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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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DIE SULLANISCHE VERFASSUNG.
wieder hat eine schlaffe und in stetigem Sinken begriffene Aristo-
kratie, wie die römische damals war, einen Vormund gefunden,
wie Sulla einer war, der ohne jede Rücksicht auf eigenen Macht-
gewinn für sie den Degen des Feldherrn und den Griffel des Ge-
setzgebers zn führen willig und fähig war. Aber nicht bloss die
Aristokratie, das gesammte Land ward ihm mehr schuldig, als
die Nachwelt gern sich eingestand. Sulla hat die italische Revo-
lution, in soweit sie beruhte auf der Zurücksetzung einzelner
minder berechtigter gegen andere besser berechtigte Districte,
definitiv geschlossen und ist, indem er sich und seine Partei
zwang die Gleichberechtigung aller Italiker vor dem Gesetz anzu-
erkennen, der wahre und letzte Urheber der vollen staatlichen
Einheit Italiens geworden -- ein Gewinn, der mit endloser Noth
und Strömen von Blut dennoch nicht zu theuer erkauft war.
Aber Sulla hat noch mehr gethan. Seit länger als einem halben
Jahrhundert war Roms Macht im Sinken und die Anarchie da-
selbst in Permanenz; denn das Regiment des Senats mit der
gracchischen Verfassung war Anarchie und gar das Regiment
Cinnas und Carbos eine noch weit ärgere Meisterlosigkeit, deren
grauenvolles Bild sich am deutlichsten in jenem eben so verwirr-
ten wie naturwidrigen Bündniss mit den Samniten wiederspiegelt,
der unklarste, unerträglichste, heilloseste aller denkbaren politi-
schen Zustände, in der That der Anfang des Endes. Es ist nicht
zu viel gesagt, wenn man behauptet, dass das lange unterhöhlte
römische Gemeinwesen nothwendig hätte zusammenstürzen müs-
sen, wenn nicht durch die Intervention in Asien und in Italien
Sulla die Existenz desselben gerettet hätte. Man kann darüber
streiten, wie gut oder wie schlecht das von Sulla aufgeführte Ge-
bäude angelegt war; aber es ist eine arge Gedankenlosigkeit dar-
über zu übersehen, dass ohne Sulla höchst wahrscheinlich der
Bauplatz selbst von den Fluthen wäre fortgerissen worden. Was
nun jenes Gebäude selbst anlangt, so hat Sullas Verfassung frei-
lich so wenig Bestand gehabt wie die Cromwells und es war nicht
schwer zu sehen, dass sein Bau kein solider war. Aber auch
dieser Tadel trifft zunächst nicht Sulla. Der Staatsmann baut
nur was er in dem ihm angewiesenen Kreise bauen kann. Das
Mögliche hat Sulla gethan um die alte Verfassung zu retten; und
geahnt hat er es selbst, dass er wohl eine Festung, aber keine
Garnison zu schaffen vermöge und die grenzenlose Nichtigkeit
der Oligarchen jeden Versuch die Oligarchie zu retten vergeblich
machen werde. Seine Verfassung glich einem in das brandende
Meer hineingeworfenen Nothdamm; es ist kein Vorwurf für den

