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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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VIERTES BUCH. KAPITEL IX.
nicht, aber noch weniger Sulla und eine oligarchische Restaura-
tion. -- Gegen diese italische Macht hatte Sulla nichts in die Wag-
schale zu legen als seine fünf Legionen, die auch mit Einrechnung
einiger in Makedonien und im Peloponnes aufgebotener Zuzüge
kaum auf 40000 Mann sich belaufen mochten. Allerdings hatte
dies Heer in siebenjährigen Kämpfen in Italien, Griechenland und
Asien des Politisirens sich entwöhnt und hing seinem Feldherrn,
der den Soldaten Alles, Schwelgerei, Bestialität, sogar Meuterei
gegen die Offiziere nachsah, und nichts verlangte als Tapferkeit
und Treue gegen den Feldherrn, der ihnen für den Sieg die
verschwenderischsten Belohnungen in Aussicht stellte, mit allem
jenem soldatischem Enthusiasmus an, der um so gewaltiger ist,
als in ihm die edelsten und die gemeinsten Leidenschaften oft in
derselben Brust sich begegnen. Freiwillig schworen nach rö-
mischer Sitte die sullanischen Soldaten sich einander es zu fest
zusammenzuhalten und freiwillig brachte ein jeder dem Feldherrn
seinen Sparpfennig als Beisteuer zu den Kriegskosten. Allein so
ansehnlich diese geschlossene Kernschaar gegen die feindlichen
Massen ins Gewicht fiel, so erkannte doch Sulla sehr wohl, dass
Italien nicht mit fünf Legionen bezwungen werden konnte, wenn
es im entschlossenen Widerstande einig zusammenhielt. Hätte
Sulla nichts zu besiegen gehabt, als den Widerstand der Popular-
partei und ihrer unfähigen Autokraten, so wäre seine Aufgabe
nicht schwierig gewesen; aber er sah sich gegenüber und mit
dieser vereinigt die ganze Masse derer, die keine oligarchische
Schreckensrestauration wollten, und vor allen Dingen die ge-
sammte Neubürgerschaft, sowohl diejenigen, die durch das ju-
lische Gesetz von der Theilnahme an der Insurrection sich hatten
abhalten lassen, als diejenigen, deren Schilderhebung vor wenigen
Jahren Rom an den Rand des Verderbens geführt hatte. Sulla
übersah vollkommen die Lage der Verhältnisse und war weit ent-
fernt von der blinden Erbitterung und der eigensinnigen Starrheit,
die die Majorität seiner Partei charakterisirten. Während das
Staatsgebäude in vollen Flammen stand, während man seine
Freunde ermordete, seine Häuser zerstörte, seine Familie ins
Elend trieb, war er ungeirrt auf seinem Posten verblieben, bis
der Landesfeind überwältigt und die römische Grenze gesichert
war. In demselben Sinne patriotischer und einsichtiger Mässi-
gung behandelte er auch jetzt die italischen Verhältnisse und that,
was er irgend thun konnte, um die Gemässigten und die Neubür-
ger zu beruhigen und um zu vermeiden, dass nicht unter dem
Namen des Bürgerkrieges der weit gefährlichere Krieg gegen die

