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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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italischen Bundesgenossen sich abermals entspinne. Schon das
erste Schreiben, das Sulla an den Senat richtete, hatte nichts als
Recht und Gerechtigkeit gefordert und eine Schreckensherrschaft
ausdrücklich zurückgewiesen; im Einklang damit stellte er nun
allen denen, die noch jetzt von der revolutionären Regierung sich
lossagen würden, unbedingte Begnadigung in Aussicht und ver-
anlasste seine Soldaten Mann für Mann zu schwören, dass sie den
Italikern durchaus als Freunden und Mitbürgern begegnen wür-
den. Die bündigsten Erklärungen sicherten den Neubürgern die
von ihnen erworbenen politischen Rechte; so dass Carbo dess-
halb von jeder italischen Stadtgemeinde sich Geisseln wollte stel-
len lassen, was indess an dem Widerspruch des Senats scheiterte.
Die Hauptschwierigkeit der Lage Sullas bestand in der That darin,
dass bei der eingerissenen Wort- und Treulosigkeit die Neubür-
ger allen Grund hatten wenn nicht an seinen persönlichen Ab-
sichten, doch daran zu zweifeln, ob er es vermögen werde die
Senatsmajorität nach dem Siege zum Worthalten zu bestimmen.

So erschien Sulla im Frühling 671 mit seinen Legionen an
der italischen Küste. Die revolutionäre Regierung fand sich trotz
der vierjährigen Vorbereitungsfrist dennoch überrumpelt: der
Senat erklärte auf die Nachricht von der Landung das Vaterland
in Gefahr und übertrug den Consuln unbeschränkte Vollmacht;
aber das Heer befand sich noch bei Ariminum und in dem ganzen
südöstlichen Littoral stand kein Mann unter den Waffen. Gleich
die erste Stadt, bei der Sulla landete, die ansehnliche Neubürger-
gemeinde Brundisium, öffnete ohne Widerstand dem oligarchi-
schen General die Thore und dem gegebenen Beispiel folgte ganz
Messapien und Apulien. Die Armee marschirte durch diese Ge-
genden wie durch Freundesland und hielt, ihres Eides eingedenk,
durchgängig die strengste Mannszucht. Von allen Seiten strömten
die versprengten Reste der Optimatenpartei in das Lager Sullas.
Aus den Bergschluchten Liguriens, wohin er von Africa sich ge-
rettet hatte, kam Quintus Metellus und übernahm wieder, als Col-
lege Sullas, das im J. 667 ihm übertragene und von der Revolution
ihm aberkannte proconsularische Commando; ebenso erschien
von Africa her mit einer kleinen Schaar Bewaffneter Marcus Cras-
sus. Die meisten Optimaten freilich kamen als vornehme Emi-
granten mit grossen Ansprüchen und geringer Kampflust, so dass
sie von Sulla selbst bittere Worte zu hören bekamen über die
adlichen Herren, die zum Heil des Staates sich wollten retten
lassen und nicht einmal dazu zu bringen seien ihre Sclaven zu
bewaffnen. Wichtiger war es, dass schon Ueberläufer aus dem

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italischen Bundesgenossen sich abermals entspinne. Schon das
erste Schreiben, das Sulla an den Senat richtete, hatte nichts als
Recht und Gerechtigkeit gefordert und eine Schreckensherrschaft
ausdrücklich zurückgewiesen; im Einklang damit stellte er nun
allen denen, die noch jetzt von der revolutionären Regierung sich
lossagen würden, unbedingte Begnadigung in Aussicht und ver-
anlaſste seine Soldaten Mann für Mann zu schwören, daſs sie den
Italikern durchaus als Freunden und Mitbürgern begegnen wür-
den. Die bündigsten Erklärungen sicherten den Neubürgern die
von ihnen erworbenen politischen Rechte; so daſs Carbo deſs-
halb von jeder italischen Stadtgemeinde sich Geiſseln wollte stel-
len lassen, was indeſs an dem Widerspruch des Senats scheiterte.
Die Hauptschwierigkeit der Lage Sullas bestand in der That darin,
daſs bei der eingerissenen Wort- und Treulosigkeit die Neubür-
ger allen Grund hatten wenn nicht an seinen persönlichen Ab-
sichten, doch daran zu zweifeln, ob er es vermögen werde die
Senatsmajorität nach dem Siege zum Worthalten zu bestimmen.

