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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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CINNA UND SULLA.

Dieselbe Verbindung der gewaltigsten Machtfülle mit der
vollständigsten Impotenz und Incapacität der Machthaber zeigte
die Kriegführung gegen die Oligarchie, von der denn doch zu-
nächst die Existenz der revolutionären Regierung abhing. In
Italien gebot sie unumschränkt. Unter den Altbürgern war ein
sehr grosser Theil grundsätzlich demokratisch gesinnt; die noch
grössere Masse der ruhigen Leute missbilligten zwar die mariani-
schen Greuel, sahen aber in einer oligarchischen Restauration
nichts als die Eröffnung eines zweiten Schreckensregiments der
entgegengesetzten Partei. Der Eindruck der Unthaten des J. 667
auf die Nation insgesammt war verhältnissmässig gering gewesen,
da sie vorwiegend doch nur die hauptstädtische Aristokratie be-
troffen hatten, und ward überdies einigermassen ausgelöscht
durch ein dreijähriges leidlich ruhiges Regiment. Die gesammte
Masse der Neubürger endlich, vielleicht drei Fünftel der Italiker,
stand entschieden wo nicht für die gegenwärtige Regierung doch
gegen die Oligarchie. -- Gleich Italien hielten zu jener die mei-
sten Provinzen: Sicilien, Sardinien, beide Gallien, beide Spanien.
In Africa machte Quintus Metellus, der den Mördern glücklich
entkommen war, einen Versuch diese Provinz für die Optimaten
zu halten; zu ihm begab sich aus Spanien Marcus Crassus, der
jüngste Sohn des in dem marianischen Blutbad umgekommenen
Publius Crassus, und verstärkte ihn durch einen in Spanien zu-
sammen gebrachten Haufen. Allein sie mussten, da sie sich un-
ter einander entzweiten, dem Statthalter der revolutionären Re-
gierung Gaius Fabius Hadrianus weichen. Asien war in den
Händen Mithradats; somit blieb als einzige Freistatt der ver-
fehmten Oligarchie die Provinz Makedonien, so weit sie in Sul-
las Gewalt war. Dorthin retteten sich Sullas Gemahlin und Kin-
der, die mit Mühe dem Tode entgangen waren, und nicht wenige
entkommene Senatoren, so dass bald in seinem Hauptquartier
eine Art von Senat sich bildete. An Decreten liess es hiegegen
die Regierung nicht fehlen. Sulla ward durch die Comitien seines
Commandos und seiner sonstigen Ehren und Würden entsetzt
und geächtet, wie das in gleicher Weise auch gegen Metellus, Ap-
pius Claudius und andere angesehene Flüchtlinge geschah; sein
Haus in Rom wurde geschleift, seine Landgüter verwüstet. Indess
damit freilich war die Sache nicht erledigt. Hätte Gaius Marius
länger gelebt, so wäre er ohne Zweifel selbst gegen Sulla dorthin
marschirt, wohin noch auf seinem Todtbette die Fieberbilder ihn
führten; welche Massregeln nach seinem Tode die Regierung er-

CINNA UND SULLA.

