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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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DIE UNTERTHÄNIGEN LANDSCHAFTEN.
preisgegebenen Nord- und Ostgrenze Reiche sich zu bilden ver-
mochten, welche, gestützt auf die ausserhalb des Bereiches der
römischen Hegemonie gelegenen Binnenlandschaften und im Ge-
gensatz gegen die schwachen römischen Clientelstaaten, zu einer
früher oder später mit der römischen rivalisirenden Machtent-
wickelung gelangten. Allerdings schirmte hiegegen einigermassen
der überall zerspaltene und nirgends einer grossartigen staatli-
chen Entwickelung günstige Zustand der angrenzenden Nationen;
aber dennoch erkennt man namentlich in der Geschichte des
Ostens sehr deutlich, was die Folge davon war, dass in dieser Zeit
nicht mehr die Phalanx des Seleukos und noch nicht die Legio-
nen des Augustus am Euphrat standen. -- Diesem Zustand ein
Ende zu machen war hohe Zeit. Das einzig mögliche Ende aber
war die Verwandlung der Clientelstaaten in römische Aemter, was
um so eher geschehen konnte, als ja die römische Provinzialver-
fassung wesentlich nur die militärische Gewalt in der Hand des
römischen Vogts zusammenfasste und Verwaltung und Gerichte in
der Hauptsache den Gemeinden blieben oder doch bleiben soll-
ten, also was von der alten politischen Selbstständigkeit über-
haupt noch lebensfähig war, sich in der Form der Gemeinde-
freiheit bewahren liess. Zu verkennen war die Nothwendigkeit
dieser administrativen Reform nicht wohl; es fragte sich nur, ob
der Senat das Nothwendige klar einzusehen und energisch durch-
zuführen den Muth und die Macht haben oder die Verwaltungs-
reform in der Ausführung verkümmern lassen werde.

Blicken wir zunächst auf Africa. Die von den Römern in
Libyen gegründete Ordnung der Dinge ruhte wesentlich auf dem
Gleichgewicht des Nomadenreiches Massinissas und der Stadt
Karthago. Während jenes unter Massinissas durchgreifendem
und klugem Regiment sich erweiterte, befestigte und civilisirte
(I, 493), ward auch Karthago durch die blossen Folgen des Frie-
densstandes wenigstens an Reichthum und Volkszahl wieder was
es auf der Höhe seiner politischen Macht gewesen war. Die Rö-
mer sahen mit übel verhehlter neidischer Furcht die wie es
schien unverwüstliche Blüthe der alten Nebenbuhlerin; hatten sie
bisher den beständig fortgesetzten Uebergriffen Massinissas
gegenüber derselben jeden ernstlichen Schutz verweigert, so fin-
gen sie jetzt an offen zu Gunsten des Nachbarn zu interveniren.
Der seit mehr als dreissig Jahren zwischen der Stadt und dem
König schwebende Streit über den Besitz der Landschaft Empo-
ria an der kleinen Syrte, einer der fruchtbarsten des karthagi-
schen Gebiets, ward endlich (um 593) von römischen Commis-

DIE UNTERTHÄNIGEN LANDSCHAFTEN.
preisgegebenen Nord- und Ostgrenze Reiche sich zu bilden ver-
mochten, welche, gestützt auf die auſserhalb des Bereiches der
römischen Hegemonie gelegenen Binnenlandschaften und im Ge-
gensatz gegen die schwachen römischen Clientelstaaten, zu einer
früher oder später mit der römischen rivalisirenden Machtent-
wickelung gelangten. Allerdings schirmte hiegegen einigermaſsen
der überall zerspaltene und nirgends einer groſsartigen staatli-
chen Entwickelung günstige Zustand der angrenzenden Nationen;
aber dennoch erkennt man namentlich in der Geschichte des
Ostens sehr deutlich, was die Folge davon war, daſs in dieser Zeit
nicht mehr die Phalanx des Seleukos und noch nicht die Legio-
nen des Augustus am Euphrat standen. — Diesem Zustand ein
Ende zu machen war hohe Zeit. Das einzig mögliche Ende aber
war die Verwandlung der Clientelstaaten in römische Aemter, was
um so eher geschehen konnte, als ja die römische Provinzialver-
fassung wesentlich nur die militärische Gewalt in der Hand des
römischen Vogts zusammenfaſste und Verwaltung und Gerichte in
der Hauptsache den Gemeinden blieben oder doch bleiben soll-
ten, also was von der alten politischen Selbstständigkeit über-
haupt noch lebensfähig war, sich in der Form der Gemeinde-
freiheit bewahren lieſs. Zu verkennen war die Nothwendigkeit
dieser administrativen Reform nicht wohl; es fragte sich nur, ob
der Senat das Nothwendige klar einzusehen und energisch durch-
zuführen den Muth und die Macht haben oder die Verwaltungs-
reform in der Ausführung verkümmern lassen werde.

