Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.CINNA UND SULLA. zustellen. Sulla wies die Vorschläge nicht unbedingt von derHand; er kam zwar natürlich nicht selbst, aber er sandte Boten um zu erklären, dass er nichts fordere als Wiedereinsetzung der Verbannten in den vorigen Stand und gerichtliche Bestrafung der begangenen Verbrechen, Sicherheit übrigens nicht geleistet be- gehre, sondern denen daheim zu bringen gedenke. Allein seine Boten fanden den Stand der Dinge in Italien wesentlich verän- dert. Cinna hatte, ohne um jenen Senatsbeschluss sich weiter zu bekümmern, sofort nach aufgehobener Sitzung sich zum Heer begeben und die Einschiffung der Truppen zu betreiben begon- nen. Aber die Aufforderung in der bösen Jahreszeit sich dem Meer anzuvertrauen rief unter den schon schwierigen Truppen im Hauptquartier zu Ancona eine Meuterei hervor, deren Opfer Cinna ward (Anf. 670), worauf sein College Carbo sich genöthigt sah die schon übergegangenen Abtheilungen zurückzuführen und auf das Aufnehmen des Krieges in Griechenland verzichtend Win- terquartiere in Ariminum zu beziehen. Von Unterhandlungen konnte keine Rede sein: der Senat, jetzt wieder unter Carbos Ein- fluss, wies Sullas Vorschläge zurück ohne auch nur die Boten nach Rom zu lassen und befahl ihm kurzweg die Waffen nieder- zulegen. -- Sulla war inzwischen nach Asien übergegangen, das Heer des Fimbria zu ihm übergetreten, der Führer durch seine eigene Hand gefallen: Ereignisse, die so ungünstig sie für die Regierung an sich waren, doch ihr eine weitere Jahresfrist zu Rüstungen verschafften. Sie ward nicht versäumt; es sollen bei Sullas Landung 100000, später sogar die doppelte Zahl von Be- waffneten in Italien gegen ihn gestanden haben. Die Nation wollte, wie gesagt, in ihrer grossen Majorität von Sulla nichts wissen. Aber was gegen Sulla geschah, geschah am wenigsten durch die herrschende Coterie der Marianer, die nicht so sehr ihrer Unthaten wegen verabscheut, als ihrer Schwäche und Nich- tigkeit wegen verachtet ward. Eben jetzt, wo es galt, musste diese Coterie die bisher usurpirte Besetzung des höchsten Amtes abgeben und für das entscheidende Jahr 671 wieder Consulwah- len veranstalten. Die Stimmen vereinigten hiebei sich nicht auf den bisherigen Consul Carbo noch auf einen der fähigen Offiziere der regierenden Clique, wie Quintus Sertorius oder Gaius Marius den Sohn, sondern auf Lucius Scipio und Gaius Norbanus, zwei Incapacitäten, von denen keiner zu schlagen, Scipio nicht einmal zu sprechen verstand und von denen jener nur als der Urenkel des Antiochossiegers, dieser als politischer Gegner der Oligarchie (S. 199) sich der Menge empfahlen. Man wollte die Marianer Röm. Gesch. II. 20
CINNA UND SULLA. zustellen. Sulla wies die Vorschläge nicht unbedingt von derHand; er kam zwar natürlich nicht selbst, aber er sandte Boten um zu erklären, daſs er nichts fordere als Wiedereinsetzung der Verbannten in den vorigen Stand und gerichtliche Bestrafung der begangenen Verbrechen, Sicherheit übrigens nicht geleistet be- gehre, sondern denen daheim zu bringen gedenke. Allein seine Boten fanden den Stand der Dinge in Italien wesentlich verän- dert. Cinna hatte, ohne um jenen Senatsbeschluſs sich weiter zu bekümmern, sofort nach aufgehobener Sitzung sich zum Heer begeben und die Einschiffung der Truppen zu betreiben begon- nen. Aber die Aufforderung in der bösen Jahreszeit sich dem Meer anzuvertrauen rief unter den schon schwierigen Truppen im Hauptquartier zu Ancona eine Meuterei hervor, deren Opfer Cinna ward (Anf. 670), worauf sein College Carbo sich genöthigt sah die schon übergegangenen Abtheilungen zurückzuführen und auf das Aufnehmen des Krieges in Griechenland verzichtend Win- terquartiere in Ariminum zu beziehen. Von Unterhandlungen konnte keine Rede sein: der Senat, jetzt wieder unter Carbos Ein- fluſs, wies Sullas Vorschläge zurück ohne auch nur die Boten nach Rom zu lassen und befahl ihm kurzweg die Waffen nieder- zulegen. — Sulla war inzwischen nach Asien übergegangen, das Heer des Fimbria zu ihm