Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

VIERTES BUCH. KAPITEL X.
Baumeister, wenn ein Jahrzehend später die Fluthen den naturwi-
drigen und von den Geschützten selbst nicht vertheidigten Bau ver-
schlangen. Der Staatsmann wird nicht der Hinweisung auf höchst
löbliche Einzelreformen, zum Beispiel des asiatischen Steuerwe-
sens und der Criminaljustiz, bedürfen, um Sullas ephemere Re-
stauration nicht geringschätzig abzufertigen, sondern wird darin
eine richtig entworfene und unter unsäglichen Schwierigkeiten
im Grossen und Ganzen consequent durchgeführte Reorganisa-
tion des römischen Gemeinwesens bewundern und den Retter
Roms, den Vollender der italischen Einheit unter, aber doch auch
neben Cromwell stellen. Freilich ist es nicht bloss der Staats-
mann, der im Todtengericht Stimme hat; und der Mensch wird
in jene Bewunderung nicht einstimmen. Sulla hat seine Gewalt-
herrschaft nicht bloss mit rücksichtsloser Gewaltsamkeit begrün-
det, sondern dabei auch mit einer gewissen cynischen Offenheit
die Dinge beim rechten Namen genannt, durch die er es unwie-
derbringlich verdorben hat mit der grossen Masse der Schwach-
herzigen, die mehr vor dem Namen als vor der Sache sich ent-
setzte, durch die er aber allerdings auch dem sittlichen Urtheil
wegen der Kühle und Klarheit seines Frevels noch empören-
der erscheint als der leidenschaftliche Verbrecher. Aechtungen,
Belohnungen der Henker, Güterconfiscationen, kurzer Prozess
gegen unbotmässige Offiziere waren hundertmal vorgekommen
und die stumpfe politische Sittlichkeit der antiken Civilisation
hatte für diese Dinge nur lauen Tadel; aber das freilich war un-
erhört, dass die Namen der vogelfreien Männer öffentlich ange-
schlagen und die Köpfe öffentlich ausgestellt wurden, dass den
Banditen eine feste Summe ausgesetzt und dieselbe in die öffent-
lichen Kassebücher ordnungsmässig eingetragen ward, dass das
eingezogene Gut gleich der feindlichen Beute auf offenem Markt
unter den Hammer kam, dass der Feldherr den widerspenstigen
Offizier geradezu niedermachen liess und vor allem Volk sich
zu der That bekannte. Diese öffentliche Verhöhnung der Hu-
manität ist auch ein politischer Fehler, durch den Sulla nicht
wenig dazu beigetragen hat, spätere revolutionäre Krisen im
Voraus zu vergiften, und noch jetzt ruht desswegen, und mit
Recht, ein finstrer Schatten auf dem Andenken des Urhebers
der Proscriptionen. -- Mit Recht darf man ferner tadeln, dass
Sulla, während er in allen wichtigen Fragen rücksichtslos
durchgriff, doch in untergeordneten, namentlich in Personen-
fragen sehr häufig von seinem sanguinischen Temperament
sich beherrschen liess und nach Neigung oder Abneigung ver-

VIERTES BUCH. KAPITEL X.
