Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.DIE SULLANISCHE VERFASSUNG. fuhr. Er hat, wo er wirklich einmal Hass empfand, wie gegen dieMarier, ihm zügellos auch gegen Unschuldige den Lauf gelassen und von sich selbst gerühmt, dass Niemand besser als er Freun- den und Feinden vergolten habe. Er verschmähte es nicht, bei Gelegenheit seiner Machtstellung ein kolossales Vermögen zu sam- meln. Der erste absolute Monarch des römischen Staats bewährte er den Kernspruch des Absolutismus, dass den Fürsten die Ge- setze nicht binden, sogleich an den von ihm selbst erlassenen Ehe- bruchs- und Verschwendungsgesetzen. Verderblicher aber als diese Nachsicht gegen sich selbst ward dem Staat sein lässliches Ver- fahren gegen seine Partei und seinen Kreis. Schon seine schlaffe Soldatenzucht, obwohl sie zum Theil durch politische Nothwen- digkeit geboten war, lässt sich hieher rechnen; viel schädlicher aber noch war die Nachsicht gegen seinen politischen Anhang. Es ist kaum glaublich, was er gelegentlich hinnahm; so zum Bei- spiel ward dem Lucius Murena für die durch die ärgste Verkehrt- heit und Unbotmässigkeit erlittenen Niederlagen (S. 320) nicht bloss die Strafe erlassen, sondern auch der Triumph zugestan- den; so wurde Gnaeus Pompeius, der sich noch ärger vergangen hatte, noch verschwenderischer von Sulla geehrt (S. 319. 348). Die Ausdehnung und die ärgsten Frevel der Aechtungen und Confiscationen sind wahrscheinlich weniger Sullas unmittelbares Werk, als aus diesem freilich in seiner Stellung kaum verzeih- lichen Indifferentismus entstanden. Dass Sulla bei seinem inner- lich energischen und doch dabei gleichgültigen Wesen sehr ver- schieden, bald unglaublich nachsichtig, bald unerbittlich streng auftrat, ist begreiflich. Die tausendmal wiederholte Meinung, dass er vor seiner Regentschaft ein guter milder Mann, als Regent ein blutdürstiger Wütherich gewesen sei, richtet sich selbst; wenn er als Regent das Gegentheil der früheren Gelindigkeit zeigte, so wird man vielmehr sagen müssen, dass er mit demselben nach- lässigen Gleichmuth strafte, mit dem er verzieh. Diese halb iro- nische Leichtfertigkeit geht überhaupt durch sein ganzes politi- sches Thun. Es ist immer, als sei dem Sieger, eben wie es ihm gefiel sein Verdienst um den Sieg Glück zu schelten, auch der Sieg selber nichts werth; als habe er eine halbe Empfindung von der Nichtigkeit und Vergänglichkeit des eigenen Werkes und be- handle die Reorganisation des Staates nicht wie der Hausherr, der sein zerrüttetes Gewese und Gesinde in Ordnung bringt, son- dern wie der zeitweilige Geschäftsführer, dem am Ende auch die leidliche Uebertünchung der Schäden genügt. Wenn Mangel an politischem Egoismus ein Lob ist, so verdient es Sulla neben DIE SULLANISCHE VERFASSUNG. fuhr. Er hat, wo er wirklich einmal Haſs empfand, wie gegen dieMarier, ihm zügellos auch gegen Unschuldige den Lauf gelassen und von sich selbst gerühmt, daſs Niemand besser als er Freun- den und Feinden vergolten habe. Er verschmähte es nicht, bei Gelegenheit seiner Machtstellung ein kolossales Vermögen zu sam- meln. Der erste absolute Monarch des römischen Staats bewährte er den Kernspruch des Absolutismus, daſs den Fürsten die Ge- setze nicht binden, sogleich an den von ihm selbst erlassenen Ehe- bruchs- und Verschwendungsgesetzen. Verderblicher aber als diese Nachsicht gegen sich selbst ward dem Staat sein läſsliches Ver- fahren gegen seine Partei und seinen Kreis. Schon seine schlaffe Soldatenzucht, obwohl sie zum Theil durch politische Nothwen- digkeit geboten war, läſst sich hieher rechnen; viel schädlicher aber noch war die Nachsicht gegen seinen politischen Anhang. Es ist kaum glaublich, was er gelegentlich hinnahm; so zum Bei- spiel ward dem Lucius Murena für die durch die ärgste Verkehrt- heit und Unbotmäſsigkeit erlittenen Niederlagen (S. 320) nicht bloſs die Strafe erlassen, sondern auch der Triumph zugestan- den; so wurde Gnaeus Pompeius, der sich noch ärger vergangen hatte, noch verschwenderischer von Sulla geehrt (S. 319. 