Dieselbe Verbindung der gewaltigsten Machtfülle mit der
vollständigsten Impotenz und Incapacität der Machthaber zeigte
die Kriegführung gegen die Oligarchie, von der denn doch zu-
nächst die Existenz der revolutionären Regierung abhing. In
Italien gebot sie unumschränkt. Unter den Altbürgern war ein
sehr groſser Theil grundsätzlich demokratisch gesinnt; die noch
gröſsere Masse der ruhigen Leute miſsbilligten zwar die mariani-
schen Greuel, sahen aber in einer oligarchischen Restauration
nichts als die Eröffnung eines zweiten Schreckensregiments der
entgegengesetzten Partei. Der Eindruck der Unthaten des J. 667
auf die Nation insgesammt war verhältniſsmäſsig gering gewesen,
da sie vorwiegend doch nur die hauptstädtische Aristokratie be-
troffen hatten, und ward überdies einigermaſsen ausgelöscht
durch ein dreijähriges leidlich ruhiges Regiment. Die gesammte
Masse der Neubürger endlich, vielleicht drei Fünftel der Italiker,
stand entschieden wo nicht für die gegenwärtige Regierung doch
gegen die Oligarchie. — Gleich Italien hielten zu jener die mei-
sten Provinzen: Sicilien, Sardinien, beide Gallien, beide Spanien.
In Africa machte Quintus Metellus, der den Mördern glücklich
entkommen war, einen Versuch diese Provinz für die Optimaten
zu halten; zu ihm begab sich aus Spanien Marcus Crassus, der
jüngste Sohn des in dem marianischen Blutbad umgekommenen
Publius Crassus, und verstärkte ihn durch einen in Spanien zu-
sammen gebrachten Haufen. Allein sie muſsten, da sie sich un-
ter einander entzweiten, dem Statthalter der revolutionären Re-
gierung Gaius Fabius Hadrianus weichen. Asien war in den
Händen Mithradats; somit blieb als einzige Freistatt der ver-
fehmten Oligarchie die Provinz Makedonien, so weit sie in Sul-
las Gewalt war. Dorthin retteten sich Sullas Gemahlin und Kin-
der, die mit Mühe dem Tode entgangen waren, und nicht wenige
entkommene Senatoren, so daſs bald in seinem Hauptquartier
eine Art von Senat sich bildete. An Decreten lieſs es hiegegen
die Regierung nicht fehlen. Sulla ward durch die Comitien seines
Commandos und seiner sonstigen Ehren und Würden entsetzt
und geächtet, wie das in gleicher Weise auch gegen Metellus, Ap-
pius Claudius und andere angesehene Flüchtlinge geschah; sein
Haus in Rom wurde geschleift, seine Landgüter verwüstet. Indeſs
damit freilich war die Sache nicht erledigt. Hätte Gaius Marius
länger gelebt, so wäre er ohne Zweifel selbst gegen Sulla dorthin
marschirt, wohin noch auf seinem Todtbette die Fieberbilder ihn
führten; welche Maſsregeln nach seinem Tode die Regierung er-

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[303/0313] CINNA UND SULLA. Dieselbe Verbindung der gewaltigsten Machtfülle mit der vollständigsten Impotenz und Incapacität der Machthaber zeigte die Kriegführung gegen die Oligarchie, von der denn doch zu- nächst die Existenz der revolutionären Regierung abhing. In Italien gebot sie unumschränkt. Unter den Altbürgern war ein sehr groſser Theil grundsätzlich demokratisch gesinnt; die noch gröſsere Masse der ruhigen Leute miſsbilligten zwar die mariani- schen Greuel, sahen aber in einer oligarchischen Restauration nichts als die Eröffnung eines zweiten Schreckensregiments der entgegengesetzten Partei. Der Eindruck der Unthaten des J. 667 auf die Nation insgesammt war verhältniſsmäſsig gering gewesen, da sie vorwiegend doch nur die hauptstädtische Aristokratie be- troffen hatten, und ward überdies einigermaſsen ausgelöscht durch ein dreijähriges leidlich ruhiges Regiment. Die gesammte Masse der Neubürger endlich, vielleicht drei Fünftel der Italiker, stand entschieden wo nicht für die gegenwärtige Regierung doch gegen die Oligarchie. — Gleich Italien hielten zu jener die mei- sten Provinzen: Sicilien, Sardinien, beide Gallien, beide Spanien. In Africa machte Quintus Metellus, der den Mördern glücklich entkommen war, einen Versuch diese Provinz für die Optimaten zu halten; zu ihm begab sich aus Spanien Marcus Crassus, der jüngste Sohn des in dem marianischen Blutbad umgekommenen Publius Crassus, und verstärkte ihn durch einen in Spanien zu- sammen gebrachten Haufen. Allein sie muſsten, da sie sich un- ter einander entzweiten, dem Statthalter der revolutionären Re- gierung Gaius Fabius Hadrianus weichen. Asien war in den Händen Mithradats; somit blieb als einzige Freistatt der ver- fehmten Oligarchie die Provinz Makedonien, so weit sie in Sul- las Gewalt war. Dorthin retteten sich Sullas Gemahlin und Kin- der, die mit Mühe dem Tode entgangen waren, und nicht wenige entkommene Senatoren, so daſs bald in seinem Hauptquartier eine Art von Senat sich bildete. An Decreten lieſs es hiegegen die Regierung nicht fehlen. Sulla ward durch die Comitien seines Commandos und seiner sonstigen Ehren und Würden entsetzt und geächtet, wie das in gleicher Weise auch gegen Metellus, Ap- pius Claudius und andere angesehene Flüchtlinge geschah; sein Haus in Rom wurde geschleift, seine Landgüter verwüstet. Indeſs damit freilich war die Sache nicht erledigt. Hätte Gaius Marius länger gelebt, so wäre er ohne Zweifel selbst gegen Sulla dorthin marschirt, wohin noch auf seinem Todtbette die Fieberbilder ihn führten; welche Maſsregeln nach seinem Tode die Regierung er-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/313>, abgerufen am 22.05.2024.