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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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VIERTES BUCH. KAPITEL XI.
zum Despotismus führenden Wege; der Grundgedanke des freien
Gemeinwesens, dass die ringenden Mächte sich gegenseitig be-
schränken auf mittelbaren Zwang, ging allen Parteien verloren und
hüben und drüben fingen sie an zuerst mit Knitteln, bald auch mit
dem Schwert um die Herrschaft zu fechten. Die Revolution, inso-
fern zu Ende, als die alte Verfassung definitiv und von beiden Seiten
als beseitigt anerkannt und Ziel und Weg der neuen politischen
Entwicklung deutlich festgestellt war, hatte doch für diese Reorga-
nisation des Staates selbst bis jetzt nur provisorische Lösungen ge-
funden; weder die gracchische noch die sullanische Constituirung
der Gemeinde trugen einen abschliessenden Charakter. Das aber
war das Bitterste dieser bittern Zeit, dass dem klarsehenden Patrio-
ten selbst das Hoffen und das Streben sich versagten. Die Sonne
der Freiheit mit all ihrer unendlichen Segensfülle ging unaufhalt-
sam unter und die Dämmerung senkte sich über die eben noch so
glänzende Welt. Es war keine zufällige Katastrophe, der Vater-
landsliebe und Genie hätten wehren können; es waren uralte so-
ciale Schäden, im letzten Kern der Ruin des Mittelstandes durch
das Sclavenproletariat, an denen das römische Gemeinwesen zu
Grunde ging. Auch der einsichtigste Staatsmann war in der Lage
des Arztes, dem es gleich peinlich ist die Agonie zu verlängern
und zu verkürzen. Die kühle Betrachtung konnte zwar sich
darüber nicht täuschen, dass Rom um so besser berathen war,
je rascher und durchgreifender ein Despot auftrat und alle Reste
der alten freiheitlichen Verfassung beseitigte; und der innere Vor-
zug, der unter den gegebenen Verhältnissen der Monarchie gegen-
über jeder Oligarchie zukam, lag wesentlich eben darin, dass ein
solcher energisch nivellirender Despotismus von einer collegiali-
schen Behörde nimmermehr geübt werden konnte. Allein diese
kühlen Erwägungen machen keine Geschichte; nicht der Ver-
stand, nur die Leidenschaft baut für die Zukunft. Man musste
eben abwarten, wie lange das Gemeinwesen fortfahren werde
nicht leben und nicht sterben zu können und ob es schliesslich
an einer mächtigen Natur seinen Meister und Neuschöpfer finden
oder in Elend und Schwäche zusammenstürzen werde.

Es bleibt noch übrig die ökonomische und sociale Seite
dieses Verlaufs hervorzuheben, insoweit dies nicht bereits frü-
her geschehen ist. -- Der Staatshaushalt ruhte seit dem An-
fang dieser Epoche wesentlich auf den Einkünften aus den Pro-
vinzen. In der römischen Landschaft ward die Grundsteuer, die
stets nur neben den ordentlichen Domanial- und anderen Ge-
fällen als ausserordentliche Abgabe vorgekommen war, seit der

VIERTES BUCH. KAPITEL XI.
zum Despotismus führenden Wege; der Grundgedanke des freien
Gemeinwesens, daſs die ringenden Mächte sich gegenseitig be-
schränken auf mittelbaren Zwang, ging allen Parteien verloren und
hüben und drüben fingen sie an zuerst mit Knitteln, bald auch mit
dem Schwert um die Herrschaft zu fechten. Die Revolution, inso-
fern zu Ende, als die alte Verfassung definitiv und von beiden Seiten
als beseitigt anerkannt und Ziel und Weg der neuen politischen
Entwicklung deutlich festgestellt war, hatte doch für diese Reorga-
nisation des Staates selbst bis jetzt nur provisorische Lösungen ge-
funden; weder die gracchische noch die sullanische Constituirung
der Gemeinde trugen einen abschlieſsenden Charakter. Das aber
war das Bitterste dieser bittern Zeit, daſs dem klarsehenden Patrio-
ten selbst das Hoffen und das Streben sich versagten. Die Sonne
der Freiheit mit all ihrer unendlichen Segensfülle ging unaufhalt-
sam unter und die Dämmerung senkte sich über die eben noch so
glänzende Welt. Es war keine zufällige Katastrophe, der Vater-
landsliebe und Genie hätten wehren können; es waren uralte so-
ciale Schäden, im letzten Kern der Ruin des Mittelstandes durch
das Sclavenproletariat, an denen das römische Gemeinwesen zu
Grunde ging. Auch der einsichtigste Staatsmann war in der Lage
des Arztes, dem es gleich peinlich ist die Agonie zu verlängern
und zu verkürzen. Die kühle Betrachtung konnte zwar sich
darüber nicht täuschen, daſs Rom um so besser berathen war,
je rascher und durchgreifender ein Despot auftrat und alle Reste
der alten freiheitlichen Verfassung beseitigte; und der innere Vor-
zug, der unter den gegebenen Verhältnissen der Monarchie gegen-
über jeder Oligarchie zukam, lag wesentlich eben darin, daſs ein
solcher energisch nivellirender Despotismus von einer collegiali-
schen Behörde nimmermehr geübt werden konnte. Allein diese
kühlen Erwägungen machen keine Geschichte; nicht der Ver-
stand, nur die Leidenschaft baut für die Zukunft. Man muſste
eben abwarten, wie lange das Gemeinwesen fortfahren werde
nicht leben und nicht sterben zu können und ob es schlieſslich
an einer mächtigen Natur seinen Meister und Neuschöpfer finden
oder in Elend und Schwäche zusammenstürzen werde.