348). Die Ausdehnung und die ärgsten Frevel der Aechtungen und Confiscationen sind wahrscheinlich weniger Sullas unmittelbares Werk, als aus diesem freilich in seiner Stellung kaum verzeih- lichen Indifferentismus entstanden. Daſs Sulla bei seinem inner- lich energischen und doch dabei gleichgültigen Wesen sehr ver- schieden, bald unglaublich nachsichtig, bald unerbittlich streng auftrat, ist begreiflich. Die tausendmal wiederholte Meinung, daſs er vor seiner Regentschaft ein guter milder Mann, als Regent ein blutdürstiger Wütherich gewesen sei, richtet sich selbst; wenn er als Regent das Gegentheil der früheren Gelindigkeit zeigte, so wird man vielmehr sagen müssen, daſs er mit demselben nach- lässigen Gleichmuth strafte, mit dem er verzieh. Diese halb iro- nische Leichtfertigkeit geht überhaupt durch sein ganzes politi- sches Thun. Es ist immer, als sei dem Sieger, eben wie es ihm gefiel sein Verdienst um den Sieg Glück zu schelten, auch der Sieg selber nichts werth; als habe er eine halbe Empfindung von der Nichtigkeit und Vergänglichkeit des eigenen Werkes und be- handle die Reorganisation des Staates nicht wie der Hausherr, der sein zerrüttetes Gewese und Gesinde in Ordnung bringt, son- dern wie der zeitweilige Geschäftsführer, dem am Ende auch die leidliche Uebertünchung der Schäden genügt. 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Schon seine schlaffe<lb/> Soldatenzucht, obwohl sie zum Theil durch politische Nothwen-<lb/> digkeit geboten war, läſst sich hieher rechnen; viel schädlicher<lb/> aber noch war die Nachsicht gegen seinen politischen Anhang.<lb/> Es ist kaum glaublich, was er gelegentlich hinnahm; so zum Bei-<lb/> spiel ward dem Lucius Murena für die durch die ärgste Verkehrt-<lb/> heit und Unbotmäſsigkeit erlittenen Niederlagen (S. 320) nicht<lb/> bloſs die Strafe erlassen, sondern auch der Triumph zugestan-<lb/> den; so wurde Gnaeus Pompeius, der sich noch ärger vergangen<lb/> hatte, noch verschwenderischer von Sulla geehrt (S. 319. 348).<lb/> Die Ausdehnung und die ärgsten Frevel der Aechtungen und<lb/> Confiscationen sind wahrscheinlich weniger Sullas unmittelbares<lb/> Werk, als aus diesem freilich in seiner Stellung kaum verzeih-<lb/> lichen Indifferentismus entstanden. 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DIE SULLANISCHE VERFASSUNG.
fuhr. Er hat, wo er wirklich einmal Haſs empfand, wie gegen die
Marier, ihm zügellos auch gegen Unschuldige den Lauf gelassen
und von sich selbst gerühmt, daſs Niemand besser als er Freun-
den und Feinden vergolten habe. Er verschmähte es nicht, bei
Gelegenheit seiner Machtstellung ein kolossales Vermögen zu sam-
meln. Der erste absolute Monarch des römischen Staats bewährte
er den Kernspruch des Absolutismus, daſs den Fürsten die Ge-
setze nicht binden, sogleich an den von ihm selbst erlassenen Ehe-
bruchs- und Verschwendungsgesetzen. Verderblicher aber als diese
Nachsicht gegen sich selbst ward dem Staat sein läſsliches Ver-
fahren gegen seine Partei und seinen Kreis. Schon seine schlaffe
Soldatenzucht, obwohl sie zum Theil durch politische Nothwen-
digkeit geboten war, läſst sich hieher rechnen; viel schädlicher
aber noch war die Nachsicht gegen seinen politischen Anhang.
Es ist kaum glaublich, was er gelegentlich hinnahm; so zum Bei-
spiel ward dem Lucius Murena für die durch die ärgste Verkehrt-
heit und Unbotmäſsigkeit erlittenen Niederlagen (S. 320) nicht
bloſs die Strafe erlassen, sondern auch der Triumph zugestan-
den; so wurde Gnaeus Pompeius, der sich noch ärger vergangen
hatte, noch verschwenderischer von Sulla geehrt (S. 319. 348).
Die Ausdehnung und die ärgsten Frevel der Aechtungen und
Confiscationen sind wahrscheinlich weniger Sullas unmittelbares
Werk, als aus diesem freilich in seiner Stellung kaum verzeih-
lichen Indifferentismus entstanden. Daſs Sulla bei seinem inner-
lich energischen und doch dabei gleichgültigen Wesen sehr ver-
schieden, bald unglaublich nachsichtig, bald unerbittlich streng
auftrat, ist begreiflich. Die tausendmal wiederholte Meinung, daſs
er vor seiner Regentschaft ein guter milder Mann, als Regent ein
blutdürstiger Wütherich gewesen sei, richtet sich selbst; wenn
er als Regent das Gegentheil der früheren Gelindigkeit zeigte, so
wird man vielmehr sagen müssen, daſs er mit demselben nach-
lässigen Gleichmuth strafte, mit dem er verzieh. Diese halb iro-
nische Leichtfertigkeit geht überhaupt durch sein ganzes politi-
sches Thun. Es ist immer, als sei dem Sieger, eben wie es ihm
gefiel sein Verdienst um den Sieg Glück zu schelten, auch der
Sieg selber nichts werth; als habe er eine halbe Empfindung von
der Nichtigkeit und Vergänglichkeit des eigenen Werkes und be-
handle die Reorganisation des Staates nicht wie der Hausherr,
der sein zerrüttetes Gewese und Gesinde in Ordnung bringt, son-
dern wie der zeitweilige Geschäftsführer, dem am Ende auch die
leidliche Uebertünchung der Schäden genügt. Wenn Mangel an
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