So erschien Sulla im Frühling 671 mit seinen Legionen an
der italischen Küste. Die revolutionäre Regierung fand sich trotz
der vierjährigen Vorbereitungsfrist dennoch überrumpelt: der
Senat erklärte auf die Nachricht von der Landung das Vaterland
in Gefahr und übertrug den Consuln unbeschränkte Vollmacht;
aber das Heer befand sich noch bei Ariminum und in dem ganzen
südöstlichen Littoral stand kein Mann unter den Waffen. Gleich
die erste Stadt, bei der Sulla landete, die ansehnliche Neubürger-
gemeinde Brundisium, öffnete ohne Widerstand dem oligarchi-
schen General die Thore und dem gegebenen Beispiel folgte ganz
Messapien und Apulien. Die Armee marschirte durch diese Ge-
genden wie durch Freundesland und hielt, ihres Eides eingedenk,
durchgängig die strengste Mannszucht. Von allen Seiten strömten
die versprengten Reste der Optimatenpartei in das Lager Sullas.
Aus den Bergschluchten Liguriens, wohin er von Africa sich ge-
rettet hatte, kam Quintus Metellus und übernahm wieder, als Col-
lege Sullas, das im J. 667 ihm übertragene und von der Revolution
ihm aberkannte proconsularische Commando; ebenso erschien
von Africa her mit einer kleinen Schaar Bewaffneter Marcus Cras-
sus. Die meisten Optimaten freilich kamen als vornehme Emi-
granten mit groſsen Ansprüchen und geringer Kampflust, so daſs
sie von Sulla selbst bittere Worte zu hören bekamen über die
adlichen Herren, die zum Heil des Staates sich wollten retten
lassen und nicht einmal dazu zu bringen seien ihre Sclaven zu
bewaffnen. Wichtiger war es, daſs schon Ueberläufer aus dem

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[307/0317] CINNA UND SULLA. italischen Bundesgenossen sich abermals entspinne. Schon das erste Schreiben, das Sulla an den Senat richtete, hatte nichts als Recht und Gerechtigkeit gefordert und eine Schreckensherrschaft ausdrücklich zurückgewiesen; im Einklang damit stellte er nun allen denen, die noch jetzt von der revolutionären Regierung sich lossagen würden, unbedingte Begnadigung in Aussicht und ver- anlaſste seine Soldaten Mann für Mann zu schwören, daſs sie den Italikern durchaus als Freunden und Mitbürgern begegnen wür- den. Die bündigsten Erklärungen sicherten den Neubürgern die von ihnen erworbenen politischen Rechte; so daſs Carbo deſs- halb von jeder italischen Stadtgemeinde sich Geiſseln wollte stel- len lassen, was indeſs an dem Widerspruch des Senats scheiterte. Die Hauptschwierigkeit der Lage Sullas bestand in der That darin, daſs bei der eingerissenen Wort- und Treulosigkeit die Neubür- ger allen Grund hatten wenn nicht an seinen persönlichen Ab- sichten, doch daran zu zweifeln, ob er es vermögen werde die Senatsmajorität nach dem Siege zum Worthalten zu bestimmen. So erschien Sulla im Frühling 671 mit seinen Legionen an der italischen Küste. Die revolutionäre Regierung fand sich trotz der vierjährigen Vorbereitungsfrist dennoch überrumpelt: der Senat erklärte auf die Nachricht von der Landung das Vaterland in Gefahr und übertrug den Consuln unbeschränkte Vollmacht; aber das Heer befand sich noch bei Ariminum und in dem ganzen südöstlichen Littoral stand kein Mann unter den Waffen. Gleich die erste Stadt, bei der Sulla landete, die ansehnliche Neubürger- gemeinde Brundisium, öffnete ohne Widerstand dem oligarchi- schen General die Thore und dem gegebenen Beispiel folgte ganz Messapien und Apulien. Die Armee marschirte durch diese Ge- genden wie durch Freundesland und hielt, ihres Eides eingedenk, durchgängig die strengste Mannszucht. Von allen Seiten strömten die versprengten Reste der Optimatenpartei in das Lager Sullas. Aus den Bergschluchten Liguriens, wohin er von Africa sich ge- rettet hatte, kam Quintus Metellus und übernahm wieder, als Col- lege Sullas, das im J. 667 ihm übertragene und von der Revolution ihm aberkannte proconsularische Commando; ebenso erschien von Africa her mit einer kleinen Schaar Bewaffneter Marcus Cras- sus. Die meisten Optimaten freilich kamen als vornehme Emi- granten mit groſsen Ansprüchen und geringer Kampflust, so daſs sie von Sulla selbst bittere Worte zu hören bekamen über die adlichen Herren, die zum Heil des Staates sich wollten retten lassen und nicht einmal dazu zu bringen seien ihre Sclaven zu bewaffnen. Wichtiger war es, daſs schon Ueberläufer aus dem 20*

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/317>, abgerufen am 22.11.2024.