Blicken wir zunächst auf Africa. Die von den Römern in
Libyen gegründete Ordnung der Dinge ruhte wesentlich auf dem
Gleichgewicht des Nomadenreiches Massinissas und der Stadt
Karthago. Während jenes unter Massinissas durchgreifendem
und klugem Regiment sich erweiterte, befestigte und civilisirte
(I, 493), ward auch Karthago durch die bloſsen Folgen des Frie-
densstandes wenigstens an Reichthum und Volkszahl wieder was
es auf der Höhe seiner politischen Macht gewesen war. Die Rö-
mer sahen mit übel verhehlter neidischer Furcht die wie es
schien unverwüstliche Blüthe der alten Nebenbuhlerin; hatten sie
bisher den beständig fortgesetzten Uebergriffen Massinissas
gegenüber derselben jeden ernstlichen Schutz verweigert, so fin-
gen sie jetzt an offen zu Gunsten des Nachbarn zu interveniren.
Der seit mehr als dreiſsig Jahren zwischen der Stadt und dem
König schwebende Streit über den Besitz der Landschaft Empo-
ria an der kleinen Syrte, einer der fruchtbarsten des karthagi-
schen Gebiets, ward endlich (um 593) von römischen Commis-

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[21/0031] DIE UNTERTHÄNIGEN LANDSCHAFTEN. preisgegebenen Nord- und Ostgrenze Reiche sich zu bilden ver- mochten, welche, gestützt auf die auſserhalb des Bereiches der römischen Hegemonie gelegenen Binnenlandschaften und im Ge- gensatz gegen die schwachen römischen Clientelstaaten, zu einer früher oder später mit der römischen rivalisirenden Machtent- wickelung gelangten. Allerdings schirmte hiegegen einigermaſsen der überall zerspaltene und nirgends einer groſsartigen staatli- chen Entwickelung günstige Zustand der angrenzenden Nationen; aber dennoch erkennt man namentlich in der Geschichte des Ostens sehr deutlich, was die Folge davon war, daſs in dieser Zeit nicht mehr die Phalanx des Seleukos und noch nicht die Legio- nen des Augustus am Euphrat standen. — Diesem Zustand ein Ende zu machen war hohe Zeit. Das einzig mögliche Ende aber war die Verwandlung der Clientelstaaten in römische Aemter, was um so eher geschehen konnte, als ja die römische Provinzialver- fassung wesentlich nur die militärische Gewalt in der Hand des römischen Vogts zusammenfaſste und Verwaltung und Gerichte in der Hauptsache den Gemeinden blieben oder doch bleiben soll- ten, also was von der alten politischen Selbstständigkeit über- haupt noch lebensfähig war, sich in der Form der Gemeinde- freiheit bewahren lieſs. Zu verkennen war die Nothwendigkeit dieser administrativen Reform nicht wohl; es fragte sich nur, ob der Senat das Nothwendige klar einzusehen und energisch durch- zuführen den Muth und die Macht haben oder die Verwaltungs- reform in der Ausführung verkümmern lassen werde. Blicken wir zunächst auf Africa. Die von den Römern in Libyen gegründete Ordnung der Dinge ruhte wesentlich auf dem Gleichgewicht des Nomadenreiches Massinissas und der Stadt Karthago. Während jenes unter Massinissas durchgreifendem und klugem Regiment sich erweiterte, befestigte und civilisirte (I, 493), ward auch Karthago durch die bloſsen Folgen des Frie- densstandes wenigstens an Reichthum und Volkszahl wieder was es auf der Höhe seiner politischen Macht gewesen war. Die Rö- mer sahen mit übel verhehlter neidischer Furcht die wie es schien unverwüstliche Blüthe der alten Nebenbuhlerin; hatten sie bisher den beständig fortgesetzten Uebergriffen Massinissas gegenüber derselben jeden ernstlichen Schutz verweigert, so fin- gen sie jetzt an offen zu Gunsten des Nachbarn zu interveniren. Der seit mehr als dreiſsig Jahren zwischen der Stadt und dem König schwebende Streit über den Besitz der Landschaft Empo- ria an der kleinen Syrte, einer der fruchtbarsten des karthagi- schen Gebiets, ward endlich (um 593) von römischen Commis-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/31>, abgerufen am 25.04.2024.