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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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CINNA UND SULLA.
tasien er auf den kleinasiatischen Gefilden die Schlachten schlug,
deren Lorbeer Sulla bestimmt war, am 13. Jan. 668 war er eine
Leiche. Er starb über siebzig Jahre alt im Vollbesitz dessen, was
er Macht und Ehre nannte, und in seinem Bette; aber die Neme-
sis ist mannichfaltig und sühnt nicht immer Blut mit Blut. Oder
war es etwa keine Vergeltung, dass Rom und Italien bei der
Nachricht von dem Tode des gefeierten Volkserretters jetzt auf-
athmeten wie kaum bei der Kunde von der Schlacht auf dem rau-
dischen Feld? -- Auch nach seinem Tode zwar kamen einzelne
Auftritte vor, die an die Schreckenszeit erinnerten; so machte zum
Beispiel Gaius Fimbria, der wie kein anderer bei den mariani-
schen Schlächtereien sine Hand in Blut getaucht hatte, bei dem
Leichenbegräbniss des Marius selbst einen Versuch, den allgemein
verehrten und selbst von Marius geschonten Oberpontifex Quin-
tus Scaevola (Consul 659) umzubringen und klagte dann, als
derselbe von der empfangenen Wunde genas, ihn peinlich an,
wegen des Verbrechens, wie er scherzhaft sich ausdrückte, dass
er sich nicht habe wollen ermorden lassen. Aber die Orgien des
Mordens waren doch vorüber. Unter dem Vorwand der Sold-
zahlung rief Sertorius die marianischen Banditen zusammen,
umzingelte sie mit seinen zuverlässigen keltischen Truppen und
liess sie, nach den geringsten Angaben 4000 an der Zahl, sämmt-
lich niederhauen.

Mit dem Schreckensregiment zugleich war die Tyrannis ge-
kommen. Cinna stand nicht bloss vier Jahre nach einander
(667-670) als Consul an der Spitze des Staats, sondern er er-
nannte auch regelmässig sich und seine Collegen ohne das Volk
zu befragen; es war als ob diese Demokraten die souveräne
Volksversammlung mit absichtlicher Geringschätzung bei Seite
schöben. Kein anderer Chef der Popularpartei vor- oder nach-
her hat eine so vollkommen absolute Gewalt in Italien wie in
dem grössten Theil der Provinzen so lange Zeit hindurch so gut
wie ungestört besessen wie sie Cinna zu Theil geworden ist; aber
es ist auch keiner zu nennen, dessen Regiment so vollkommen
nichtig und ziellos gewesen ist. Man stiess natürlich die von
Sulla im J. 666 begründeten reactionären Institutionen um. Man
that einiges um dem Proletariat sich gefällig zu erweisen -- so
wurden wahrscheinlich die vor einigen Jahren eingeführten Be-
schränkungen der Getreidevertheilung (S. 220) jetzt wiederum
beseitigt; so wurde nach dem Vorschlag des Volkstribuns Marcus
Junius Brutus im Frühjahr 671 eine demokratische Colonie auf
der ehemaligen capuanischen Domäne angesiedelt; so veranlasste

CINNA UND SULLA.
tasien er auf den kleinasiatischen Gefilden die Schlachten schlug,
deren Lorbeer Sulla bestimmt war, am 13. Jan. 668 war er eine
Leiche. Er starb über siebzig Jahre alt im Vollbesitz dessen, was
er Macht und Ehre nannte, und in seinem Bette; aber die Neme-
sis ist mannichfaltig und sühnt nicht immer Blut mit Blut. Oder
war es etwa keine Vergeltung, daſs Rom und Italien bei der
Nachricht von dem Tode des gefeierten Volkserretters jetzt auf-
athmeten wie kaum bei der Kunde von der Schlacht auf dem rau-
dischen Feld? — Auch nach seinem Tode zwar kamen einzelne
Auftritte vor, die an die Schreckenszeit erinnerten; so machte zum
Beispiel Gaius Fimbria, der wie kein anderer bei den mariani-
schen Schlächtereien sine Hand in Blut getaucht hatte, bei dem
Leichenbegräbniſs des Marius selbst einen Versuch, den allgemein
verehrten und selbst von Marius geschonten Oberpontifex Quin-
tus Scaevola (Consul 659) umzubringen und klagte dann, als
derselbe von der empfangenen Wunde genas, ihn peinlich an,
wegen des Verbrechens, wie er scherzhaft sich ausdrückte, daſs
er sich nicht habe wollen ermorden lassen. Aber die Orgien des
Mordens waren doch vorüber. Unter dem Vorwand der Sold-
zahlung rief Sertorius die marianischen Banditen zusammen,
umzingelte sie mit seinen zuverlässigen keltischen Truppen und
lieſs sie, nach den geringsten Angaben 4000 an der Zahl, sämmt-
lich niederhauen.