Baumeister, wenn ein Jahrzehend später die Fluthen den naturwi-
drigen und von den Geschützten selbst nicht vertheidigten Bau ver-
schlangen. Der Staatsmann wird nicht der Hinweisung auf höchst
löbliche Einzelreformen, zum Beispiel des asiatischen Steuerwe-
sens und der Criminaljustiz, bedürfen, um Sullas ephemere Re-
stauration nicht geringschätzig abzufertigen, sondern wird darin
eine richtig entworfene und unter unsäglichen Schwierigkeiten
im Groſsen und Ganzen consequent durchgeführte Reorganisa-
tion des römischen Gemeinwesens bewundern und den Retter
Roms, den Vollender der italischen Einheit unter, aber doch auch
neben Cromwell stellen. Freilich ist es nicht bloſs der Staats-
mann, der im Todtengericht Stimme hat; und der Mensch wird
in jene Bewunderung nicht einstimmen. Sulla hat seine Gewalt-
herrschaft nicht bloſs mit rücksichtsloser Gewaltsamkeit begrün-
det, sondern dabei auch mit einer gewissen cynischen Offenheit
die Dinge beim rechten Namen genannt, durch die er es unwie-
derbringlich verdorben hat mit der groſsen Masse der Schwach-
herzigen, die mehr vor dem Namen als vor der Sache sich ent-
setzte, durch die er aber allerdings auch dem sittlichen Urtheil
wegen der Kühle und Klarheit seines Frevels noch empören-
der erscheint als der leidenschaftliche Verbrecher. Aechtungen,
Belohnungen der Henker, Güterconfiscationen, kurzer Prozeſs
gegen unbotmäſsige Offiziere waren hundertmal vorgekommen
und die stumpfe politische Sittlichkeit der antiken Civilisation
hatte für diese Dinge nur lauen Tadel; aber das freilich war un-
erhört, daſs die Namen der vogelfreien Männer öffentlich ange-
schlagen und die Köpfe öffentlich ausgestellt wurden, daſs den
Banditen eine feste Summe ausgesetzt und dieselbe in die öffent-
lichen Kassebücher ordnungsmäſsig eingetragen ward, daſs das
eingezogene Gut gleich der feindlichen Beute auf offenem Markt
unter den Hammer kam, daſs der Feldherr den widerspenstigen
Offizier geradezu niedermachen lieſs und vor allem Volk sich
zu der That bekannte. Diese öffentliche Verhöhnung der Hu-
manität ist auch ein politischer Fehler, durch den Sulla nicht
wenig dazu beigetragen hat, spätere revolutionäre Krisen im
Voraus zu vergiften, und noch jetzt ruht deſswegen, und mit
Recht, ein finstrer Schatten auf dem Andenken des Urhebers
der Proscriptionen. — Mit Recht darf man ferner tadeln, daſs
Sulla, während er in allen wichtigen Fragen rücksichtslos
durchgriff, doch in untergeordneten, namentlich in Personen-
fragen sehr häufig von seinem sanguinischen Temperament
sich beherrschen lieſs und nach Neigung oder Abneigung ver-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0366" n="356"/><fw place="top" type="header">VIERTES BUCH. KAPITEL X.</fw><lb/>
Baumeister, wenn ein Jahrzehend später die Fluthen den naturwi-<lb/>
drigen und von den Geschützten selbst nicht vertheidigten Bau ver-<lb/>
schlangen. Der Staatsmann wird nicht der Hinweisung auf höchst<lb/>
löbliche Einzelreformen, zum Beispiel des asiatischen Steuerwe-<lb/>
sens und der Criminaljustiz, bedürfen, um Sullas ephemere Re-<lb/>
stauration nicht geringschätzig abzufertigen, sondern wird darin<lb/>
eine richtig entworfene und unter unsäglichen Schwierigkeiten<lb/>
im Gro&#x017F;sen und Ganzen consequent durchgeführte Reorganisa-<lb/>
tion des römischen Gemeinwesens bewundern und den Retter<lb/>
Roms, den Vollender der italischen Einheit unter, aber doch auch<lb/>
neben Cromwell stellen. Freilich ist es nicht blo&#x017F;s der Staats-<lb/>
mann, der im Todtengericht Stimme hat; und der Mensch wird<lb/>
in jene Bewunderung nicht einstimmen. Sulla hat seine Gewalt-<lb/>
herrschaft nicht blo&#x017F;s mit rücksichtsloser Gewaltsamkeit begrün-<lb/>
det, sondern dabei auch mit einer gewissen cynischen Offenheit<lb/>
die Dinge beim rechten Namen genannt, durch die er es unwie-<lb/>
derbringlich verdorben hat mit der gro&#x017F;sen Masse der Schwach-<lb/>
herzigen, die mehr vor dem Namen als vor der Sache sich ent-<lb/>
setzte, durch die er aber allerdings auch dem sittlichen Urtheil<lb/>
wegen der Kühle und Klarheit seines Frevels noch empören-<lb/>
der erscheint als der leidenschaftliche Verbrecher. Aechtungen,<lb/>
Belohnungen der Henker, Güterconfiscationen, kurzer Proze&#x017F;s<lb/>