VIERTES BUCH. KAPITEL IX.
nicht, aber noch weniger Sulla und eine oligarchische Restaura-
tion. — Gegen diese italische Macht hatte Sulla nichts in die Wag-
schale zu legen als seine fünf Legionen, die auch mit Einrechnung
einiger in Makedonien und im Peloponnes aufgebotener Zuzüge
kaum auf 40000 Mann sich belaufen mochten. Allerdings hatte
dies Heer in siebenjährigen Kämpfen in Italien, Griechenland und
Asien des Politisirens sich entwöhnt und hing seinem Feldherrn,
der den Soldaten Alles, Schwelgerei, Bestialität, sogar Meuterei
gegen die Offiziere nachsah, und nichts verlangte als Tapferkeit
und Treue gegen den Feldherrn, der ihnen für den Sieg die
verschwenderischsten Belohnungen in Aussicht stellte, mit allem
jenem soldatischem Enthusiasmus an, der um so gewaltiger ist,
als in ihm die edelsten und die gemeinsten Leidenschaften oft in
derselben Brust sich begegnen. Freiwillig schworen nach rö-
mischer Sitte die sullanischen Soldaten sich einander es zu fest
zusammenzuhalten und freiwillig brachte ein jeder dem Feldherrn
seinen Sparpfennig als Beisteuer zu den Kriegskosten. Allein so
ansehnlich diese geschlossene Kernschaar gegen die feindlichen
Massen ins Gewicht fiel, so erkannte doch Sulla sehr wohl, daſs
Italien nicht mit fünf Legionen bezwungen werden konnte, wenn
es im entschlossenen Widerstande einig zusammenhielt. Hätte
Sulla nichts zu besiegen gehabt, als den Widerstand der Popular-
partei und ihrer unfähigen Autokraten, so wäre seine Aufgabe
nicht schwierig gewesen; aber er sah sich gegenüber und mit
dieser vereinigt die ganze Masse derer, die keine oligarchische
Schreckensrestauration wollten, und vor allen Dingen die ge-
sammte Neubürgerschaft, sowohl diejenigen, die durch das ju-
lische Gesetz von der Theilnahme an der Insurrection sich hatten
abhalten lassen, als diejenigen, deren Schilderhebung vor wenigen
Jahren Rom an den Rand des Verderbens geführt hatte. Sulla
übersah vollkommen die Lage der Verhältnisse und war weit ent-
fernt von der blinden Erbitterung und der eigensinnigen Starrheit,
die die Majorität seiner Partei charakterisirten. Während das
Staatsgebäude in vollen Flammen stand, während man seine
Freunde ermordete, seine Häuser zerstörte, seine Familie ins
Elend trieb, war er ungeirrt auf seinem Posten verblieben, bis
der Landesfeind überwältigt und die römische Grenze gesichert
war. In demselben Sinne patriotischer und einsichtiger Mäſsi-
gung behandelte er auch jetzt die italischen Verhältnisse und that,
was er irgend thun konnte, um die Gemäſsigten und die Neubür-
ger zu beruhigen und um zu vermeiden, daſs nicht unter dem
Namen des Bürgerkrieges der weit gefährlichere Krieg gegen die

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[306/0316] VIERTES BUCH. KAPITEL IX. nicht, aber noch weniger Sulla und eine oligarchische Restaura- tion. — Gegen diese italische Macht hatte Sulla nichts in die Wag- schale zu legen als seine fünf Legionen, die auch mit Einrechnung einiger in Makedonien und im Peloponnes aufgebotener Zuzüge kaum auf 40000 Mann sich belaufen mochten. Allerdings hatte dies Heer in siebenjährigen Kämpfen in Italien, Griechenland und Asien des Politisirens sich entwöhnt und hing seinem Feldherrn, der den Soldaten Alles, Schwelgerei, Bestialität, sogar Meuterei gegen die Offiziere nachsah, und nichts verlangte als Tapferkeit und Treue gegen den Feldherrn, der ihnen für den Sieg die verschwenderischsten Belohnungen in Aussicht stellte, mit allem jenem soldatischem Enthusiasmus an, der um so gewaltiger ist, als in ihm die edelsten und die gemeinsten Leidenschaften oft in derselben Brust sich begegnen. Freiwillig schworen nach rö- mischer Sitte die sullanischen Soldaten sich einander es zu fest zusammenzuhalten und freiwillig brachte ein jeder dem Feldherrn seinen Sparpfennig als Beisteuer zu den Kriegskosten. Allein so ansehnlich diese geschlossene Kernschaar gegen die feindlichen Massen ins Gewicht fiel, so erkannte doch Sulla sehr wohl, daſs Italien nicht mit fünf Legionen bezwungen werden konnte, wenn es im entschlossenen Widerstande einig zusammenhielt. Hätte Sulla nichts zu besiegen gehabt, als den Widerstand der Popular- partei und ihrer unfähigen Autokraten, so wäre seine Aufgabe nicht schwierig gewesen; aber er sah sich gegenüber und mit dieser vereinigt die ganze Masse derer, die keine oligarchische Schreckensrestauration wollten, und vor allen Dingen die ge- sammte Neubürgerschaft, sowohl diejenigen, die durch das ju- lische Gesetz von der Theilnahme an der Insurrection sich hatten abhalten lassen, als diejenigen, deren Schilderhebung vor wenigen Jahren Rom an den Rand des Verderbens geführt hatte. Sulla übersah vollkommen die Lage der Verhältnisse und war weit ent- fernt von der blinden Erbitterung und der eigensinnigen Starrheit, die die Majorität seiner Partei charakterisirten. Während das Staatsgebäude in vollen Flammen stand, während man seine Freunde ermordete, seine Häuser zerstörte, seine Familie ins Elend trieb, war er ungeirrt auf seinem Posten verblieben, bis der Landesfeind überwältigt und die römische Grenze gesichert war. In demselben Sinne patriotischer und einsichtiger Mäſsi- gung behandelte er auch jetzt die italischen Verhältnisse und that, was er irgend thun konnte, um die Gemäſsigten und die Neubür- ger zu beruhigen und um zu vermeiden, daſs nicht unter dem Namen des Bürgerkrieges der weit gefährlichere Krieg gegen die

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/316>, abgerufen am 22.05.2024.