Es bleibt noch übrig die ökonomische und sociale Seite
dieses Verlaufs hervorzuheben, insoweit dies nicht bereits frü-
her geschehen ist. — Der Staatshaushalt ruhte seit dem An-
fang dieser Epoche wesentlich auf den Einkünften aus den Pro-
vinzen. In der römischen Landschaft ward die Grundsteuer, die
stets nur neben den ordentlichen Domanial- und anderen Ge-
fällen als auſserordentliche Abgabe vorgekommen war, seit der

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[362/0372] VIERTES BUCH. KAPITEL XI. zum Despotismus führenden Wege; der Grundgedanke des freien Gemeinwesens, daſs die ringenden Mächte sich gegenseitig be- schränken auf mittelbaren Zwang, ging allen Parteien verloren und hüben und drüben fingen sie an zuerst mit Knitteln, bald auch mit dem Schwert um die Herrschaft zu fechten. Die Revolution, inso- fern zu Ende, als die alte Verfassung definitiv und von beiden Seiten als beseitigt anerkannt und Ziel und Weg der neuen politischen Entwicklung deutlich festgestellt war, hatte doch für diese Reorga- nisation des Staates selbst bis jetzt nur provisorische Lösungen ge- funden; weder die gracchische noch die sullanische Constituirung der Gemeinde trugen einen abschlieſsenden Charakter. Das aber war das Bitterste dieser bittern Zeit, daſs dem klarsehenden Patrio- ten selbst das Hoffen und das Streben sich versagten. Die Sonne der Freiheit mit all ihrer unendlichen Segensfülle ging unaufhalt- sam unter und die Dämmerung senkte sich über die eben noch so glänzende Welt. Es war keine zufällige Katastrophe, der Vater- landsliebe und Genie hätten wehren können; es waren uralte so- ciale Schäden, im letzten Kern der Ruin des Mittelstandes durch das Sclavenproletariat, an denen das römische Gemeinwesen zu Grunde ging. Auch der einsichtigste Staatsmann war in der Lage des Arztes, dem es gleich peinlich ist die Agonie zu verlängern und zu verkürzen. Die kühle Betrachtung konnte zwar sich darüber nicht täuschen, daſs Rom um so besser berathen war, je rascher und durchgreifender ein Despot auftrat und alle Reste der alten freiheitlichen Verfassung beseitigte; und der innere Vor- zug, der unter den gegebenen Verhältnissen der Monarchie gegen- über jeder Oligarchie zukam, lag wesentlich eben darin, daſs ein solcher energisch nivellirender Despotismus von einer collegiali- schen Behörde nimmermehr geübt werden konnte. Allein diese kühlen Erwägungen machen keine Geschichte; nicht der Ver- stand, nur die Leidenschaft baut für die Zukunft. Man muſste eben abwarten, wie lange das Gemeinwesen fortfahren werde nicht leben und nicht sterben zu können und ob es schlieſslich an einer mächtigen Natur seinen Meister und Neuschöpfer finden oder in Elend und Schwäche zusammenstürzen werde. Es bleibt noch übrig die ökonomische und sociale Seite dieses Verlaufs hervorzuheben, insoweit dies nicht bereits frü- her geschehen ist. — Der Staatshaushalt ruhte seit dem An- fang dieser Epoche wesentlich auf den Einkünften aus den Pro- vinzen. In der römischen Landschaft ward die Grundsteuer, die stets nur neben den ordentlichen Domanial- und anderen Ge- fällen als auſserordentliche Abgabe vorgekommen war, seit der

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 362. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/372>, abgerufen am 17.05.2024.