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DIE SULLANISCHE VERFASSUNG.
wieder hat eine schlaffe und in stetigem Sinken begriffene Aristo-
kratie, wie die römische damals war, einen Vormund gefunden,
wie Sulla einer war, der ohne jede Rücksicht auf eigenen Macht-
gewinn für sie den Degen des Feldherrn und den Griffel des Ge-
setzgebers zn führen willig und fähig war. Aber nicht bloſs die
Aristokratie, das gesammte Land ward ihm mehr schuldig, als
die Nachwelt gern sich eingestand. Sulla hat die italische Revo-
lution, in soweit sie beruhte auf der Zurücksetzung einzelner
minder berechtigter gegen andere besser berechtigte Districte,
definitiv geschlossen und ist, indem er sich und seine Partei
zwang die Gleichberechtigung aller Italiker vor dem Gesetz anzu-
erkennen, der wahre und letzte Urheber der vollen staatlichen
Einheit Italiens geworden — ein Gewinn, der mit endloser Noth
und Strömen von Blut dennoch nicht zu theuer erkauft war.
Aber Sulla hat noch mehr gethan. Seit länger als einem halben
Jahrhundert war Roms Macht im Sinken und die Anarchie da-
selbst in Permanenz; denn das Regiment des Senats mit der
gracchischen Verfassung war Anarchie und gar das Regiment
Cinnas und Carbos eine noch weit ärgere Meisterlosigkeit, deren
grauenvolles Bild sich am deutlichsten in jenem eben so verwirr-
ten wie naturwidrigen Bündniſs mit den Samniten wiederspiegelt,
der unklarste, unerträglichste, heilloseste aller denkbaren politi-
schen Zustände, in der That der Anfang des Endes. Es ist nicht
zu viel gesagt, wenn man behauptet, daſs das lange unterhöhlte
römische Gemeinwesen nothwendig hätte zusammenstürzen müs-
sen, wenn nicht durch die Intervention in Asien und in Italien
Sulla die Existenz desselben gerettet hätte. Man kann darüber
streiten, wie gut oder wie schlecht das von Sulla aufgeführte Ge-
bäude angelegt war; aber es ist eine arge Gedankenlosigkeit dar-
über zu übersehen, daſs ohne Sulla höchst wahrscheinlich der
Bauplatz selbst von den Fluthen wäre fortgerissen worden. Was
nun jenes Gebäude selbst anlangt, so hat Sullas Verfassung frei-
lich so wenig Bestand gehabt wie die Cromwells und es war nicht
schwer zu sehen, daſs sein Bau kein solider war. Aber auch
dieser Tadel trifft zunächst nicht Sulla. Der Staatsmann baut
nur was er in dem ihm angewiesenen Kreise bauen kann. Das
Mögliche hat Sulla gethan um die alte Verfassung zu retten; und
geahnt hat er es selbst, daſs er wohl eine Festung, aber keine
Garnison zu schaffen vermöge und die grenzenlose Nichtigkeit
der Oligarchen jeden Versuch die Oligarchie zu retten vergeblich
machen werde. Seine Verfassung glich einem in das brandende
Meer hineingeworfenen Nothdamm; es ist kein Vorwurf für den

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[355/0365] DIE SULLANISCHE VERFASSUNG. wieder hat eine schlaffe und in stetigem Sinken begriffene Aristo- kratie, wie die römische damals war, einen Vormund gefunden, wie Sulla einer war, der ohne jede Rücksicht auf eigenen Macht- gewinn für sie den Degen des Feldherrn und den Griffel des Ge- setzgebers zn führen willig und fähig war. Aber nicht bloſs die Aristokratie, das gesammte Land ward ihm mehr schuldig, als die Nachwelt gern sich eingestand. Sulla hat die italische Revo- lution, in soweit sie beruhte auf der Zurücksetzung einzelner minder berechtigter gegen andere besser berechtigte Districte, definitiv geschlossen und ist, indem er sich und seine Partei zwang die Gleichberechtigung aller Italiker vor dem Gesetz anzu- erkennen, der wahre und letzte Urheber der vollen staatlichen Einheit Italiens geworden — ein Gewinn, der mit endloser Noth und Strömen von Blut dennoch nicht zu theuer erkauft war. Aber Sulla hat noch mehr gethan. Seit länger als einem halben Jahrhundert war Roms Macht im Sinken und die Anarchie da- selbst in Permanenz; denn das Regiment des Senats mit der gracchischen Verfassung war Anarchie und gar das Regiment Cinnas und Carbos eine noch weit ärgere Meisterlosigkeit, deren grauenvolles Bild sich am deutlichsten in jenem eben so verwirr- ten wie naturwidrigen Bündniſs mit den Samniten wiederspiegelt, der unklarste, unerträglichste, heilloseste aller denkbaren politi- schen Zustände, in der That der Anfang des Endes. Es ist nicht zu viel gesagt, wenn man behauptet, daſs das lange unterhöhlte römische Gemeinwesen nothwendig hätte zusammenstürzen müs- sen, wenn nicht durch die Intervention in Asien und in Italien Sulla die Existenz desselben gerettet hätte. Man kann darüber streiten, wie gut oder wie schlecht das von Sulla aufgeführte Ge- bäude angelegt war; aber es ist eine arge Gedankenlosigkeit dar- über zu übersehen, daſs ohne Sulla höchst wahrscheinlich der Bauplatz selbst von den Fluthen wäre fortgerissen worden. Was nun jenes Gebäude selbst anlangt, so hat Sullas Verfassung frei- lich so wenig Bestand gehabt wie die Cromwells und es war nicht schwer zu sehen, daſs sein Bau kein solider war. Aber auch dieser Tadel trifft zunächst nicht Sulla. Der Staatsmann baut nur was er in dem ihm angewiesenen Kreise bauen kann. Das Mögliche hat Sulla gethan um die alte Verfassung zu retten; und geahnt hat er es selbst, daſs er wohl eine Festung, aber keine Garnison zu schaffen vermöge und die grenzenlose Nichtigkeit der Oligarchen jeden Versuch die Oligarchie zu retten vergeblich machen werde. Seine Verfassung glich einem in das brandende Meer hineingeworfenen Nothdamm; es ist kein Vorwurf für den 23*

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/365>, abgerufen am 24.11.2024.