde. Die ausseritalische
Bundesgenossenschaft war im vollen Zug sich in eine Untertha-
nenschaft zu verwandeln. Die gesammte organische Gliederung
des römischen Gemeinwesens war zu Grunde gegangen und nichts
übrig geblieben als eine rohe Masse mehr oder minder disparater
Elemente. Der Zustand drohte in volle Anarchie und in innere
und äussere Auflösung des Staats überzugehen. Die politische
Bewegung lenkte durchaus nach dem Ziele der Despotie; nur
darüber noch ward gestritten, ob der geschlossene Kreis der vor-
nehmen Familien oder ein Capitalistensenat oder ein Monarch
Despot sein solle. Die politische Bewegung ging durchaus die

DAS GEMEINWESEN UND SEINE OEKONOMIE.
Angriff überzugehen. Auf den Schlachtfeldern von Aquae Sextiae
und Vercellae, von Chaeroneia und Orchomenos wurden die ersten
Schläge desjenigen Gewitters vernommen, das die germanischen
Stämme und die asiatischen Horden bestimmt waren über die
italisch-griechische Welt zu bringen und dessen letztes dumpfes
Rollen fast noch bis in die Gegenwart hineinreicht. Aber auch
in der inneren Entwicklung trägt diese Epoche denselben Cha-
rakter. Die alte Ordnung stürzt unwiederbringlich zusammen.
Das römische Gemeinwesen war angelegt als eine Stadtgemeinde,
welche durch ihre freie Bürgerschaft sich selber die Herren und
die Gesetze gab, welche innerhalb dieser gesetzlichen Schranken
von diesen wohlberathenen Herren mit königlicher Freiheit ge-
leitet ward, um welche theils die italische Eidgenossenschaft als
ein Complex freier der römischen wesentlich gleichartiger und
stammverwandter Stadtgemeinden, theils die auſseritalische Bun-
desgenossenschaft als ein Complex griechischer Freistädte und
barbarischer Völker und Herrschaften, beide von der Gemeinde
Rom mehr bevormundet als beherrscht, in zwiefachem Kreise sich
schlossen. Es war das letzte Ergebniſs der Revolution — und
beide Parteien, die sogenannte Verfassungs- wie die sogenannte
demokratische Partei, hatten dazu mitgewirkt und trafen darin
zusammen —, daſs von diesem ehrwürdigen Bau, der am An-
fang dieser Epoche zwar rissig und schwankend, aber doch noch
aufrecht stand, an ihrem Schluſs kein Stein mehr auf dem andern
geblieben war. Der souveräne Machthaber war jetzt entweder ein
einzelner Mann oder die geschlossene Oligarchie bald der Vor-
nehmen, bald der Reichen. Die Bürgerschaft hatte jeden wirk-
lichen Antheil am Regiment verloren. Die Beamten waren un-
selbstständige Werkzeuge in der Hand des jedesmaligen Macht-
habers. Die Stadtgemeinde Rom hatte durch ihre widernatürliche
Erweiterung sich selber zersprengt. Die italische Eidgenossen-
schaft war aufgegangen in die Stadtgemeinde. Die auſseritalische
Bundesgenossenschaft war im vollen Zug sich in eine Untertha-
nenschaft zu verwandeln. Die gesammte organische Gliederung
des römischen Gemeinwesens war zu Grunde gegangen und nichts
übrig geblieben als eine rohe Masse mehr oder minder disparater
Elemente. Der Zustand drohte in volle Anarchie und in innere
und äuſsere Auflösung des Staats überzugehen. Die politische
Bewegung lenkte durchaus nach dem Ziele der Despotie; nur
darüber noch ward gestritten, ob der geschlossene Kreis der vor-
nehmen Familien oder ein Capitalistensenat oder ein Monarch
Despot sein solle. Die politische Bewegung ging durchaus die

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[361/0371] DAS GEMEINWESEN UND SEINE OEKONOMIE. Angriff überzugehen. Auf den Schlachtfeldern von Aquae Sextiae und Vercellae, von Chaeroneia und Orchomenos wurden die ersten Schläge desjenigen Gewitters vernommen, das die germanischen Stämme und die asiatischen Horden bestimmt waren über die italisch-griechische Welt zu bringen und dessen letztes dumpfes Rollen fast noch bis in die Gegenwart hineinreicht. Aber auch in der inneren Entwicklung trägt diese Epoche denselben Cha- rakter. Die alte Ordnung stürzt unwiederbringlich zusammen. Das römische Gemeinwesen war angelegt als eine Stadtgemeinde, welche durch ihre freie Bürgerschaft sich selber die Herren und die Gesetze gab, welche innerhalb dieser gesetzlichen Schranken von diesen wohlberathenen Herren mit königlicher Freiheit ge- leitet ward, um welche theils die italische Eidgenossenschaft als ein Complex freier der römischen wesentlich gleichartiger und stammverwandter Stadtgemeinden, theils die auſseritalische Bun- desgenossenschaft als ein Complex griechischer Freistädte und barbarischer Völker und Herrschaften, beide von der Gemeinde Rom mehr bevormundet als beherrscht, in zwiefachem Kreise sich schlossen. Es war das letzte Ergebniſs der Revolution — und beide Parteien, die sogenannte Verfassungs- wie die sogenannte demokratische Partei, hatten dazu mitgewirkt und trafen darin zusammen —, daſs von diesem ehrwürdigen Bau, der am An- fang dieser Epoche zwar rissig und schwankend, aber doch noch aufrecht stand, an ihrem Schluſs kein Stein mehr auf dem andern geblieben war. Der souveräne Machthaber war jetzt entweder ein einzelner Mann oder die geschlossene Oligarchie bald der Vor- nehmen, bald der Reichen. Die Bürgerschaft hatte jeden wirk- lichen Antheil am Regiment verloren. Die Beamten waren un- selbstständige Werkzeuge in der Hand des jedesmaligen Macht- habers. Die Stadtgemeinde Rom hatte durch ihre widernatürliche Erweiterung sich selber zersprengt. Die italische Eidgenossen- schaft war aufgegangen in die Stadtgemeinde. Die auſseritalische Bundesgenossenschaft war im vollen Zug sich in eine Untertha- nenschaft zu verwandeln. Die gesammte organische Gliederung des römischen Gemeinwesens war zu Grunde gegangen und nichts übrig geblieben als eine rohe Masse mehr oder minder disparater Elemente. Der Zustand drohte in volle Anarchie und in innere und äuſsere Auflösung des Staats überzugehen. Die politische Bewegung lenkte durchaus nach dem Ziele der Despotie; nur darüber noch ward gestritten, ob der geschlossene Kreis der vor- nehmen Familien oder ein Capitalistensenat oder ein Monarch Despot sein solle. Die politische Bewegung ging durchaus die

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 361. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/371>, abgerufen am 24.11.2024.