übergetreten, der Führer durch seine eigene Hand gefallen: Ereignisse, die so ungünstig sie für die Regierung an sich waren, doch ihr eine weitere Jahresfrist zu Rüstungen verschafften. Sie ward nicht versäumt; es sollen bei Sullas Landung 100000, später sogar die doppelte Zahl von Be- waffneten in Italien gegen ihn gestanden haben. Die Nation wollte, wie gesagt, in ihrer groſsen Majorität von Sulla nichts wissen. Aber was gegen Sulla geschah, geschah am wenigsten durch die herrschende Coterie der Marianer, die nicht so sehr ihrer Unthaten wegen verabscheut, als ihrer Schwäche und Nich- tigkeit wegen verachtet ward. Eben jetzt, wo es galt, muſste diese Coterie die bisher usurpirte Besetzung des höchsten Amtes abgeben und für das entscheidende Jahr 671 wieder Consulwah- len veranstalten. Die Stimmen vereinigten hiebei sich nicht auf den bisherigen Consul Carbo noch auf einen der fähigen Offiziere der regierenden Clique, wie Quintus Sertorius oder Gaius Marius den Sohn, sondern auf Lucius Scipio und Gaius Norbanus, zwei Incapacitäten, von denen keiner zu schlagen, Scipio nicht einmal zu sprechen verstand und von denen jener nur als der Urenkel des Antiochossiegers, dieser als politischer Gegner der Oligarchie (S. 199) sich der Menge empfahlen. Man wollte die Marianer Röm. Gesch. II. 20
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CINNA UND SULLA.
zustellen. Sulla wies die Vorschläge nicht unbedingt von der
Hand; er kam zwar natürlich nicht selbst, aber er sandte Boten
um zu erklären, daſs er nichts fordere als Wiedereinsetzung der
Verbannten in den vorigen Stand und gerichtliche Bestrafung der
begangenen Verbrechen, Sicherheit übrigens nicht geleistet be-
gehre, sondern denen daheim zu bringen gedenke. Allein seine
Boten fanden den Stand der Dinge in Italien wesentlich verän-
dert. Cinna hatte, ohne um jenen Senatsbeschluſs sich weiter zu
bekümmern, sofort nach aufgehobener Sitzung sich zum Heer
begeben und die Einschiffung der Truppen zu betreiben begon-
nen. Aber die Aufforderung in der bösen Jahreszeit sich dem
Meer anzuvertrauen rief unter den schon schwierigen Truppen
im Hauptquartier zu Ancona eine Meuterei hervor, deren Opfer
Cinna ward (Anf. 670), worauf sein College Carbo sich genöthigt
sah die schon übergegangenen Abtheilungen zurückzuführen und
auf das Aufnehmen des Krieges in Griechenland verzichtend Win-
terquartiere in Ariminum zu beziehen. Von Unterhandlungen
konnte keine Rede sein: der Senat, jetzt wieder unter Carbos Ein-
fluſs, wies Sullas Vorschläge zurück ohne auch nur die Boten
nach Rom zu lassen und befahl ihm kurzweg die Waffen nieder-
zulegen. — Sulla war inzwischen nach Asien übergegangen, das
Heer des Fimbria zu ihm übergetreten, der Führer durch seine
eigene Hand gefallen: Ereignisse, die so ungünstig sie für die
Regierung an sich waren, doch ihr eine weitere Jahresfrist zu
Rüstungen verschafften. Sie ward nicht versäumt; es sollen bei
Sullas Landung 100000, später sogar die doppelte Zahl von Be-
waffneten in Italien gegen ihn gestanden haben. Die Nation
wollte, wie gesagt, in ihrer groſsen Majorität von Sulla nichts
wissen. Aber was gegen Sulla geschah, geschah am wenigsten
durch die herrschende Coterie der Marianer, die nicht so sehr
ihrer Unthaten wegen verabscheut, als ihrer Schwäche und Nich-
tigkeit wegen verachtet ward. Eben jetzt, wo es galt, muſste
diese Coterie die bisher usurpirte Besetzung des höchsten Amtes
abgeben und für das entscheidende Jahr 671 wieder Consulwah-
len veranstalten. Die Stimmen vereinigten hiebei sich nicht auf
den bisherigen Consul Carbo noch auf einen der fähigen Offiziere
der regierenden Clique, wie Quintus Sertorius oder Gaius Marius
den Sohn, sondern auf Lucius Scipio und Gaius Norbanus, zwei
Incapacitäten, von denen keiner zu schlagen, Scipio nicht einmal
zu sprechen verstand und von denen jener nur als der Urenkel
des Antiochossiegers, dieser als politischer Gegner der Oligarchie
(S. 199) sich der Menge empfahlen. Man wollte die Marianer
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