gegen unbotmä&#x017F;sige Offiziere waren hundertmal vorgekommen<lb/>
und die stumpfe politische Sittlichkeit der antiken Civilisation<lb/>
hatte für diese Dinge nur lauen Tadel; aber das freilich war un-<lb/>
erhört, da&#x017F;s die Namen der vogelfreien Männer öffentlich ange-<lb/>
schlagen und die Köpfe öffentlich ausgestellt wurden, da&#x017F;s den<lb/>
Banditen eine feste Summe ausgesetzt und dieselbe in die öffent-<lb/>
lichen Kassebücher ordnungsmä&#x017F;sig eingetragen ward, da&#x017F;s das<lb/>
eingezogene Gut gleich der feindlichen Beute auf offenem Markt<lb/>
unter den Hammer kam, da&#x017F;s der Feldherr den widerspenstigen<lb/>
Offizier geradezu niedermachen lie&#x017F;s und vor allem Volk sich<lb/>
zu der That bekannte. Diese öffentliche Verhöhnung der Hu-<lb/>
manität ist auch ein politischer Fehler, durch den Sulla nicht<lb/>
wenig dazu beigetragen hat, spätere revolutionäre Krisen im<lb/>
Voraus zu vergiften, und noch jetzt ruht de&#x017F;swegen, und mit<lb/>
Recht, ein finstrer Schatten auf dem Andenken des Urhebers<lb/>
der Proscriptionen. &#x2014; Mit Recht darf man ferner tadeln, da&#x017F;s<lb/>
Sulla, während er in allen wichtigen Fragen rücksichtslos<lb/>
durchgriff, doch in untergeordneten, namentlich in Personen-<lb/>
fragen sehr häufig von seinem sanguinischen Temperament<lb/>
sich beherrschen lie&#x017F;s und nach Neigung oder Abneigung ver-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[356/0366] VIERTES BUCH. KAPITEL X. Baumeister, wenn ein Jahrzehend später die Fluthen den naturwi- drigen und von den Geschützten selbst nicht vertheidigten Bau ver- schlangen. Der Staatsmann wird nicht der Hinweisung auf höchst löbliche Einzelreformen, zum Beispiel des asiatischen Steuerwe- sens und der Criminaljustiz, bedürfen, um Sullas ephemere Re- stauration nicht geringschätzig abzufertigen, sondern wird darin eine richtig entworfene und unter unsäglichen Schwierigkeiten im Groſsen und Ganzen consequent durchgeführte Reorganisa- tion des römischen Gemeinwesens bewundern und den Retter Roms, den Vollender der italischen Einheit unter, aber doch auch neben Cromwell stellen. Freilich ist es nicht bloſs der Staats- mann, der im Todtengericht Stimme hat; und der Mensch wird in jene Bewunderung nicht einstimmen. Sulla hat seine Gewalt- herrschaft nicht bloſs mit rücksichtsloser Gewaltsamkeit begrün- det, sondern dabei auch mit einer gewissen cynischen Offenheit die Dinge beim rechten Namen genannt, durch die er es unwie- derbringlich verdorben hat mit der groſsen Masse der Schwach- herzigen, die mehr vor dem Namen als vor der Sache sich ent- setzte, durch die er aber allerdings auch dem sittlichen Urtheil wegen der Kühle und Klarheit seines Frevels noch empören- der erscheint als der leidenschaftliche Verbrecher. Aechtungen, Belohnungen der Henker, Güterconfiscationen, kurzer Prozeſs gegen unbotmäſsige Offiziere waren hundertmal vorgekommen und die stumpfe politische Sittlichkeit der antiken Civilisation hatte für diese Dinge nur lauen Tadel; aber das freilich war un- erhört, daſs die Namen der vogelfreien Männer öffentlich ange- schlagen und die Köpfe öffentlich ausgestellt wurden, daſs den Banditen eine feste Summe ausgesetzt und dieselbe in die öffent- lichen Kassebücher ordnungsmäſsig eingetragen ward, daſs das eingezogene Gut gleich der feindlichen Beute auf offenem Markt unter den Hammer kam, daſs der Feldherr den widerspenstigen Offizier geradezu niedermachen lieſs und vor allem Volk sich zu der That bekannte. Diese öffentliche Verhöhnung der Hu- manität ist auch ein politischer Fehler, durch den Sulla nicht wenig dazu beigetragen hat, spätere revolutionäre Krisen im Voraus zu vergiften, und noch jetzt ruht deſswegen, und mit Recht, ein finstrer Schatten auf dem Andenken des Urhebers der Proscriptionen. — Mit Recht darf man ferner tadeln, daſs Sulla, während er in allen wichtigen Fragen rücksichtslos durchgriff, doch in untergeordneten, namentlich in Personen- fragen sehr häufig von seinem sanguinischen Temperament sich beherrschen lieſs und nach Neigung oder Abneigung ver-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/366
Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 356. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/366>, abgerufen am 24.11.2024.