Mit dem Schreckensregiment zugleich war die Tyrannis ge-
kommen. Cinna stand nicht bloſs vier Jahre nach einander
(667-670) als Consul an der Spitze des Staats, sondern er er-
nannte auch regelmäſsig sich und seine Collegen ohne das Volk
zu befragen; es war als ob diese Demokraten die souveräne
Volksversammlung mit absichtlicher Geringschätzung bei Seite
schöben. Kein anderer Chef der Popularpartei vor- oder nach-
her hat eine so vollkommen absolute Gewalt in Italien wie in
dem gröſsten Theil der Provinzen so lange Zeit hindurch so gut
wie ungestört besessen wie sie Cinna zu Theil geworden ist; aber
es ist auch keiner zu nennen, dessen Regiment so vollkommen
nichtig und ziellos gewesen ist. Man stieſs natürlich die von
Sulla im J. 666 begründeten reactionären Institutionen um. Man
that einiges um dem Proletariat sich gefällig zu erweisen — so
wurden wahrscheinlich die vor einigen Jahren eingeführten Be-
schränkungen der Getreidevertheilung (S. 220) jetzt wiederum
beseitigt; so wurde nach dem Vorschlag des Volkstribuns Marcus
Junius Brutus im Frühjahr 671 eine demokratische Colonie auf
der ehemaligen capuanischen Domäne angesiedelt; so veranlaſste

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[301/0311] CINNA UND SULLA. tasien er auf den kleinasiatischen Gefilden die Schlachten schlug, deren Lorbeer Sulla bestimmt war, am 13. Jan. 668 war er eine Leiche. Er starb über siebzig Jahre alt im Vollbesitz dessen, was er Macht und Ehre nannte, und in seinem Bette; aber die Neme- sis ist mannichfaltig und sühnt nicht immer Blut mit Blut. Oder war es etwa keine Vergeltung, daſs Rom und Italien bei der Nachricht von dem Tode des gefeierten Volkserretters jetzt auf- athmeten wie kaum bei der Kunde von der Schlacht auf dem rau- dischen Feld? — Auch nach seinem Tode zwar kamen einzelne Auftritte vor, die an die Schreckenszeit erinnerten; so machte zum Beispiel Gaius Fimbria, der wie kein anderer bei den mariani- schen Schlächtereien sine Hand in Blut getaucht hatte, bei dem Leichenbegräbniſs des Marius selbst einen Versuch, den allgemein verehrten und selbst von Marius geschonten Oberpontifex Quin- tus Scaevola (Consul 659) umzubringen und klagte dann, als derselbe von der empfangenen Wunde genas, ihn peinlich an, wegen des Verbrechens, wie er scherzhaft sich ausdrückte, daſs er sich nicht habe wollen ermorden lassen. Aber die Orgien des Mordens waren doch vorüber. Unter dem Vorwand der Sold- zahlung rief Sertorius die marianischen Banditen zusammen, umzingelte sie mit seinen zuverlässigen keltischen Truppen und lieſs sie, nach den geringsten Angaben 4000 an der Zahl, sämmt- lich niederhauen. Mit dem Schreckensregiment zugleich war die Tyrannis ge- kommen. Cinna stand nicht bloſs vier Jahre nach einander (667-670) als Consul an der Spitze des Staats, sondern er er- nannte auch regelmäſsig sich und seine Collegen ohne das Volk zu befragen; es war als ob diese Demokraten die souveräne Volksversammlung mit absichtlicher Geringschätzung bei Seite schöben. Kein anderer Chef der Popularpartei vor- oder nach- her hat eine so vollkommen absolute Gewalt in Italien wie in dem gröſsten Theil der Provinzen so lange Zeit hindurch so gut wie ungestört besessen wie sie Cinna zu Theil geworden ist; aber es ist auch keiner zu nennen, dessen Regiment so vollkommen nichtig und ziellos gewesen ist. Man stieſs natürlich die von Sulla im J. 666 begründeten reactionären Institutionen um. Man that einiges um dem Proletariat sich gefällig zu erweisen — so wurden wahrscheinlich die vor einigen Jahren eingeführten Be- schränkungen der Getreidevertheilung (S. 220) jetzt wiederum beseitigt; so wurde nach dem Vorschlag des Volkstribuns Marcus Junius Brutus im Frühjahr 671 eine demokratische Colonie auf der ehemaligen capuanischen Domäne angesiedelt; so veranlaſste

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/311>, abgerufen am 22.05.2024.